Das Leben vereinfachen, Besitz reduzieren und den bewohnten Raum verkleinern. Das sind Schritte, die viele mit zunehmendem Alter tun. Edda Hummer machte ein Hotel zu ihrem Zuhause.
Es geht mir sehr gut". Eine Aussage, die für Edda Hummer nicht nur auf den Moment bezogen ist, sondern auf ihren gesamten, sogenannten Lebensabend. Sie ist eine Dame, die in ihren 60er-Jahren zu sein scheint. Das ist jedoch weit gefehlt. Edda Hummer ist 1939 in Muhr, einem kleinen Ort im Salzburger Land geboren. Jetzt wohnt sie seit über einem Jahr in einem Hotel der Victor’s Group in Saarbrücken, direkt am Deutsch-Französischen Garten und neben der Spielbank.
Trotz der besonderen Corona-Situation fehle es ihr hier im Hotel an nichts. Natürlich sind einige Annehmlichkeiten derzeit nicht möglich, aber das sei für sie kein großes Problem.
Zunächst ist es irgendwie befremdlich, dass eine erfolgreiche Unternehmerin und Kosmopolitin, die einige Jahre im eigenen Schloss in Frankreich lebte, nun mit einem Zweizimmerappartement im Hotel so zufrieden ist. Wenn man jedoch ihre Geschichte kennt, dann ist diese Lebensform, die sie im Alter gewählt hat, absolut schlüssig.
Eine ihrer Stärken ist es, „die Dinge zu vereinfachen", erklärt Edda Hummer ein Grundprinzip ihrer unternehmerischen Entscheidungen. Die Produktion der Kunststoffgriffe des vom Vater gegründeten Unternehmens in Worms beschränkte sie auf drei Längen. Das Unternehmen besaß danach ein Monopol für die Kunststoffgriffe an Waschmittelboxen und belieferte Unilever, Procter & Gamble und Henkel. Die Skifolien, mit deren Produktion sie in ihrem, in Carling gegründeten Unternehmen „Hummer plastiques" auf die Veränderungen am Markt reagierte, gab es ebenfalls ausschließlich in drei Längen.
Erfolgreiche Unternehmerin
Auch die Eroberung des Weltmarktes mit flechtbarem Rattan aus Plastik, die Marke „Hularo", wollte die Unternehmerin auf die Herstellung des hochwertigen Materials beschränken. Innerhalb der Familie wurden dann doch, unter dem Firmennamen Dedon, exklusive Möbel von „Hularo" für den Außenbereich gefertigt und angeboten. Die Firma Dedon hatte eine sehr bewegte Firmengeschichte. Bewegung an sich ist Edda Hummer in die Wiege gelegt, und Bewegung durchzieht ihre gesamte, vom Unternehmer-Gen geprägte Familie. „Wir sind alle Vagabunden", lautet ihre scherzhafte Beschreibung.
Edda Hummer ist geschieden, hat vier Kinder, zehn Enkelkinder und fünf Urenkel. Die große Familie ist über Deutschland und ganz Europa verstreut. Alle Kinder sprechen vier bis fünf Sprachen. Eine Tochter und eine Enkelin leben in Saarbrücken. Hierdurch kannte und schätzte sie das Victor’s Residenz-Hotel Saarbrücken. Der klassische Stil des Hotels und die Nähe zu Frankreich waren für sie Beweggründe, hierherzuziehen. Das französische Flair des Saarlandes machte es ebenfalls aus.
„Es ist die Atmosphäre des Hotels", die ihr gefällt, die Möglichkeit, dort interessante Menschen zu treffen, aber vor allem bedeutet das Hotelleben für sie: „Das Loslassen von Verpflichtungen. Es ist die pure Freiheit!"
„Ich brauche mich um nichts zu kümmern. Um keine Stromrechnung, keine Reparatur", beschreibt Edda Hummer ihre gewonnene Freiheit. „Es wird einmal die Woche gereinigt, die Wäsche gemacht. Zum Frühstück gehe ich in das Restaurant, mittags trinke ich gerne im ‚Salon Rouge‘ ein Weizenbier." Dort trifft sie sich auch mit Geschäftspartnern oder ihrer Assistentin, um gemeinsam die Post zu sichten, Mails zu schreiben und Termine zu vereinbaren. Das ganze Hotel hat in diesen Corona-Zeiten nur wenige Gäste.
„Die Zeit, die ich durch den Hotelservice gewinne, die Zeit habe ich zum Arbeiten und zum Leben." Arbeiten und Leben gehören für Edda Hummer zusammen. „Ich habe immer in der Firma gewohnt." Nun ist ihr Hotelappartement Büro- und Wohnraum.
Sie genießt den Komfort. „Alle Mitarbeiter hier sind sehr freundlich, und alle meine Wünsche werden erfüllt." Scherzend zeigt sie mit einer Mitarbeiterin des Empfangs, wie sie nun auf zwei Meter Abstand achten. Madame Hummer ist auch ein freundlicher Gast, und das Lächeln der Hotelmitarbeiter ist nicht beruflich, sondern herzlich. Sie fühlt sich hier gut aufgehoben und sicher – rund um die Uhr.
Sicher fühlt sie sich auch im Casino neben dem Hotel. Dort trifft sie sich mit Freunden an der Bar. „Zum Ausgehen möchte ich nicht mehr durch die Stadt laufen". Das Casino vergleicht sie mit „der Börse des kleinen Mannes, an der man auch Verlieren lernt". „Der Spieltrieb ist ein ganz menschliches Bedürfnis, aber es ist wie mit dem Essen und Trinken, es darf nicht zu viel sein. Man muss es kultivieren. Im Casino habe ich die Chance, etwas zu gewinnen, im Restaurant nur Kilos", erklärt sie mit einem Augenzwinkern.
Großmutter und Mutter waren Bäuerinnen
„Ich habe alle fünf Minuten eine neue Idee". Edda Hummer lacht über sich selbst und zeigt entschuldigend auf ihre Papiertürme. Hier verschriftet sie ihre Ideen. Zudem möchte sie auch alle notwendigen Unterlagen zur Abwicklung ihrer Immobilien und Geschäfte parat haben. Zum Aufbewahren ihrer Aktenordner dienen die Schränke in der kleinen Küche.
Gekocht wird hier nicht, aber Kräuter, vor allem Knoblauch, Crémant oder Champagner und Sardinen sind für ihr Wohlbefinden immer vorhanden. Edda Hummer ist überzeugt, dass „weniger Essen und viel Lachen" ein Grund für ihre Gesundheit ist. Dazu jeden Tag Bewegung, mindestens fünf Kilometer gehen. Mit ihrer Enkelin sei sie kürzlich gut 20 Kilometer gewandert. Ihr „Büro" im Hotelzimmer erlaubt den Blick ins Grüne, den Park, und auf die Kräuter, die sie zwischen dem bodenhohen Fenster und dem Außengeländer kultiviert.
Demonstrativ zeigt Edda Hummer auf zwei Koffer. Auf diese beiden Koffer wird sie sich zukünftig beschränken. Mit fünf Koffern zog sie im Hotel ein, reduzierte diese dann auf drei, und nun soll ihre Mobilität mit nur zwei Koffern noch besser werden. „Ballast abwerfen und das Leben vereinfachen" ist ihre Maxime. Einige ihrer „Habseligkeiten" sind noch in ihrem Elternhaus in Muhr untergebracht, aber auch dort wird sukzessive reduziert. „Ausmisten ist auch eine Form von Freiheit". Alle Sachen sollen jedoch möglichst noch einer Verwendung zugeführt werden. Damit sind Edda Hummers Töchter instruiert, die sie beim „Ausmisten" unterstützen. Sie plant gerade einen Besuch bei ihrer Tochter in Hamburg und möchte danach wieder einmal in ihre zweite Heimatstadt Wien.
„Es war eine sehr offene Gesellschaft, damals in Wien" erinnert sich die 80-Jährige an ihre Jugendzeit. „Wie in meiner Familie. Die ist ein bunter Mix an Nationalitäten, Unternehmern, Künstlern, Christen, Juden …" Im und nach dem Krieg hatte ihr Vater Heinrich Hummer in Wien seine unterschiedlichsten Geschäftsideen realisiert. Im Krieg verwaltete er den Nachschub an Lebensmitteln und die Versorgung der Armee und sammelte so Erfahrungen, mit denen er in Muhr ein Lebensmittelgeschäft eröffnete, welches die Mutter führte. Edda Hummers Großmutter und ihre Mutter waren Bäuerinnen und gleichzeitig die Managerinnen des Hofes. „Für die Landwirtschaft wurden früher mindestens 30 Personen benötigt, um den Hof zu führen. Das war ein Unternehmen, welches die Frauen leiteten." Ihre Mutter verunglückte, als Edda elf Jahre alt war. Dass Frauen ein Unternehmen führen, stand so in ihrer Familie nie zur Debatte.
Aus einem Geschäft mit Baumwolle aus Ägypten, mit österreichischem Holz bezahlt und nach Belgien geliefert, entwickelte Heinrich Hummer aus dem Lebensmittelgeschäft in dem 500-Seelen-Ort Muhr nun einen Großhandel mit internationalen Geschäftsbeziehungen.
Der Vater hatte bei den geschäftlichen Reisen seine sechs Kinder immer dabei. Eines seiner verschiedensten Handelsgeschäfte war der Import von konzentriertem Zitronensaft aus Italien, welchen Heinrich Hummer dann in gelben Kunststoffzitronen anbot. Die dafür organisierte Werbeaktion in der Innenstadt von Wien wurde durch eine zufällige Begebenheit mit dem Prinzen Haile Selassie ein voller Erfolg. „Wir hatten einen Esel mit den Körben voll von Plastikzitronen als Werbemittel in die Innenstadt geführt. Dieser blieb auf der Straße stehen, sperrte sie und war nicht mehr wegzubewegen – auch als der Tross mit Haile Selassie kam. Das war die beste Reklame." Edda Hummer hat viele Erinnerungen an Höhen und Tiefen der unternehmerischen Aktivitäten ihres Vaters und ihrer eigenen.
„Das Alter ist eine enorm wichtige Phase"
Nach der Zuwendung zur Kunststoffproduktion führte die Idee ihres „genialen Bruders" zum Kauf von Maschinen, mit denen für das Unternehmen Nadler Becher produziert wurden. Diese Zusammenarbeit war der Grund für den Umzug nach Deutschland. Ein ehemaliges Mercedes-Werk in Worms wurde gekauft und 80 Mitarbeiterinnen für die Produktion angestellt. Edda Hummer erzählt schmunzelnd, dass darunter einige gealterte Damen vom „Straßenstrich" waren, was das unkonventionelle Unternehmen etwas ins „Gerede" brachte.
Die Unternehmerin war viel auf Reisen. Als einzige Französisch Sprechende in der Familie wurde sie für die Beziehungen mit Frankreich eingesetzt. „Kannst du nicht deine Tochter runterschicken?" fragte der Geschäftspartner von Henkel ihren Vater. Henkel hatte Interesse daran, mehr über die Technik einer besonders effektiven Verpackungsmaschine zu wissen. Die Verhandlungen der „Spionin" führten zu einem Ingenieur-Agreement, welches von französischer Seite dann „Mathilde" genannt wurde.
Frankreich wurde auch zum Standort für die Dependance des Kunststoffwerkes in Worms. Von der französischen Verwaltung und Politik der Region erfuhr Madame Hummer 1985 größte Unterstützung, um das Werk in Carling anzusiedeln. Vor ein paar Jahren musste sie jedoch die Produktion dort wegen der europäischen „Seveso-Richtlinien" einstellen. Für ein anderes leer stehendes Werk in Nähe der deutschen Grenze plant Edda Hummer eine neue Verwendung. Eine kulturelle Begegnungsstätte, ein Café als Treffpunkt für Musik, Kunst, Tanz könne sie sich gut vorstellen.
Eine ihrer sehr konkreten Visionen ist es, das Leben im Hotel als Lebensform generationsübergreifend zu ermöglichen. Ein Hotel mit Dauergästen, aber auch mit „normalem" Hotelbetrieb. „Eine Ausbildung im Hotel- und Gastgewerbe ist eine gute Grundlage für das Leben und den Beruf", davon ist Edda Hummer überzeugt. Die zeitweise Mitarbeit im Hotel ermögliche dann eine günstigere Miete.
Edda Hummer sprüht vor Ideen, die sie trotz „Rentenalter" umsetzen möchte. Da sind beispielsweise die Elektro-Speedway Motoren, die noch nicht ad acta gelegt sind. Dann bewegt sie der Umgang mit Tieren, die „wir verzehren und deren Stresshormone wir mitessen". Mithilfe ihrer Tochter, einer Graphikerin und Künstlerin, möchte sie diese Zusammenhänge in einer anschaulichen Weise publizieren. In „Corona" sieht sie auch eine Chance für die Gesellschaft, sich zu besinnen und in vielem umzudenken, „beispielsweise von dieser Massentierhaltung wegzukommen". Von ihrer ländlichen Heimat habe sie viele Werte, Prinzipien und Erfahrungen mitgenommen. „Das Dorf ist eine ganze Welt im Kleinen. In dieser Situation jetzt, in der alles herunterfährt, fühle ich mich manchmal zurückversetzt in mein Dorf."
Für Edda Hummer gibt es keinen kreativen Stillstand. Dass auch einige ihrer Vorhaben nicht gelangen, wie beispielsweise die Herstellung der Dachziegel aus Pulver von alten Autoreifen, dies gehört dazu. „Wenn du früh dran bist, bist du oft der Dumme", erklärt sie die Problematik von innovativen Unternehmungen. Erfolg haben und auch scheitern, pardon: Erfahrungen sammeln. Dabei stehen ihre Ideen im Vordergrund und nicht die Gewinne. „Ich bin eine Geschäftsfrau, aber keine Geldfrau." Eine Einstellung, die sie offensichtlich ihren Kindern mitgegeben hat. Ihr Sohn hat ein großes Vermögen in eine Stiftung umgewandelt, die Projekte zur Unterstützung der persönlichen Entwicklung von Jugendlichen zum Zweck hat.
„Das Alter ist eine enorm wichtige Phase, die Erfahrung ist enorm wichtig. Aber das Tolle am Alter ist doch, dass man mit Erfahrung Blödsinn machen kann". Auch diese Freiheit nimmt sie sich. Ihre Ideen und ihr Humor begleiten sie, bis hin zum Ende. Der Tod wäre für Edda Hummer nun „ganz in Ordnung". Ihr Begräbnis hat sie vorbereitet. Sie möchte eine „sprechende Urne" hinterlassen, indem sie für die Hinterbliebenen ihre Gedanken formuliert und aufzeichnet. Ihre Asche wird zu einem Diamanten gepresst werden. Dieser soll in Muhr über den Wasserfall, dann der „Edda-Fall", in den See auf den Grund sinken. Nach ihr zu tauchen, das sei erlaubt. Dieser Gedanke amüsiert sie und Edda Hummer lacht herzlich. Vielleicht wird dieses Lachen dann irgendwann im Wasserfall zu hören sein.