Die Corona-Krise ist ein Warnschuss für den Profifußball. Die Verantwortlichen betonen, ein „Weiter so" dürfe es nicht geben. Aber wie ernst gemeint und vor allem umsetzbar sind die Reformideen?
Nationalspieler Timo Werner wechselt laut Medienberichten für 55 Millionen zum FC Chelsea und steigt damit zum teuersten deutschen Fußballer der Geschichte auf. Der FC Augsburg verpflichtet den eher mittelmäßig begabten Felix Uduokhai für die klubinterne Rekordsumme von sieben Millionen Euro. Und Paris St. Germain zieht die Kaufoption für Leihspieler Mauro Icardi und überweist stattliche 50 Millionen als fixen Grundbetrag an Inter Mailand.
Der Transfermarkt ist offiziell noch gar nicht geöffnet, und doch sind die ersten Multi-Millionen-Verträge bereits unterschrieben. Corona-Krise, war da was? Nun, da nicht nur in der Bundesliga, sondern auch in den anderen großen Ligen wieder der Ball und damit auch der sprichwörtliche Rubel rollt, werden die Vereine wieder spendabler. Und was ist mit der neuen Bescheidenheit, die zahlreiche Verantwortliche auf dem Höhepunkt der Krise im März und April heraufbeschworen hatten? Kann der Profifußball, der so sehr auf Profit ausgerichtet ist, überhaupt aus sich heraus „eine neue Fußballwelt" erschaffen, wie sie Uli Hoeneß prophezeit?
Steffen Baumgart glaubt das nicht. „Es wird, auch in Krisen oder nach schlimmen Vorfällen, viel geredet und theoretisiert", sagt der Trainer des SC Paderborn. Baumgart, der das Geschäft auch als Fußballprofi 13 Jahre begleitet hat, warnte schon zu Beginn der erzwungenen Spielpause vor zu großen Erwartungen: „Wir dürfen nicht blauäugig sein und glauben, alles wird besser, vernünftiger. Am Ende wird sich wohl vieles auch wieder so zurechtschütteln, wie es war." Doch so, wie es war, hat es den Profifußball in der Pandemie erst an den Abgrund geführt. Die schwindelerregend hohen Ablösesummen, die unmoralischen Gehälter, die teils unverschämten Honorare für Berater, die extreme Abhängigkeit vom Fernsehgeld, die völlig abgehobenen Aktionen mancher Stars – all das war schon vorher kritisiert worden. Doch der Profifußball hat die Warnungen vor allem der Fans, die mit der zunehmenden Kommerzialisierung immer stärker fremdelten, einfach in den Wind geschlagen.
„Dann braucht es vielleicht eine echte Krise"
Es sei nicht leicht, „eine Diskussion über mögliche Fehlentwicklungen in einem System zu führen, das in den vergangenen Jahren derart erfolgreich war wie im Profifußball", sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert in einem bemerkenswert offenen und ehrlichen „FAZ"-Interview. Darin gab der DFL-Boss zu, dass der Profifußball zu lange in seiner eigenen Blase gelebt habe. Von alleine hätten die Macher wohl nie etwas geändert. „Dann braucht es vielleicht sogar eine echte Krise", meinte Seifert, „um innezuhalten, um sich zu überprüfen." Seifert weiß selbst, dass der Profifußball nicht gerade in dem Verdacht steht, Reformen zu forcieren, die das Prinzip „Höher, schneller, weiter" konterkarieren. Denn die sind schlecht fürs Geschäft – sprich: Sie kosten Geld. Doch die DFL macht Druck. In einer Mitteilung an die 36 Profivereine der 1. und 2. Bundesliga mahnte sie zur „Selbstkritik mit Blick auf Fehlentwicklungen in den vergangenen Jahren" und kündigte „konkrete Maßnahmen" an.
Wie diese aussehen sollen, damit wird sich eine Taskforce mit dem Namen „Zukunft Profifußball" auseinandersetzen. Sie soll sich im Herbst, spätestens aber „sobald wir wieder atmen können" (Seifert) konstituieren. Bei den Fans kommt dieser Schritt gut an: Bei einer Umfrage des Bundesliga-Barometers begrüßten 95 Prozent der befragten Anhänger die Gründung des Arbeitskreises. 91 Prozent gaben an, eine Korrektur des bisherigen Kurses sei notwendig. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Eigenkapitalerhöhung aufs Tableau kommt, schließlich sorgte schon die verzögerte Auszahlung der letzten Rate der TV-Partner mancherorts für Liquiditätsprobleme. 13 von 36 Profiklubs der 1. und 2. Bundesliga waren laut „Kicker" akut von der Insolvenz bedroht. Auch die Auswüchse bei Spielerberatern, die laut Seifert „die Millionen kassieren für einen Musterarbeitsvertrag, den sie bei uns aus dem Internet herunterladen können", sollen gestoppt werden.
Die Taskforce dürfte sich auch mit bisherigen „Tabuthemen" beschäftigen: die 50+1-Regel und die Gehaltsobergrenze. Die stärkere Öffnung für Investoren würde für reichlich Gegenwind vor allem aus der Fanszene sorgen, und Experten halten sie auch für wenig hilfreich. Im Gegenteil: Mit frischem Geld von reichen Scheichs oder Magnaten wäre wohl sehr schnell wieder alles beim Alten. Die 50+1-Regel müsse daher „als Kernelement des deutschen Fußballs" abgesichert werden, forderte Vorstand Oliver Leki vom SC Freiburg. Das Deckeln der Gehälter würde dagegen auf eine breite Zustimmung stoßen. Der Haken daran: Ob der so aus dem nordamerikanischen Profisport bekannte „Salary Cap" mit dem EU-Recht vereinbar ist, scheint höchst fraglich. Zumindest hatte sich der frühere Uefa-Präsident Michel Platini deswegen bei der EU-Kommission in Brüssel „immer eine blutige Nase eingeholt", wie Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge berichtete, „obwohl alle großen Clubs in Europa diese Aktion unterstützt haben."
Allerdings sendete die EU-Kommission zuletzt Signale der Gesprächsbereitschaft aus. So oder so: Es gilt als wenig wahrscheinlich, dass sie eine vorab rechtsverbindliche und gerichtsfeste Entscheidung bezüglich der Gehaltsobergrenze treffen wird. Am Ende müssten die Profiligen das Risiko tragen, dass bei einer Klage – womöglich einer Sammelklage – die Gerichte die Gehaltsobergrenze für nicht zulässig erklären. Renommierte Sportökonomen sehen dennoch eine Chance auf den Salary Cap, sofern sich die europäischen Top-Ligen in Deutschland, England, Spanien, Italien und Frankreich gemeinsam zu dem Schritt entscheiden. Doch schon daran hapert es, in der englischen Premier League steht man dem sehr skeptisch gegenüber. Der Grund ist Wasser auf die Mühlen der Skeptiker, die dem Profifußball einen inneren Reformwillen abstreiten: England kann und will den besten Profis mehr zahlen, um seinen Vorsprung vor anderen Ligen zu behalten.
Wie tief sind die Einschnitte?
Einfacher wäre eine Gehaltsobergrenze durchzusetzen, wenn die DFL analog zu den großen Ligen in Nordamerika (NBA, NFL, NHL, MLB, MLS) ein geschlossenes System wird. Doch das ist nahezu ausgeschlossen, weil die Abschaffung des Auf- und Abstiegs in Deutschland endgültig zum Bruch mit den organisierten Fans führen dürfte. Apropos Fans: Viele von ihnen haben schon lange vor den Dingen gewarnt, die dem Profifußball nun auf die Füße fallen. Jetzt sei es „sicherlich spät, aber noch nicht zu spät, auf ihre mahnenden Worte zu hören", sagte DFB-Präsident Fritz Keller bei Sportbuzzer. Das System Profifußball habe offenbart, „wie fragil es ist" und dass es „dringend besser, nachhaltiger aufgestellt werden" müsse, so Keller: „Wir müssen den Fußball wieder näher zu den Menschen bringen und verloren gangenen Kredit zurückgewinnen."
Dafür setzte der Präsident beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) einen „Fünf-Punkte-Plan für Nachhaltigkeit" durch, der unter anderem die Stärkung des Ehrenamtes und den besseren Dialog mit allen Interessensgruppen umfasst. Die Punkte sind wenig innovativ und vor allem sehr allgemein gehalten. Ob und wie sie mit Leben gefüllt werden, bleibt abzuwarten. „Wir dürfen jetzt nicht zu einem Ankündigungsweltmeister werden", warnte unlängst DFL-Geschäftsführer Seifert, der die Skepsis am tatsächlichen Reformwillen ernst nimmt. Auch deshalb gibt er keine konkreten Versprechen ab, denn: „Symbolpolitik hilft niemandem." Das bedeute aber nicht, dass der Profifußball nach Corona derselbe bleibt. „Wir wollen nicht einfach nur irgendwie aus der Krise kommen und dann weitermachen wie bisher", betonte Seifert. Wie weit die Clubs aber tatsächlich für harte Einschnitte bereit sind, kann seriös keiner voraussehen. In der Krise zeigten sie sich zumindest geläutert, selbst Rummenigge vom Branchenprimus Bayern München plädierte dafür, „gewisse Exzesse zu normalisieren". Er meinte damit vor allem den Transfermarkt: „Bis dato war es ein Rattenrennen, das um die besten Spieler der Welt stattfindet."
Und dieses Rattenrennen dürfte schon sehr bald wieder starten, da sind sich Sportökonomen weitestgehend einig. Durch den immensen Druck im Kampf um den Titel, den Europacup und vor allem gegen den Abstieg sind die Clubs in diesem System fast gezwungen, Risiken einzugehen und Schulden zu machen. Das wochenlange Bangen um die Zukunft hat die Branche zum Nachdenken gebracht, keine Frage. Aber wie lange hält das an? Die Preise und Gehälter werden in den nächsten ein, zwei Transferperioden zweifelsohne fallen, doch wenn die Klubs neben dem TV-Geld bald auch wieder mit den Zuschauer-Einnahmen planen können – warum sollte sich dann etwas ändern? Joachim Löw hat diese Hoffnung nicht aufgegeben. „Natürlich wollen wir nicht unsere Motivation, unseren Ehrgeiz verlieren, beides gehört zum Leistungssport dazu", sagte der Bundestrainer. Dennoch wünsche er sich, „dass wir öfter mal innehalten, weiterhin rücksichtsvoll miteinander umgehen, unsere Werte wieder in den Mittelpunkt unseres Tuns stellen."