Wir kennen Liev Schreiber als Hollywoodstar und als TV-Macho Ray Donovan. Die siebte und letzte Staffel dieser Serie lief dieses Jahr auf Sky an. Als Familienvater kennen wir ihn noch nicht. Dabei ist es seine Lieblingsrolle.
Mit meinen slawischen Pausbacken sehe ich aus wie ein Streifenhörnchen. Dazu noch meine raubtierhaften Augenbrauen – da wird man in Hollywood nicht in Komödien besetzt. Oder als romantischer Liebhaber. Deshalb spiele ich so viele Bad Guys", scherzt Liev Schreiber, als er es sich – vor Corona – in einer Suite des Adlon-Hotels auf einem Sofa bequem macht. Und in der Tat: Der 1,91 Meter große Hollywood-Hüne ist eine imposante Erscheinung. Von Kopf bis Fuß in schwarz sieht er aus wie ein gefährlicher Mix aus Bodyguard und Türsteher. Knallhartem Türsteher. Und dann die große Überraschung: Im Gespräch ist Liev Schreiber ein sanfter Mensch, spricht sehr leise und wirkt fast scheu. Was für ein Kontrast zur Macho-Rolle, die ihn weltberühmt machte. Den Titelhelden der Kultserie „Ray Donovan" spielt er seit 2013: Ein brutaler Fixer, der in Los Angeles für die Reichen und Berühmten diskret die Kohlen aus dem Feuer holt. Jemand wird mit einem Sex-Video erpresst? Probleme mit einer Leiche im Schlafzimmer? Ray Donovan wird’s richten! Mit den Fäusten oder dem Baseballschläger. Wenn das nicht hilft, geht er auch über Leichen. Ray ist zwar verheiratet und hat zwei Kinder – das hält ihn aber nicht von heißen Sex-Affären ab. Er raucht, trinkt literweise Bourbon und fährt dicke Mercedes-Limousinen. Wieviel Ray steckt nun eigentlich in Liev?
„Sehr wenig, was Rays Macho-Attitüden angeht. Das ist aber nur eine Seite seines Charakters. Er ist ja auch – vor allem zu seinen Kindern und zu seiner Ehefrau – sehr einfühlsam und liebevoll. Diese sensible, ja zärtliche Seite spricht mich persönlich sehr an. Aber was wir auf jeden Fall gemeinsam haben, ist die raue Stimme. Die habe ich wahrscheinlich viel zu vielen Zigaretten und einer Menge irischem Whiskey zu verdanken. Das ist aber auch genetisch bedingt. Mein Vater hat ebenfalls eine sehr raue, warme Stimme, die allerdings nicht ganz so tief ist wie meine."
Liev Schreiber wurde 1967 in San Francisco geboren und verbrachte seine frühe Kindheit in Kanada. Sein Vater, ein Theaterschauspieler, und seine Mutter, eine Malerin, führten ein von Krisen erschüttertes Bohème-Leben und ließen sich scheiden, als Liev fünf Jahre alt war. Die Mutter zog mit Liev nach New York City, wo sie eine Zeit lang in verlassenen Gebäuden hausten. Als er zwölf war, zogen sie in einen Ashram. Seine emotionale und kulturelle Prägung aus dieser Zeit beschreibt Liev Schreiber heute so: „Meine Mutter war ein sozialistischer Hippie-Bohème-Freak. Obwohl wir nie viel Geld hatten, bekam ich schon früh Klavierunterricht und wurde mit klassischer Literatur versorgt. Die Folge war, dass ich zwar viel über Bach und Tolstoi wusste, aber rein gar nichts von Motown oder Baseball. Mit Gleichaltrigen hatte ich so gut wie keine Gemeinsamkeiten. Also fing ich an zu rebellieren. Ab da zählten für mich nur noch Hip-Hop und die Knicks. Denn die waren eben Lichtjahre vom Bildungsideal meiner Mutter entfernt." Und mit einem Lächeln fährt er fort: „Meine Mutter hat mir als Kind sogar verboten, Farbfilme anzusehen. Der erste, den ich im Kino gesehen habe, war ‚Krieg der Sterne‘. Da war ich zehn."
Lebte mit seiner Mutter zeitweise in einem Ashram
Diese eklektische Mischung aus Kunst und Literatur dividiert durch Popcorn und Street-Life ist der Schlüssel zu Liev Schreibers Persönlichkeit. Zu seinen kleinen Fluchten. Zu seinen großen Sehnsüchten. Sie gab ihm die Kraft, sich individuell – und mit allen Ecken und Kanten – weiterzuentwickeln. Diese Freigeistigkeit und Unabhängigkeit von kurzlebigen Trends war für Liev Schreiber stets sehr wichtig. „Ich wollte auch immer authentisch bleiben. Das hat mich wohl auch davor bewahrt, in Hollywood unter die Räder zu kommen."
Denn nach ersten Erfolgen am Theater hatte er Mitte der 90er-Jahre seinen großen Durchbruch mit der Horrorfilm-Reihe „Scream". Danach hatte er sich etabliert, spielte an der Seite von Mel Gibson, Denzel Washington und Angelina Jolie. „Für mich war es essenziell, neben meiner Filmkarriere auch Theater zu spielen." Und mit einem sympathischen Ich-habe-etwas-ausgefressen-Grinsen fügt er hinzu: „Ibsen und Wolverine unter einen Hut zu bringen hat mich immer sehr gereizt!"
Diese kreative Ambiguität spiegelt sich auch in seinem New Yorker Penthouse wider. Da steht neben Shakespeare, Hemingway und Montaigne auch E.L. James’ „Fifty Shades of Grey" im Bücherregal. Es gibt moderne Kunst und einen Konzertflügel sowie ein Fitness-Studio, bei dem Schwarzenegger vor Neid erblassen könnte. Das Herzstück seiner Wohnung ist aber der Brief, den seine Söhne Alex (12) und Kai (10) ihm zum 50. Geburtstag schrieben. Er hängt eingerahmt an der Wand. Da heißt es: „Du bist nicht nur der coolste und lustigste Vater, sondern der beste Daddy der Welt." Als er voller Stolz daraus zitiert, fangen seine kobaltblauen Augen an zu glänzen.
Liev Schreiber macht keinen Hehl daraus, dass er durch und durch Familienmensch ist; seine beiden Söhne sind für ihn das Wichtigste auf der Welt. Für sie hat er seine ehemalige Junggesellen-wohnung nach der Trennung von Hollywoodstar Naomi Watts – der Mutter seiner beiden Kinder – in ein schickes Appartement umgebaut. Und für seine Söhne ist er auch wieder endgültig von Los Angeles nach New York gezogen. „Wenn man jahrein, jahraus so erfolgreich beruflich unterwegs ist wie Nay – Naomi – und ich, ist es oft schwierig, genügend Zeit für die Familie zu haben. Das ist bei uns nicht immer optimal gelaufen. Aber ich habe daraus gelernt. Heute lehne ich schon mal Projekte ab, wenn ich das Gefühl habe, zu wenig Zeit für meine Jungs zu haben. Meine Kids stehen absolut an erster Stelle in meinem Leben."
Ein nahbarer Hollywoodstar
Obwohl sich Naomi Watts und Liev Schreiber nach einer elfjährigen Beziehung schon vor drei Jahren trennten, sieht man sie trotzdem noch oft als Familie zusammen. „Ich finde, wir kriegen das Co-Parenting ganz gut geregelt. Das Schönste und Beste ist doch zu sehen, zu was für prächtigen jungen Menschen sich unsere Kids entwickeln. Und natürlich wollen Nay und ich sie auf diesem Weg gemeinsam sehr liebevoll begleiten. Es gibt bei uns auch überhaupt keine Reibereien oder Streit, da Nay und ich uns in Erziehungsfragen immer einig waren. Und natürlich respektieren wir uns gegenseitig, auch nach der Trennung. Es wäre ja auch sehr seltsam, wenn das nicht so wäre."
Wenn er so spricht, ist der Hollywoodstar ganz nahbar. Wie um einen Beweis für sein großes Herz zu liefern, fährt er unvermittelt fort. „Wenn Sie sich fragen sollten, wie es unseren beiden Hunden geht, kann ich nur sagen: sehr gut! Woody lebt bei mir und meinen Söhnen, Will bei Nay. Ich habe beide Hunde nach dem Hurrikan Harvey, der in Texas furchtbar gewütet hat, herrenlos in einem Tierheim gefunden und sie spontan adoptiert. Und Woody und Will sehen sich oft. In Manhattan gibt es nämlich fantastische Hundespielplätze, wo wir sie oft gemeinsam ausführen."
In der Suite ist es inzwischen dunkel geworden. Jemand knipst das Licht an. Das Zeichen zum Aufbruch. Beim Hinausgehen sagt Liev Schreiber noch: „Wissen Sie, ich bin aus Liebe zum Erzählen von Geschichten Schauspieler geworden –
und nicht etwa, um reich oder berühmt zu werden. Doch wenn man plötzlich berühmt wird, ist es umso schwieriger, gewisse Eitelkeiten abzulegen. Aber mit einer starken Frau an der Seite, einer intakten Familie und Freunden, auf die man sich verlassen kann, schafft man es jeden Tag ein bisschen besser. Und soll ich Ihnen etwas verraten? Wenn ich sehe, wie bescheiden, höflich und zuvorkommend sich meine beiden Jungs in der Öffentlichkeit bewegen, dann macht mich das nicht nur stolz und glücklich: Es färbt auch auf mich ab."