Ein Wochenende, zwei Erfahrungen – eigentlich müsste damit alles klar sein.
Vor gerade mal vier Wochen haben wir auf der Freundschaftsbrücke in Kleinblittersdorf ein symbolisches Schlagbaumzersägen beklatscht und danach – unter kritisch-wohlwollenden Grenzschutzaugen – verbotenerweise drei Schritte auf französischen Boden gesetzt. Diesmal war unser Mitternachtsspaziergang legal. Durch ein schlafendes Grosbliederstroff, vorbei an Kirche, Friedhof und Synagoge, etwas unterhalb von „unserer Bäckerei", die womöglich sehnsüchtig nicht nur auf unseren gewohnten Einkauf wartet. Bei unserem nächtlichen Spaziergang punktgenau zum offiziellen Ende der Grenzkon-trollen waren wir allein. Am nächsten Tag erzählten Kollegen, dass sie das Grenzöffnungswochenende ganz ähnlich genutzt haben. Und damit dürften wir nicht allein gewesen sein. Das gab dann zwar keine großen Kundgebungsfotos her, sagt aber mehr aus als manch feierliche Resolution – so wichtig und notwendig die auch sind.
Zuvor hatte ich am selben Wochenende bei einem Besuch „im Reich", weit weg von Grenzkontrollen, einen Disput mit einem Menschen, der sich mit seinem grundsätzlichen Misstrauen schon mal in den Grenzbereich zu Verschwörungstheorien begibt. Und ausgerechnet der meinte zu meinem Erstaunen, die einzige Lösung könne jetzt wohl nur Europa sein. Ausgerechnet das Europa, das ansonsten immer für allerlei merkwürdige Theorien gut ist! Beide Erfahrungen zusammen scheinen nicht die schlechteste Basis, um aus der Coronagrenzzeit notwendige Konsequenzen zu ziehen.
Allem Pessimismus zum Trotz, dass der „neue Alltag" (oder wie auch immer das Ding heißen soll) alles alsbald in den alten trägen Trott zurückfallen lässt, würde ich mich gerne auf einen Satz „unseres" französischen Abgeordneten Christoph Arend stützen: Es habe wohl noch nie so viele intensive (grenzüberschreitende) Gespräche und Kontakte gegeben wie zu Zeiten der Grenzkontrollen und -schließungen.
Wenn das, gesagt bei der Zersägeaktion auf der Freundschaftsbrücke, mehr Substanz hatte als ein Mutmachen in schwierigen Zeiten, sollte, ja muss sich das jetzt in Taten zeigen. Der vor einem guten Jahr besiegelte Aachener Vertrag hat Möglichkeiten für Grenzregionen eröffnet. Wenn Corona, wie vielfach beschworen, so vieles ungeahnt beschleunigt hat, dann bitteschön auch dafür. Und zwar schnell. Bevor sich die Verwundungen der Coronazeit zu kaum ausrottbaren Mythen verfestigen.