Der Lufthansa Cityline-Pilot Stefan Schlums freut sich, dass es endlich wieder losgeht. Als Lotse fing er einst an und hat neben der Fliegerei ein eher ungewöhnliches Hobby.
Weißes Hemd, dunkle Krawatte, tiefblaues Sakko mit drei gelben Streifen an den Ärmeln – Stefan Schlums streift in seiner Dienstuniform über den Flughafen München und freut sich. Freut sich, dass es endlich wieder losgeht, dass er wieder in die Luft gehen kann, abheben, fliegen, wenn auch vorerst noch eingeschränkt. Drei Monate hat der smarte Mittdreißiger darauf warten müssen. Wegen der Corona-Krise. „Fast alle Angestellten bei uns sind mittlerweile in Kurzarbeit", betont Schlums.
Nichts ging mehr. Bis auf wenige Flüge völliger Stillstand. Die Jets am Boden, von klein bis groß: Bombardier, Embraer, Boeing, Airbus. Abgeparkt in Massen auf den Vorfeldern. Und weil die Vorfelder nicht mehr ausreichten, wurden sogar Taxi- und Runways umfunktioniert, entschleunigt, degradiert zu Parkpositionen. Deutschlandweit. Europaweit. Weltweit. Ein bizarres Stillleben mit einem Anflug von Traurigkeit, ja Depression. Ein unheimlicher Anblick. Etwas, das sich all jenen, die es sahen, fest eingebrannt hat.
Stefan Schlums ist Pilot bei der Lufthansa Cityline. Genauer: Co-Pilot beziehungsweise 1. Offizier. Zum Tagesgeschäft der circa 600 bei der Cityline angestellten Piloten gehören die kurzen Routen: Düsseldorf, Hamburg. Manchmal geht es auch quer über die weißen Gipfel der Alpen, nach Triest. Oder nach Nizza, das Schlums besonders reizt, weil er hier im Cockpit der CRJ900 sein fliegerisches Können zeigen kann. „Für gewöhnlich fliegt man jeden großen Flughafen in einem über 20 Kilometer langen Geradeausanflug samt Anflughilfen (ILS) an. In Nizza muss man aber aufgrund der Berge schräg über die Bucht an- und abfliegen, teilweise von Hand, also ohne Autopilot."
Bis auf wenige Flüge herrscht völliger Stillstand
Heute steht für den Youngster ein besonderes Ziel auf dem Programm: Berlin-Tegel. Besonders nicht deshalb, weil er in Berlin lebt. Sondern weil er Tegel noch nie angeflogen hat. Und es wird für ihn wahrscheinlich auch die einzige Gelegenheit bleiben, Tegel anzufliegen. Denn Berlins beliebter Innenstadtflughafen wird schließen. Für die Schließung war zunächst der 15. Juni vorgesehen. Jetzt soll er aber doch noch An- und Abflüge in den Sommerferien koordinieren, bevor er dem neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg „Willy Brandt" weicht. Den kennt Schlums wie seine Westentasche. „Im Tower war ich lange Zeit als Lotse beschäftigt", sagt er.
Lotse in Erwartung des Kommenden. Aber das Kommende kam nicht. Berlin-Brandenburg machte nicht als neues Dreh- und Angelkreuz von sich reden, sondern wegen seiner nicht enden wollenden Baupannen. Schlums saß im Tower, wo er vereinzelte Flugzeugbewegungen managte, blickte auf die Welt hinunter, sah in den Himmel und erlebte „Naturschauspiele wie aufziehende Gewitter, einzigartige Sonnenuntergänge oder das sekundenlange Verglühen eines Meteoriten während einer Nachtschicht." Und er grübelte. Was tun? Er dachte ans Fliegen, an unterschiedlichste Erfahrungen, die er neben seinem Lotsenjob gemacht hatte: „An einen Polizeihubschrauberflug als Verkehrsbeobachter, einen Fallschirmsprung, einen Ballonflug, einen Mitflug in der legendären JU52 nach Bremen." Bei so vielen tief erlebten Momenten und bei all der Expertise im operativen Geschäft lag die Antwort nahe: „Die Seiten wechseln, selber fliegen, Pilot werden!"
Gesagt, getan. Schlums investierte mehr als 70.000 Euro, entschied sich für das Modularsystem, nahm von 2015 bis 2018 Flugstunden, unter anderem in Saint Augustin und Los Angeles/USA, und hoffte darauf, eines Tages bei der Lufthansa anheuern zu können. Er heuerte an. Aber nicht einfach so, nach Absolvierung eines umfangreichen Auswahlverfahrens. „Im April 2019 wurde ich dann bei der Cityline eingestellt."
Im Flughafengebäude ist es gespenstisch
Auch wenn es erste positive Meldungen bezüglich der Wiederaufnahme des geregelten Flugverkehrs gibt, noch trägt der Flughafen München alle Anzeichen der Corona-Krise. Wir schlendern an kofferlosen Gepäckbändern vorbei, durch menschenleere Hallen und geschlossene Geschäftsstraßen. „Spooky!" bringt es eine Lehrerin aus Hamburg auf den Punkt, eine der wenigen Reisenden des heutigen Tages. Gespenstisch! Die ganze Szenerie! Selbst der Store des reichsten deutschen Fußballvereins reiht sich ein in die Ödnis. Er liegt da, als hätte sein letztes Stündlein geschlagen: dunkel, verriegelt, verwaist. Nicht eine Lounge hat geöffnet, nicht ein Café. Nur ein Imbiss. Wir kaufen uns ein Sandwich und setzen die Gespräche fort, im Gehen.
Apropos Fußball! Hier müssen wir noch ein anderes Kapitel aufschlagen. Schlums, der 1986 in der Karl May-Stadt Radebeul bei Dresden geboren wurde, ist nämlich nicht nur ein Mann der Lüfte, er kann auch ganz anders sein, ganz bodenständig. Das Hobby, das er in seiner Freizeit auslebt, ist ungewöhnlich, und wahrscheinlich gibt es für diese wilde Mischung kein zweites Beispiel in Deutschland. Sofern es sein Dienstplan zulässt, tauscht der gebürtige Sachse am Sonntag Uniform gegen Trikot und läuft über die Fußballplätze der Berliner Landesligen. Nicht als Spieler. Sondern als Schiedsrichter.
Echt crazy, mag man denken, angesichts der im Fußball herrschenden rauen Umgangsformen! Schlums aber liebt den Sport und ist „überzeugt, dass der Weg als Schiedsrichter mit all seinen Herausforderungen gerade in jungen Jahren entschieden dazu beigetragen hat, die heute für meinen Beruf unabdingbaren Eigenschaften zu entwickeln: Selbstständigkeit, Organisation, Verantwortungsbewusstsein, Lösungsorientierung, Diplomatie, Konfliktbewältigung".
Ein gutes Stichwort zum Schluss. Nach dem Lockdown sehnen sich viele nach Bewegung, Reisefreiheit, Flügen. Gleichzeitig werden, davon ist auszugehen, wieder die kritischen Stimmen um Greta Thunberg laut. Schlums kann das nachvollziehen, bleibt auch hier ganz auf dem Boden. „Man muss der Realität ins Auge sehen: Wenn man in kürzester Zeit so weite Wege zurücklegen will, geht das nur über große Mengen Treibstoff. Effizienter und damit umweltschonender fliegt man heute mit immer größeren Fan-Triebwerken, die den größten Teil ihres Schubs nur noch über den äußeren Kaltmantelstrom generieren. Die Lufthansa Group ist in diesem Bereich sehr aktiv, sei es durch die umfangreiche Einflottung modernster Jets wie des Airbus A350 oder demnächst der Boeing 777X, durch die Förderung alternativer und emissionssparender Treibstoffe oder durch den konsequenten Einsatz für einen einheitlichen europäischen Luftraum."