Vor zehn Jahren wurde das Projekt Bliesgauhocker ins Leben gerufen. Noch in diesem Jahr soll das 100. Objekt entstehen. Das individuelle Möbelstück ist ein Sitzobjekt, das gleichzeitig ökologische, soziale und künstlerische Aspekte vereint.
Auf den ersten Blick ist es ein schlichter Hocker. 48 Zentimeter hoch, die Sitzfläche beträgt 40 mal 40 Zentimeter. Mehrere Holzsorten wurden verbaut. Puristisch in seiner Form, ästhetisch in seiner Natürlichkeit. Doch der Bliesgauhocker ist viel mehr als nur ein einfaches Möbelstück. Er ist auch Botschafter einer Region und ein Kunstwerk, dem eine Philosophie zugrundeliegt. Für Rudolf Schwarz, der das Projekt initiiert hat, symbolisiert der Hocker „Einfachheit in seiner Komplexität".
Die Idee dazu ist vor zehn Jahren entstanden. „Ich war damals Mitglied im Vorstand des Biosphärenvereins Bliesgau und mir fiel auf, dass es keinen Botschafter für die Region gab", erinnert sich der Künstler, der hierzulande als Kunstschäfer bekannt ist. Das Totholz in der Landschaft inspirierte ihn zu dem Hocker. In Zusammenarbeit mit dem Christlichen Jugenddorf entstand der erste Prototyp aus Fichtenholz.
Heute besteht der Bliesgauhocker aus mindestens sieben Holzsorten – Buche, Apfel, Eiche, Kastanie, Birne, Wildkirsche, Zwetschge und Nussbaum. Sie entstammen ausschließlich aus Totholz aus dem Bliesgau. Es wird vier bis fünf Jahre an der Luft getrocknet und von Jugendlichen mit besonderem Förderungsbedarf während ihrer Ausbildung in der Schreinerei des Christlichen Jugenddorfs zu Hockern verarbeitet und das ohne Schrauben, nur mit klassischen Schreinerverbindungen.
Die handsignierten Unikate kosten 260 Euro. Im Preis enthalten sind 50 Euro für die Pflanzung eines Hochstamm-Obstbaums auf einem vom Verein Bliesgau-Obst bewirtschafteten Gelände. Käufer können nicht nur beim Setzen des Baumes dabei sein, sondern auch die Früchte ernten.
Als das Projekt 2010 präsentiert wurde, bezeichnete die damalige saarländische Umweltministerin Simone Peters den Bliesgauhocker als „Objekt mit sozialer, künstlerischer und philosophischer Ausprägung". Sie lobte unter anderem den Kreislauf, das Totholz für den Bau des Hockers der Natur zu entnehmen und ihr durch die Pflanzung eines Hochstamm-Obstbaumes einen Anteil zurückzugeben.
Zeitlos, individuell und langlebig
Bald waren die ersten Bäume gepflanzt und die ersten Hocker verkauft. Heute gibt es rund 90 dieser besonderen Botschafter der Region. Die 100er-Marke wird nach Angaben von Rudolf Schwarz noch in diesem Jahr erreicht werden.
„Es ist ein Produkt, das Nachhaltigkeit, Regionalität, Identität und eine soziale Komponente in sich vereint und diese für das Biospährenreservat Bliesgau wichtigen Eigenschaften in die Region trägt und bundesweit kommuniziert", sagt der 85-Jährige. Gleichzeitig symbolisiere der Bliesgauhocker als kulturelle Metapher Sesshaftigkeit, Standhaftigkeit und Einfachheit in seiner Komplexität. Seine Authentizität sei in einem Zitat von Rudolf Steiner begründet: „Man soll keine Erscheinungen bilden, Erlebtes soll Erscheinung werden." Rudolf Schwarz spricht in diesem Zusammenhang vom „philosophischen Überbau" des Bliesgauhockers. Er sei ein „Gegenstand des Denkens und Erkennens, ein Kunstwerk der Gegenwart, eine Erscheinung aus Immanuel Kants Sinnenwelt sowie ein Objekt der Konzeptkunst."
Die Konzeptkunst, die sowohl von der Entmaterialisierung des Kunstwerks als auch von der Einbeziehung des Betrachters geprägt ist, nimmt einen großen Teil des künstlerischen Schaffens von Rudolf Schwarz ein. Auf seiner Internetseite präsentiert er unter anderem die Syno-Kapelle. Die begehbare Raumskulptur aus Lehm und Holz soll zugleich als Ort der Begegnung und Besinnung sowie auch als symbolischer Ursprung des Bliesgauhockers dienen, denn in ihr könnten die benötigten Hölzer getrocknet werden. Bisher konnte das Konzept noch nicht umgesetzt werden.
Botschafter aus der Bliesgauregion
Auch Skulpturen zählen zum Œuvre des in St. Ingbert geborenen Künstlers. Natürliche Materialien wie Holz und Widderhörner spielen dabei eine wichtige Rolle. Er war bereits an vielen Ausstellungen in der Region beteiligt und als Architekt tätig. Im Leben von Rudolf Schwarz gibt es noch eine weitere Leidenschaft: Er absolvierte – nach Maurerlehre und Architekturstudium – eine Schäferlehre, legte die Gesellenprüfung erfolgreich ab und hielt bis zum vergangenen Jahr eine Heidschnucken-Herde mit rund 120 Schafen auf einer Koppel. Der Beiname „KunstSchäfer" lag deshalb nicht weit.
Besonders wichtig ist ihm das Bündnis, das 2012 zwischen dem Projekt Bliesgauhocker und dem „Mobile Biosphärenreservat Bliesgau" geschlossen wurde. Das sinnbildliche Mobile, entwickelt von Peter Michael Lupp, Kulturreferent beim Regionalverband Saarbrücken, besteht aus zehn Leitgedanken, die Handlungsfelder beschreiben: Klimaschutz und Energie, Bildung für nachhaltige Entwicklung, demografischer Wandel, nachhaltiges Wirtschaften, Stadt-Land-Beziehung, Kulturlandschaft, biologische Vielfalt, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Kultur und Ethik. Der Bliesgauhocker füge sich perfekt in das Konstrukt des Mobiles, betont Schwarz. „Über die Handlungsfelder Kultur und Ethik hat sich für mich ein vertiefter Zugang zu den synergetischen Zusammenhängen dieser zentralen Handlungsfelder erschlossen. Intuitiv haben sich diese mit meinem Konzept inhaltlich verwoben."
Dass manche den Bliesgauhocker nur als Möbelstück sehen, ist für den Künstler in Ordnung. Gerne erzählt er von einem saarländischen Paar, die einen Hocker für ihren Sohn gekauft haben, der in die Schweiz ausgewandert ist. Ihm gehöre damit nicht nur ein Holzhocker, der ihn mit seiner Heimat verbindet, sondern auch ein Obstbaum im Bliesgau.