Eine Kalksteinhöhle in Schleswig-Holstein ist das Zuhause von mehr als 30.000 Fledermäusen. Für Menschen bleiben die nützlichen Tiere meist unsichtbar, doch eine Ausstellung in Bad Segeberg bringt Licht ins Dunkel: Im „Noctalis" erfährt man alles über die Jäger der Lüfte.
Wer ihr Geheimnis lüften, wer zu ihrem gut versteckten Zuhause vordringen will, braucht sich nicht zu fürchten. Vampire, die sich in Gesteinsspalten verstecken und nach süßem Menschenblut lechzen, gibt es in der Unterwelt nämlich keine. Auch Kobolde oder Hexenvögel, die verlorene Seelen der Legende nach tief ins Erdinnere locken, wo sie im glühenden Fegefeuer landen oder auf den Teufel höchstpersönlich treffen, werden keine gesichtet. Mit Angstschweiß auf der Stirn ist also nicht zu rechnen. Im Gegenteil: Es macht Sinn, sich warm anzuziehen.
Denn die Jäger der Nacht verbergen sich dort, wo es das ganze Jahr über dunkel, feucht und kühl ist. Am Fuße des Bad Segeberger Kalkbergs in Schleswig-Holstein, wo an der Kante eines aufgelassenen Gipssteinbruchs Jahr für Jahr die seltenen Uhus nisten, trägt die Wissenschaftlerin Anne Ipsen also trotz des Sonnenscheins und der hochsommerlichen Temperaturen feste Schuhe, einen Mantel und einen Schal. Die Wissenschaftlerin schließt eine massive Metalltür auf und sagt: „Neun Grad: Wir betreten jetzt einen riesigen Kühlschrank."
Wassertropfen fallen von der Decke. Im Licht der Taschenlampe sieht man enge Gänge und schroffe Felsen, über die gespenstische Schatten tanzen. Anne Ipsen leuchtet an die zerklüftete Decke. „Jeden Winter ist dort eine große Fledermaus-Jahreshauptversammlung: Dann hängen hier über 30.000 Tiere." Bislang ist sie außerhalb der Region nur Fachleuten ein Begriff, doch das ändert sich langsam: Die Kalkberghöhle ist nicht nur die einzige Schauhöhle Schleswig-Holsteins, sondern auch eines der wichtigsten Fledermausquartiere Europas.
Die Kalkberghöhle liegt neben dem Kalkbergstadion, wo im Sommer eigentlich die Karl-May-Spiele stattfinden: Über 400.000 Besucher kamen 2019, um hier „Winnetou" zu sehen. In diesem Jahr musste das Spektakel abgesagt werden, doch im Winter kommen die üblichen Mieter dann bestimmt in ihr wohl temperiertes Zuhause. Vor allem Tausende von Fransen- und Wasserfledermäusen kuscheln sich in der Kalkberghöhle vier Monate lang zusammen: 90 Prozent der Tiere in der Höhle gehören zu diesen Arten. Aber auch seltene Bechsteinfledermäuse, die im Sommer gern in Wäldern auf Insektenjagd gehen, sowie Teichfledermäuse, Braune Langohren und Große Mausohren finden hier Schutz vor Eis und Schnee.
In der kalten Jahreszeit bleiben die Türen verschlossen, um die Tiere bei ihrem Winterschlaf nicht zu stören. Bis es so weit ist, können Besucher die Höhle aber bei geführten Touren entdecken. Immer wieder sieht man dann Flattertiere, die ihr künftiges Winterquartier inspizieren. So war es jedenfalls bisher: Noch ist nicht klar, wann die Führungen in der engen Höhle wieder aufgenommen werden können. Doch direkt neben dem Höhleneingang lässt sich in der Erlebnisausstellung Noctalis das ganze Jahr über die Welt der Fledermäuse erkunden. Mit einer Taschenlampe in der Hand entdeckt man eine künstliche Höhle und spaziert durch einen Nachtwald mit geheimnisvollen Geräuschen. Im Noctarium fliegen über hundert quicklebendige Flattertiere durch den Raum.
Die dunkle Welt des Aberglaubens
Putzmunter reisen sie durch die pechschwarze Nacht, ohne anzustoßen. Sie sind im Himmel zu Hause, wie die ganze Vogelschar, haben aber anstelle bunter Federn eine Hautmembran zwischen Händen und Füßen. Tagsüber schlafen sie, im Hängen, mit dem Kopf nach unten. Eier legen sie keine (das wäre angesichts dieser Lebensweise auch recht unpraktisch), sondern geben ihrem Nachwuchs Milch. Wunderliche Wesen sind diese Fledermäuse. Weswegen man ihnen lange Zeit mit Scheu begegnete – und im Mittelalter, das diesbezüglich sowohl am Tag wie auch in der Nacht ziemlich finster war, sogar mit Abscheu. Ihrem lautlosen Flug, den man sich damals nicht erklären konnte, haftete etwas Unheimliches an.
Wer in Bad Segeberg die Erlebnisausstellung des Fledermauszentrums Noctalis besucht, taucht zunächst ein in die dunkle Welt des Aberglaubens. „Einst galten die Tiere als Indiz für ein Bündnis mit dem Bösen", sagt Expertin Anne Ipsen. Kirchenmaler zeigten deshalb auf ihren Bildern, dass bei einem Exorzismus der Dämon wie eine Fledermaus aus dem besessenen menschlichen Körper huscht. Der gute Orientierungssinn der Tiere wurde aber auch bewundert, weshalb man lebende Fledermäuse mit dem Metall in die Schmelze warf – in der Hoffnung, die Gewehrkugeln würden anschließend besser treffen.
Cocktails aus Blut, Haaren, Organen und Krallen sollten die Liebe der Menschen entflammen. Eifersüchtige Gattinnen brieten Fledermäuse in einem Topf, um den Schmerz des gequälten Tiers auf ihren untreuen Ehemann zu übertragen. Aus dieser Zeit stammt auch der noch heute geläufige Mythos, die Fledertiere würden sich in den Haaren von Mädchen und Frauen verfangen: Seine Haare offen zu tragen galt damals als unschicklich und wurde als teuflischer Versuch der Verführung gedeutet. Später kam die Figur des blutsaugenden Vampirs aus Transsylvanien nach Mitteleuropa. Es dauerte ziemlich lange, bis Graf Dracula von Batman vertrieben wurde: Endlich einmal ein Held im Fledermauskostüm!
Im Noctalis schwirren mehr als hundert echte Tiere in einem irrsinnigen Tempo durch einen Flugraum. Es sind Brillenblattnasen aus Südamerika, die ganzjährig aktiv sind und keinen Winterschlaf halten. Heimische Fledermausarten stehen dagegen unter Schutz und dürfen deswegen nicht in Gefangenschaft gehalten werden. Der Liebling der Besucher ist aber keine der gerade einmal 30 Gramm schweren Fledermäuse, sondern ein ziemlich imposantes und fast ein halbes Kilo schweres Flughundweibchen. Foxi lässt sich gern von ihrer Tierpflegerin herumtragen und genießt es, wenn man sie mit Mangostückchen füttert. Dann zeigt sie auch ihre Flügel mit der imposanten Spannweite von 120 Zentimetern.
Fressen Unmengen von Insekten
Bad Segeberg ist nicht nur des Noctalis wegen eine Anlaufstelle für den Schutz der Fledermäuse. Hier hat auch der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sein Fledermausbüro. Über hundert verletzte oder alleingelassene Tiere hat die ehrenamtliche Helferin Britta Wesche in den letzten Jahren gesund gepflegt und aufgepäppelt. Als Expertin gibt sie außerdem Auskunft, was man tun muss, wenn man ein Fledermaus-Findelkind findet, wie man einen Nistkasten baut, und wie man sein Haus so saniert, dass Fledermäuse weiterhin Unterschlupf finden.
Um seine eigene Gesundheit muss man sich dabei keine Sorgen machen. Die putzigen Flattertiere können Krankheiten wohl nicht direkt auf den Menschen übertragen, weil es dafür Zwischenwirte wie Schleichkatzen oder Marderhunde braucht, so der aktuelle Stand der Wissenschaft. Eine Übertragung von Viren ist deswegen sehr unwahrscheinlich – mit dem aktuell grassierenden Coronavirus sind sie auch nicht infiziert.
Stattdessen sind Fledermäuse nützliche Tiere: Sie fressen nicht nur Unmengen an Insekten, gegen die Bauern sonst Insektizide einsetzen müssten, sondern bestäuben auch Blüten und verbreiten Samen.
Mit ihrem Schützling Luna wirbt Britta Wesche deswegen bei Führungen und Vorträgen seit Jahren für mehr Verständnis für die Jäger der Lüfte. Der Große Abendsegler ist als Baby vom Rücken seiner Mutter gefallen und lebt seither bei ihr. „Es sind gesellige Tiere, die in freier Wildbahn in Gruppen von bis zu 20 Exemplaren in einer Spechthöhle kuscheln. Deswegen darf Luna auch mal unter meinen Kragen klettern, wenn sie Wärme braucht."
Den Bärenhunger ihres süßen Zöglings kann sie aber lediglich mit Mehlwürmern stillen. „Ein Großer Abendsegler fängt in einer Nacht 4.000 Mücken. Das schaffe ich beim besten Willen nicht."