Das Abstandsgebot erschwert Flirtversuche ungemein
Zutritt, Kontrolle, Abstand, gestaffelter Einlass – Besuchermanagement in Corona-Zeiten hat Hochkonjunktur. Vor jedem Supermarkt steht ein Türsteher und drückt einem den Einkaufswagen in die Hand, auch wenn man nur schnell eine Tüte Milch kaufen möchte. Im Restaurant werden Sie wieder platziert, wobei der Empfangschef streng darauf achtet, dass Ihnen kein fremder Gast näher als 1,50 Meter kommt. Selbst im Biergarten steht am Eingang eine Direktrice, die Namen und Adresse aufschreibt und dann eine Bank zuweist. Wer noch nicht dran ist, muss warten – mit Sicherheitsabstand versteht sich.
Die Schulen und die Kitas haben zaghaft wieder geöffnet, aber auch hier gilt: Lukas darf nicht mit Sophie spielen, die gehört in eine andere Gruppe. Die Zehntklässler dürfen montags, mittwochs und freitags kommen – die Neuner an den anderen Tagen. Die Dritt- und Viertklässler haben manchmal morgens zwei oder nachmittags drei Stunden Unterricht – die Tage wechseln. Fußball spielen auf dem Schulhof ist nicht erlaubt. In der Klasse herrscht das übliche Abstandsgebot. Singen und Sport fallen aus – dabei könnten zu viele Viren versprüht werden. Und die älteren Lehrer bleiben zu Hause, das Lehrerzimmer dünnt sich aus. Wer kommt, ist schnell wieder weg – bloß nicht zu viel Kontakt.
Jedes Museum lässt nur abgezählte Besucherkontingente ein. Ist deren Zeit um, dürfen die nächsten rein. Baumärkte, Kaufhäuser, Shopping-Malls machen es genauso. Wer denkt, dass da ein paar Leute unvermittelt irgendwo herumstehen, kann sich täuschen: Meist ist es das Ende einer Warteschlange. Überhaupt: Schlangen erreichen in diesen Zeiten phänomenale Längen. Bei 1,50 Meter Zwischenraum kommen schnell mehr als 200 Meter zusammen. Bei manchen Supermärkten konnte man vor Feiertagen beobachten, dass sich der Lindwurm dreimal in sich drehte – fast wie früher am Flughafen mit den gelben Absperrbändern.
Und was tut der moderne Mensch? Er schweigt, fügt sich und duldet. Dabei bedeutet „Besuchermanagement" nicht viel anderes, als eine Herde zu hüten: wie viele Schafe auf die Weide dürfen, wann sie wieder gehen und den nächsten Platz machen müssen, wer wo sitzen, sich bewegen, fressen und schlafen darf. Es wird so kommen, dass Touristen nur noch in Gruppen geduldet werden, erkennbar an den gleichen Mützchen oder T-Shirts, von Ort zu Ort eilend, immer schön auf Abstand und die Maske im Anschlag. Einzelreisende sind verdächtig, weil sie als potenzielle Virenträger nicht unter Kontrolle sind. Selbst an den Stränden wird es Abstandsgebote und maximale Belegungsmöglichkeiten pro Strandabschnitt geben. Schwimmbäder werden nur noch Formationsschwimmen zulassen – und das können am besten die Rentnerinnen. Quertreiber gelten als gesundheitsgefährdend.
Und da stößt man auf des Pudels Kern: Wer querschießt, ist eine Gesundheitsgefahr. Vorbei damit, sich im Biergarten einfach mal auf eine Bank zu den anderen zu setzen und ein Gespräch anzufangen. Das Misstrauen ist mit den Händen zu greifen. Vorbei der Flirt mit der sympathischen Dame am Nachbartisch – es führt kein Weg dahin, die 1,50 Meter bleiben gewahrt – und versuchen Sie mal, auf die Distanz hin zartfühlende Gedanken und geistreiche Komplimente auszutauschen.
Wer traut sich denn noch, im Supermarkt mit jemand Wildfremden beim Käsestand einfach ein Gespräch über die Vorzüge der einzelnen Sorten zu beginnen? Hotelbars am Abend werden zu noch einsameren Orten als sie es schon immer waren. Und weil es kein Theater und kein Kino gibt, fehlt es auch an Gesprächsstoff, der über das Wetter und die unvermeidliche Corona-Krise hinausgeht.
Wie wird es sein, wenn das alles mal wieder vorbei ist – der Mummenschanz, die Besucherlenkung, die ganzen Abstandsgebote? Werden die Menschen sich dann überhaupt trauen, sich wieder näherzukommen? Sich die Hand zu geben, auf Pariser Art mit Küsschen links und Küsschen rechts zu begrüßen, herzhaft zu umarmen, auf die Schulter zu klopfen? Das Virus lauert und lauert – und angeblich sind wir erst sicher, wenn es einen Impfstoff gibt. Bis der kommt, sagen die Virologen, kann es zwei bis fünf Jahre dauern.