Die Rückkehr zu halbwegs normalen Verhältnissen ist ein mühsamer Weg mit vielen Unwägbarkeiten. Jörg Aumann, Oberbürgermeister von Neunkirchen, über Erfahrungen mit den Lockerungen und die Perspektiven für Handel, Kultur und Sport in Saarlands größter Stadt nach Saarbrücken.
Herr Aumann, wie läuft die schrittweise Rückkehr zu normaleren Verhältnissen?
Ich habe von Anfang an immer gesagt: Nehmen Sie das Virus ernst, aber verfallen Sie nicht in Panik. Und der erste Teil des Satzes gilt nach wie vor, aber ein bisschen Optimismus kann ruhig mitschwingen. Im Moment, denke ich, haben wir die Pandemie recht gut im Griff. Aber trotzdem kann es immer wieder zu lokalen Ausbrüchen kommen, wie man sieht. Jeder Tag bringt neue Erkenntnisse über das Virus, daran versucht man sich zu orientieren. Wir beschäftigen uns ja ständig mit Lockerungen. Alles zu schließen war einfach. Jetzt gibt es natürlich Diskussionen und Vergleiche, Leute fragen: Warum dürfen die und wir nicht? Wir spielen immer den Worst Case durch, aber es ist bei Weitem nicht so schlimm, wie wir befürchtet haben, dass es wird. Die Leute sind ja weitestgehend vernünftig. Als wir Geschäfte geöffnet haben, haben wir befürchtet, dass die Leute darüber herfallen – hat nicht stattgefunden. Bei Gaststätten haben wir befürchtet, die Leute stürmen dorthin – ist auch nicht passiert. Die Leute haben sich vernünftiger und weitaus defensiver verhalten als wir es befürchtet hatten. Ich mache mir nach den Erfahrungen bei jeder weiteren Öffnung weniger Sorgen als noch vor ein paar Wochen.
Das hat auch mit der Entwicklung der Zahlen zu tun?
Zurzeit ist die Zahl der Erkrankten hierzulande verschwindend gering. Aber das ist nur die Hellziffer, die Dunkelziffer kennen wir natürlich nicht, obwohl es da inzwischen Hochrechnungen gibt. Im Moment haben wir, wie gesagt, die Pandemie im Griff und tasten uns langsam vor. Wobei uns gewisse Gemeinschaftserlebnisse, Konzerte in der Gebläsehalle oder Fußball im Stadion, noch eine Zeit lang fehlen werden.
Wie sieht es mit der wirtschaftlichen Entwicklung aus?
Ich höre viele Sorgen im Einzelhandel. Neunkirchen ist ja mittlerweile im Strukturwandel zur Einkaufsstadt geworden. Das Saarpark-Center war lange vom Lockdown betroffen, länger als viele andere Geschäfte, und die Leute sind jetzt immer noch defensiv im Einkaufsverhalten. Und natürlich gibt es Klagen aus dem Gaststättenbereich. Was Neunkirchen besonders wehtut, ist, dass das kulturelle Leben zum Erliegen gekommen ist. Auch in der Industrie vernimmt man erste Krisenmeldungen.
Bei den Problemen im Einzelhandel, ist da die lange diskutierte Ansiedlung von Globus gefährdet?
Nein, da ist der Point of no Return schon lange überschritten. Die sind fleißig am Baggern und Bauen. Und bis der Globus aufmacht, haben wir vielleicht auch schon einen Impfstoff. Aber natürlich macht man sich über die Tagesprobleme hinaus so seine Gedanken. Trotzdem bin ich mir sicher: Globus wird die Einkaufsstadt Neunkirchen stärken. Es werden viele Leute kommen, die sonst nicht gekommen wären. Hier liegt eine Win-win-Situation vor. Und es hat sich ja einiges getan. Es ist noch nicht sehr lange her, da standen etliche Geschäfte an der Bliespromenade leer, die Läden sind inzwischen wieder belegt. Globus ist nah an der Innenstadt, er wird die Stadt zusätzlich beleben.
Neunkirchen hat sich auch als Kulturstadt mit der Gebläsehalle etabliert. Wie sieht dort die Perspektive aus?
Es gibt Gespräche beim Kultusministerium, wie man wieder zu Kulturveranstaltungen zurückfindet. Das wird uns noch lange begleiten. Es ist die Frage, ob man vielleicht auch zu anderen Formaten kommt, dass beispielsweise Künstler an einem Abend zweimal auftreten. Das wäre mehr Arbeit, aber sie hätten ihr Publikum. Und das fehlt ja auch vielen und tut weh.
Aber das ist gar nicht so einfach umzusetzen. Vor der Bühne, im Publikum, kann man das mit dem Abstand regeln, aber auf der Bühne, etwa bei einem Musical, wo die Leute miteinander agieren? Letztlich ist es wie auch an anderer Stelle: Es geht um Risikominimierung, nicht um kompletten Risikoausschluss. Es sind ja ab Mitte Juni kleinste Veranstaltungen bis 50 Personen maximal erlaubt. Unsere Kulturgesellschaft erarbeitet gerade entsprechende Pläne, sodass wir ab September so weit sein werden, sicher anders, aber sicher auch live, von der Bühne, dies wäre zumindest ein Anfang.
Sobald das wieder verantwortbar und möglich ist, wollen wir in der Gebläsehalle wieder durchstarten und den Leute das geben, was seit Monaten fehlt, nämlich Kultur erleben zu können. Ich denke, im Herbst sollten wir soweit sein. Auch der Günter-Rohrbach-Filmpreis steht an. Aber das alles steht natürlich immer unter dem Damoklesschwert der Entwicklung.
Eine andere Baustelle ist der Sport. Wie sind dort die Perspektiven?
Erst einmal grundsätzlich: Sport ist wichtig, Sport hält gesund. Wer regelmäßig Sport treibt, ist auch widerstandsfähiger etwa gegen Infektionen. Deshalb fand ich es gut, dass Sporttreiben von Anfang an nicht verboten war, im Gegensatz etwa zu Frankreich. Ich finde auch gut, dass man jetzt wieder Sport ermöglicht, aber die Einschränkungen muss man halt hinnehmen. Das ist schon mal unangenehm, aber besser als gar kein Sport. Ich finde die Schritte, die wir im ganzen Land gemacht haben, jederzeit abgewogen und der Situation angemessen. Wie es weitergeht, kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, ob im Herbst wieder Amateurfußball gespielt wird. Bei den Schwimmbädern haben wir uns ja auch auf Lösungen zubewegt. Wir ermöglichen Schwimmen quasi in einem Zwei-Schicht-System und einem Mischsystem: die Freibäder für das allgemeine Publikum, das Hallenbad für die Vereine, die ihre eigenen Leute und Organisation haben, um das hinzukriegen. Vor vier Wochen war ich noch deutlich skeptischer, aber wir kriegen das hin. Aber klar ist, dass weniger Leute ins Schwimmbad kommen werden.
Haben Sie schon mal einen Strich unter die Rechnung gemacht, was das kosten wird?
Wir tasten uns da ran. Ein Bad ist immer ein Defizitbetrieb und wird es auch bleiben, unter den neuen Bedingungen noch mehr. Ein Bad ist aber auch Daseinsvorsorge für die Menschen.
Gibt es denn Vorstellungen, wie sich die Pandemie und die Folgen insgesamt auf den städtischen Haushalt auswirken?
Wir erwarten deutliche Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer und Mehrausgaben durch gestiegene Kosten. Es wird Defizite bei den städtischen Gesellschaften geben, deutliche Defizite bei der Neunkircher Verkehrsgesellschaft, weniger Einnahmen, mehr Aufwand. Dort muss es eine Lösung geben, notfalls mit Hilfe des Landes und des Bundes. Das ist eine Frage des Zusammenhalts und des Gemeinschaftsgefühls im Land.
Wann wird man mit dem schrittweisen Vorgehen wieder bei einhundert Prozent sein?
Ich vermag nicht in die Glaskugel zu schauen, aber die Schritte werden immer weiter gehen in Richtung Normalität. Wir haben noch eine Durststrecke vor uns, es wird ein schwieriges Jahr. Aber ich glaube, im nächsten Jahr geht es wieder aufwärts.