Lufthansa, Autozulieferer, Familien mit Kindern, Solo- Selbstständige, Künstler oder Unternehmen: Die Bundesregierung war in den vergangenen zwölf Wochen finanziell um fast alle bemüht. Doch Menschen mit Minijobs und prekär Beschäftigte fallen durch das Raster.
Klara ist eine echte Businessfrau. Allerdings sitzt sie nicht im Vorstand eines Unternehmens. Die 38-Jährige ist geschieden und hat nicht nur drei schulpflichtige Kinder, sondern auch gleich drei Jobs. Sie arbeitet tagsüber in einem sozialversicherungspflichtigen Minijob in einer Buchhandlung. „Abgesehen davon, dass das mein Lehrberuf ist, ist er ganz wichtig wegen der Krankenversicherung", sagt Klara*. Doch an einen Vollzeitberuf ist nicht zu denken, der stationäre Buchhandel kämpft schließlich seit Jahren ums Überleben. Dann ist Klara noch Serviererin in einem „Plüsch Café", wie sie sagt: Kaffee und Kuchen in einer Konditorei wie in den 60ern in einem Berliner Nobelviertel. „Der Job macht Spaß, wird pro Stunde gut bezahlt und obendrein gibt es Trinkgeld." Und das nicht zu knapp. Dieses Geld ist ihr „Taschengeld". Im Klartext: bar auf die Hand. Es kommt bei ihr zu Hause, oben auf dem Küchenschrank, in ein Sparschwein. Der nächste Sommerurlaub muss auch irgendwie bezahlt werden. Damit noch nicht genug, Klara arbeitet auch noch als Schlittschuh- und Inlineskate-Trainerin. Hier bekommt sie vom Verein offiziell eine kleine Aufwandsentschädigung. „Das ist ganz gut, aber ich werde oft angesprochen auf persönliche Trainerstunden". Die gibt sie dann nur zu gern, denn auch das ist ein weiteres „Taschengeld". Mit dem Shutdown war das alles von einem Tag auf den anderen Tag beendet. Die Buchhandlung, die Konditorei und die Trainingsfläche waren zu. Sie musste von dem kleinen Buchhandels-Minijob leben, das Sparschwein auf dem Küchenschrank war bereits nach drei Wochen leer. Klara hoffte, sie habe Anspruch auf die Soforthilfe.
Doch kein Anspruch auf Soforthilfe
Die hat sie auch bekommen, aber Anfang Juni „kam der böse Brief, ich bin nicht berechtigt, weil ich im Minijob festangestellt und damit keine SoloSelbstständige bin". Sie könne aber beim Jobcenter Hilfe beantragen. Ihre Buchhandlung ist zwar nun wieder offen, aber allein von dem Geld kann sie nicht leben. In der Konditorei ist für sie nichts zu holen, der Betreiber ist froh, wenn er seine Festangestellten beschäftigen kann. Kein Wunder, er hat nicht mal mehr die Hälfte seiner Plätze zur Verfügung, wegen der Abstandsregeln. Und wann ihr Verein mit dem Training wieder beginnt steht in den Sternen. Ebenso ist unklar, wann die Trainingsfläche eröffnet wird. Klara wird wohl beim Jobcenter vorstellig werden müssen.
Diese Möglichkeit hat Udo* nicht, obwohl er auch durch das Netz der Konjunkturpakete fällt. Der 68-Jährige lebt von Grundsicherung. Aber der Rentner ist darüber nicht unglücklich, „ich habe bald 50 Jahre Gastronomie hinter mir und da nicht wirklich viel ‚geklebt‘", also in die Rente eingezahlt. Damit landete er im Rentenalter in der Grundsicherung. Doch Udo ist der Gastronomie treu geblieben, nun nicht mehr im edlen Restaurant am Gendarmenmarkt, sondern, im Sommer, in einem Büdchen in einem der Berliner Strandbäder. Er bekommt dort genau den Monatslohn, den er laut Grundsicherung ohne Abzüge verdienen darf. „Den Rest regeln wir dann über mein Stundenkonto", lacht Udo. Was er im Sommer laut seinem Minijob-Vertrag an „Überstunden" ansammelt und damit zu viel arbeitet, wird dann im Winter abgebummelt, für den Fall, dass mal jemand nachfragt. „Das Entscheidende für mich ist das Trinkgeld und dass ich im Sommer zu Hause überhaupt keine Lebenshaltungskosten habe. Frühstück, Mittagessen und Abendbrot bekomme ich in meinem Büdchen", erzählt der 68-Jährige. So kommt er dann auch mit der Grundsicherung über die Runden. Nach dem letzten Supersommer hat sich Udo dann sogar mal ein neues Mountainbike geleistet, „das Ding hat fast 1.000 Euro gekostet, und das war mein Trinkgeld" erzählt er stolz. Damit kann er in diesem Sommer viele schöne Touren machen. Allerdings wird er sich seine Brotzeit und Selters mitnehmen. Denn den Biergarten wird er sich in diesem Jahr nicht leisten können: Seinen Job im Strandbad muss er aussetzen. Normalerweise können in dem Bad bis zu 10.000 Menschen toben, momentan dürfen es noch 400 sein. Der Pächter fährt den Betrieb im Notmodus, das Büdchen ist zwar offen, aber dort steht er jetzt selbst drin. Doch Udo ist nicht sauer auf seinen Chef, „Wenn der Senat so eine Idiotenentscheidung trifft und nur noch 400 Menschen in so ein riesiges Strandbad lässt, dann kann mein Chef doch nichts dafür, der steht ja selber beinahe vor dem Konkurs." Udo hat eine kleine Hoffnung: „Das halten die nicht lange durch. Lass, wie im letzten Jahr, die Temperatur wochenlang über 30 Grad sein, dann rennen die denen den Laden über den Haufen." Er drückt die Daumen, dass die jetzige Regelung aufgehoben wird und sein Büdchen spätestens im Juli doch wieder öffnet, denn er hat keinerlei Ansprüche auf irgendeines der aufgelegten Hilfsprogramme.
„Den Verlust hole ich nicht mehr rein"
Daniel* ist eher Marke Lebenskünstler. Er hat schon alles gemacht, ist im Kabarett aufgetreten, hat einen Travestie-Club geleitet oder Stars mit einer Limousine vom Flughafen abgeholt und ins Hotel gefahren. Heute ist der 58-Jährige auf dem Flohmarkt gelandet. Da er selbst den Sprung zum Filmstar nicht geschafft hat, verkauft er nun deren Filme auf DVD. Er bekommt eine Erwerbsunfähigkeitsrente, stockt den Rest mit Hartz IV auf und darf ganz offiziell als kleiner Händler bis zu einem bestimmten Satz mit seinen DVDs Umsätze erzielen. Das macht er natürlich auch, ganz offiziell. Wenn er abends nach dem Flohmarkt in der Bank sein Geld einzahlt, achtet er immer drauf, dass er nicht über den für ihn geltenden Satz kommt. Was drüber ist, bleibt bar im Portemonnaie, „das ist dann mein Kostgeld für die Woche, anders geht das auch gar nicht, nur von EU-Rente und Hartz IV kann kein Mensch leben." Schon gar nicht, nachdem in den letzten fünf Jahren die Mieten in Berlin geradezu explodiert sind. Doch auch sein Flohmarkt fand zehn Wochen nicht mehr statt, „da wurde es ganz eng, weil der direkte Verkauf funktioniert immer besser als im Internet. Das bringt nichts ein, da die Konkurrenz riesengroß ist und die Preise damit total im Keller sind." Auch Daniel hat keinerlei Anspruch auf Hilfen. „Die haben uns echt vergessen, denn jeder in der Politik weiß doch, wie wir prekär Beschäftigten über die Runden kommen, das ist doch auch so eingepreist", schimpft er. Seit Mitte Juni sitzt er wieder jeden Sonntag an seinem Stand, ist aber weniger mit Beratung beschäftigt als vielmehr mit den Abstandsregelungen, „Aber egal, ich brauche das Geld. Doch eines ist klar: Den Frühjahrsverlust hole ich niemals mehr rein." Und damit ist er nicht allein.