Vor 125 Jahren zeigten der Kölner Süßwarenfabrikant Ludwig Stollwerck und der New Yorker Erfinder Thomas Alva Edison der staunenden Öffentlichkeit die ersten Filmaufnahmen Deutschlands. Noch im selben Jahr eröffneten die Brüder Max und Emil Skladanowsky in Berlin das erste kommerzielle Filmtheater der Welt.
Die Steinzeit des Kinos war ein gelobtes Land für findige Unternehmer. Nachdem sogenannte Stereoskope mit optischen Tricks und dreidimensionalen Illusionen Mitte des 19. Jahrhunderts die Schaubuden der Jahrmärkte erobert hatten, revolutionierten erstaunliche Apparate wie das „Elektrotachyscop" und das „Kinetoskop" die Projektionstechnik und machten das Vorführen bewegter Bilder möglich. Sie wurden, wie so viele bahnbrechende Neuerungen, in Deutschland und den USA nahezu gleichzeitig entwickelt und fanden weite Verbreitung.
Mit einem optischen Gerät namens Elektrotachyscop konnte der Berliner Fototechniker Ottomar Anschütz bereits 1887 bewegte Bilder erzeugen. Dieser mechanische Apparat bestand aus einer 1,5 Meter breiten stroboskopischen Scheibe und 24 gläsernen Fotoplatten im Format 9 mal 13 Zentimeter. Beleuchtete man diese Scheibe von hinten mit einer elektrischen Entladungsröhre (Geißlerische Röhre) und ließ sie per Handkurbel mit 30 Bildern pro Sekunde rotieren, entstand aufgrund der Netzhautträgheit des Auges der frappierende Eindruck von kontinuierlichen bewegten Bildern. Mit seiner spektakulären Erfindung kreierte Anschütz einen Vorläufer des Kinofilms.
Die Weltausstellung von 1893 in Chicago war in ihren Dimensionen überwältigend und hatte einen immensen Einfluss auf die Kunst der Zeit. Eigentlich sollte die Firma des amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison die 70.000 Aussteller aus 46 Ländern mit elektrischem Licht versorgen, aber das Angebot war zu hoch. Der kreative Kopf und Geschäftsmann ließ sich von dem geplatzten Deal nicht beirren und präsentierte auf der Ausstellung eine geradezu magische Erfindung, die eine Weiterentwicklung von Ottomar Anschütz’ Schnellseher war. In Edisons Laboratorien hatte der Schotte William Kennedy Laurie Dickson bereits 1888 damit begonnen, sowohl den Kinematografen als auch das Kinetoskop zu entwickeln. Mithin nicht weniger als die ersten brauchbaren Apparate zur Aufnahme und Betrachtung bewegter Bilder.
Das Kinetoskop war ein Guckkasten, der äußerlich an einen Kleiderschrank erinnerte. In dieser Kiste mussten die Zuschauer noch einzeln Platz nehmen, um sich die „lebenden Fotografien" anzusehen. In Inneren der Kiste wurden entwickelte und perforierte Filmstreifen durch eine Glühbirne beleuchtet. Rollfilm aus Zelluloid war damals brandneu. Um die Funktionsweise seiner zylindrischen Kamera zu testen, drehte der Amateurfotograf Dickson 1890 die jeweils nur wenige Sekunden dauernden Filme „Monkeyshines Nr. 1, 2 und 3". Sie zeigten einen verschwommenen Mann und gelten heute als die ersten Filme, die in den USA gedreht wurden.
Kaiser-Wilhelm-Kanal erste Filmaufnahme
Im Auftrag der Edison Manufacturing Company leitete Dickson anschließend den Bau des ersten Filmstudios der Welt. „Black Maria" wurde 1893 in West Orange/New Jersey eröffnet und stellte noch im selben Jahr den ersten jemals kommerziell verwerteten Streifen her. „Blacksmith Scene" zeigte drei Bier trinkende Schmiede bei der Arbeit. Er wurde zunächst in Salons mit Kinematografen und später auch auf Leinwand gezeigt und zählt zu den frühesten Aufnahmen in der Geschichte des Films. 1895 endete die Zusammenarbeit zwischen Edison und Dickson im Streit.
Im Frühsommer 1895 taten sich der Kölner Süßwarenfabrikant Ludwig Stollwerck und der New Yorker Erfinder Edison in Hamburg zur „Deutsch Oesterreichischen Edison Kinetoskope Compagnie" zusammen und zeigten der staunenden Öffentlichkeit die ersten Kurzfilme im Deutschen Reich und in Österreich. Die Gesellschaft verwertete den von Edison entwickelten Kinetografen. Da es nur wenige Filme für die Kinetoskopen gab, wurde Stollwerck zum Sponsor des englischen Filmpioniers Birt Acres und damit sogar zum ersten deutschen Filmproduzenten überhaupt. Acres filmte am 21. Juni 1895 die feierliche Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals in Kiel sowie einen Truppenbesuch von Wilhelm II. im Umfeld der Veranstaltung. Der Streifen „Opening of the Kiel Canal" gilt als eine der ältesten Filmaufnahmen Deutschlands und machte Wilhelm II. zum ersten Staatsoberhaupt, das auf Film gebannt wurde.
Technisches Know-how, eine neue Verkaufsstrategie und weitläufige Kontakte in die internationale Erfinder- und Unternehmerszene trugen dazu bei, dass Ludwig Stollwerck – zweitjüngster der in der Schokoladenbranche zu Reichtum und Ansehen gelangten Gebrüder Stollwerck – um 1900 auch im Kinematografengeschäft Fuß fasste.
Am 16. April 1896 schrieb der Kölner an seinen New Yorker Teilhaber John Volkmann: „Ich muss Ihnen gestehen, lieber Johann, ich habe nie in meinem Leben eine Erfindung gesehen, mit welcher ohne Risiko und fast ohne Arbeit so viel Geld verdient wurde. Die Leute schleppen ja das Geld rein ins Haus! Man geht mit einem kleinen Apparate von 20 ctm Höhe, 20 ctm Breite und 12 ½ ctm Tiefe hin, dreht daran und nimmt überall auf Filmstreifen die Photographien auf. Dann macht man es umgekehrt, setzt das Licht anstatt nach vorn nach hinten und wirft die Bilder auf die Wand. Das ist die ganze Hexerei."
Ebenfalls 1895 fand in Paris die erste Vorführung eines Films statt, der mit einem neuartigen Cinématographen aufgenommen und auch damit abgespielt wurde. Hier waren es die bereits in der Weiterentwicklung der Fotografie so erfolgreichen Brüder Auguste Marie und Louis Jean Lumière, die als erste Europäer im Kinogeschäft reüssierten. Zahlreiche zahlende Gäste fanden sich am 28. Dezember 1895 in einem Café am Pariser Boulevard des Capucines ein, um Kurzfilme wie „Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof von La Ciotat" oder „Abbruch einer Mauer" zu bestaunen. Es handelte sich dabei um stumme Szenen aus dem Alltag – in Schwarz-Weiß und mit lediglich 15 bis 20 Bildern in der Sekunde. Sie dauerten in der Regel nur etwa eine halbe Minute. Mehrere solcher Szenen reihten sich zu einem kurzen, aber eindrücklichen Kinoerlebnis von circa 20 Minuten aneinander.
Siegeszug des Fernsehers dünnte Kinos aus
Auf einer ausgedehnten Werbetour priesen die findigen Brüder ihre Erfindung in ganz Europa an – mit Erfolg. Zahlreiche Betreiber von Gasthäusern, Hotels und Variétés witterten den kommerziellen Erfolg, der in den neuen Apparaten steckte, und kauften ihnen Kinematografen für Vorstellungen in ihren eigenen Etablissements ab. Auf diese Weise gelangte das neue Unterhaltungsmedium Kino auch nach Deutschland. Am 1. November 1895 wurde das Variété-Theater „Wintergarten" in Berlin-Mitte, ehemals „Central Hotel", durch eine Filmvorführung der Brüder Max und Emil Skladanowsky zum weltweit ersten kommerziellen Filmtheater. Auch die Skladanowskys hatten an einem Filmapparat getüftelt und im Juli 1895 im Pankower „Feldschlösschen" erstmals kurze Szenen gezeigt, die sie im Garten des Lokals aufgenommen hatten. Ihre Geräte wurden zwar ebenfalls für Vorführungen in Schaubuden und Panoptiken eingekauft; jedoch blieb der Verkaufserfolg insgesamt hinter dem ihrer französischen Konkurrenten zurück. Immerhin bekam Max Skladanowsky vom Kaiserlichen Patentamt das deutsche Patent für eine „Vorrichtung zum intermittierenden Vorwärtsbewegen des Bildbandes für photographische Serien" zugesprochen.
Mit dem Optiker und Mechaniker Oskar Eduard Messter hat Deutschland sogar noch einen weiteren Pionier auf dem Gebiet des Kinos vorzuweisen. 1896 brachte er die ersten Filmprojektoren zur Marktreife und eröffnete in Berlin-Mitte gleich zwei „Kunstlichtateliers". Indem er Projektor und Grammofon zum „Biophon" verband, gelangen ihm 1903 die ersten „Tonbilder". Messter avancierte in den Folgejahren mit über 300 produzierten Streifen zu einem der einflussreichsten Impresarios des deutschen Films.
In den größeren Städten wurden zahlreiche Theater und Variétés um 1900 dauerhaft zu Kinosälen umgestaltet. Auf dem flachen Lande wiederum machten Wanderkinos die Bewohner mit dem Film vertraut, indem sie ihre Apparate für einige Tage in den Hinterzimmern von Gasthöfen aufbauten. Auch die Besitzer von Schaubuden und Panoptiken gingen mit der Zeit und ersetzten die üblichen Kuriositäten bald durch finanziell ertragreichere Filmvorführungen. Deren Beliebtheit erreichte mit dem Sieg des Tonfilms über den Stummfilm Ende der 20er-Jahre einen vorläufigen Höhepunkt.
Bis das sogenannte Lichttonverfahren erfunden wurde – die gleichzeitige Speicherung von Bild- und Tonspur auf dem Magnetstreifen – hatte die Synchronisation von Bild und Ton noch zu Problemen geführt: Während der Vorführung lief eine Schallplatte ab, die die entsprechenden Sprach- und Musikpassagen des Films enthielt. Heute werden in den Kinos in der Regel neuste Tonverfahren wie Dolby Digital verwendet.
Nach vielen Jahrzehnten der Euphorie ist das Fernsehen mit Riesenbildschirm und optimaler Tonqualität derzeit der größte Konkurrent des Kinos. Als es in den 1960er-Jahren die Wohnzimmer endgültig eroberte, gingen die Zuschauerzahlen in den Kinos stetig zurück. Alteingesessene und traditionsreiche Lichtspieltheater mussten sich verkleinern oder ganz schließen. Heute ist der Markt aufgeteilt: Gewaltige Multiplex-Kinos haben mit Blockbustern und neuer 3-D- und DTS-Technologie vor allem den kommerziellen Erfolg im Auge, während kleine, alternative Programmkinos ein Nischenpublikum mit künstlerischen Filmen bedienen. Sie sind es vor allem, die die Erinnerung an die Pionierzeiten des Kinos wachhalten.