Als Corona noch kein Thema war, hatten die Füchse Berlin bereits den Transfer-Coup mit Lasse Andersson unter Dach und Fach gebracht. Der Däne soll das Team zu Titeln führen.
Bob Hanning ist alles andere als ein Schwarzmaler, doch zuletzt fiel es auch dem Geschäftsführer der Füchse Berlin schwer, Optimismus zu verbreiten. Er fühlte sich, als sei er „sieben Wochen lang auf Treibsand" unterwegs gewesen. Fast tatenlos musste er mitansehen, wie sein Lebenswerk in der Corona-Krise bedenklich ins Wanken geriet. Erst jetzt, wo die gesetzlichen Kontaktbeschränkungen zunehmend gelockert werden und sich die allgemeine Lage deutlich entspannt hat, spürt Hanning wieder festeren Boden unter den Füßen. Er gehe davon aus, sagte der 52-Jährige der „Berliner Morgenpost", dass der Club „den Turnaround zum Überleben" schaffen werde. Das war längst nicht immer sicher. Zu den drei Szenarien, die Hanning und seine Mitstreiter bei den Füchsen in der tiefsten Krise zeichneten, gehörte auch die Planinsolvenz. Außerdem wurden Pläne für die Fortsetzung des Spielbetriebs mit der Zweiten Mannschaft und für den Erhalt des Ist-Zustandes erarbeitet. Es sieht so aus, als dass die Füchse mit Letzterem rechnen dürfen. Auch wenn es harte Einschnitte geben wird. Die Füchse treffen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise auch deswegen so hart, weil der Club vor dem Ausbruch der Pandemie finanziell in Vorleistung gegangen ist. Man will schließlich ab der kommenden Saison um den Titel mitspielen, also rüsteten die Berliner kräftig auf: In Marian Michalczik (Minden), Milos Vujovic (Tatabaya/Ungarn) und Lasse Andersson (Barcelona) kommen drei gestandene Profis, die auch entsprechend bezahlt werden. Und zwar mit branchenüblichen Tarifen vor der Corona-Krise, denn alle Verträge wurden noch vor dem Ausbruch geschlossen.
Hanning dürfte es sich heute zum Beispiel zweimal überlegen, ob er einen Mann wie Andersson wirklich an die Spree lotsen würde. Aus rein finanzieller Sicht, versteht sich. Denn sportlich besteht kein Zweifel daran, dass der dänische Nationalspieler eine Bereicherung für das Team um Neu-Trainer Jaron Siewert darstellt. „Ich bin glücklich darüber, dass er sich für uns entschieden hat", sagte Sportvorstand Stefan Kretzschmar, der den Transfer als „großen Coup für die nächsten drei Jahre" bezeichnete. Kretzschmar war maßgeblich an den Gesprächen und Verhandlungen mit Andersson, aber auch an denen mit Michalczik und Vujovic beteiligt gewesen. Die Verpflichtungen „tragen seine Handschrift", bestätigte Hanning.
Selbst die Planinsolvenz war ein Thema
Andersson hat sich aber nicht nur wegen der Aura des wohl bekanntesten deutschen Handballers für Berlin entschieden. Vor allem hat ihn der erst 26 Jahre alte Trainer Siewert beeindruckt, berichtete der Rückraumspieler: „Mich haben die Ideen von Jaron Siewert überzeugt." Sie würden seine Einstellung und Spielweise widerspiegeln, daher sei er sich sicher, dass er seine „Qualitäten einbringen" und „weiter verbessern" könne. Mit 26 Jahren hat Andersson bereits reichlich Erfahrungen gesammelt, Experten sehen beim gebürtigen Kopenhagener aber noch Entwicklungspotenzial. Mit einer Größe von 1,97 Meter besitzt der Rückraumspieler fast Gardemaß, seinen Körper setzt er auch in der Verteidigung geschickt ein. „Mit Lasse bekommen wir internationale Erfahrung, eine hohe Qualität in der Abwehr und daraus resultierend mehr Speed im Tempospiel", sagte Kretzschmar, der einen weiteren Vorteil der Verpflichtung hervorhob: „Mit seiner Dynamik und seiner Wurfstärke bildet er die perfekte Ergänzung zu Paul Drux."
Nationalspieler Drux trug in der abgebrochenen Corona-Saison fast die alleinige Verantwortung im Rückraum, weil andere Profis wie Fabian Wiede verletzt ausfielen oder ihrer Form hinterherliefen. Diesen Missstand soll auch Neuzugang Marian Michalczik beheben, der als Kapitän von Minden zu den Füchsen wechselt. „Ich habe richtig Bock auf Berlin", sagte der 23-Jährige. Neben dem Hauptstadt-Flair zieht es den Nationalspieler auch wegen Trainer Siewert nach Berlin, das hat er mit Andersson gemein. „Wir hatten tolle Gespräche, er glüht und brennt für den Handball, steckt da viel Power rein", sagte Michalczik. „Er will viel Energie aufs Spielfeld bringen."
Das verlangt Siewert auch von Andersson, der zudem als potenzieller Leader ins Team geholt wird. Er weiß, wie man Titel gewinnt, drei aufeinanderfolgende Double-Gewinne mit dem FC Barcelona in der spanischen Liga sprechen für sich. Doch aufgrund von Verletzungsproblemen kam er in Spanien zuletzt nicht mehr so zum Zug wie erhofft. Aufgrund von Knieproblemen hatte er die EM 2018 verpasst, und er fehlte auch beim Titelgewinn der dänischen Nationalmannschaft bei der Heim-WM vor einem Jahr. Andersson konnte sich seinen neuen Verein trotzdem fast frei aussuchen, an Angeboten mangelte es ihm nicht. „Trotz vieler Möglichkeiten", wie sein Berater Simon Friies betonte, habe man sich bewusst für die Füchse Berlin entschieden: „Am Ende hat uns das Projekt und die Perspektive einfach überzeugt." Durchaus hilfreich dürfte gewesen sein, dass in Jacob Holm, Hans Lindberg und Johan Koch bereits drei Dänen in Berlin unter Vertrag stehen. Andersson, der wie in Barcelona die Trikotnummer 11 erhält, wird sich also von Beginn an im Fuchsbau heimisch fühlen.
„Projekt und Perspektive haben uns überzeugt"
Doch auch der neue Leit-Fuchs hat mitbekommen, dass sein neuer Arbeitgeber zuletzt ums Überleben gekämpft hat. Das konnte nur gesichert werden, weil die Spieler auf Gehalt verzichtet haben und die Sponsoren zum Großteil bei der Stange blieben. Um Kosten zu sparen, verkleinerte der Club den Kader, indem man sich von Spielern wie zum Beispiel Stipe Mandalinic trennte. Zudem setzt Berlin auf Nachwuchsakteure wie Tim Freihöfer, Maxim Orlov und Nils Lichtlein. Das waren notwendige Maßnahmen, obwohl die Füchse auch in der kommenden Saison international vertreten sind. Der europäische Handball-Verband EHF stattete die Berliner, die die sportliche Qualifikation als Bundesliga-Sechster verpasst hatten, mit einer Wild Card für die neugeschaffene European Handball League aus. „Für uns kam die Nachricht wirklich überraschend. Ich bin der EHF sehr dankbar für diese Entscheidung", sagte Hanning. Vor allem deshalb, weil der Club nun die Chance hat, sich erneut für die lukrative Austragung des Final Four im Europacup zu bewerben. Das EHF-Finalturnier war schon in diesem Jahr in Berlin vorgesehen, musste jedoch wegen Corona abgesagt werden.
Mittelfristig wollen die Füchse aber auch international erstklassig spielen, daran haben die schweren wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie nichts geändert. „Natürlich wollen wir in die Champions League", bestätigte Hanning, „die Ambitionen sind noch hoch." Genau dafür braucht das Team Profis wie Andersson.