Wenn Lebensmittel teurer werden, spüren das als erste die Menschen mit dem knappsten Budget. Die Preise einiger Lebensmittel sind mittlerweile deutlich gestiegen, vor allem für Obst und Fleisch. Doch dafür sanken die Energiekosten.
Die Tomaten glänzen verlockend knallrot, aber mit vier Euro das Kilo sind sie nicht billig, jedenfalls hier in der Markthalle. Es gibt Unterschiede, die kleinen Partytomaten kosten sogar noch etwas mehr. Bei Aldi oder Lidl sind sie billiger, bei der Biocompany etwas teurer. Brokkoli kostet 2,50 Euro das Stück, Zucchini sind mit drei Euro das Kilo sogar noch recht günstig. Wieviel Gemüse kann sich da ein Mensch leisten, wenn er von staatlicher Unterstützung lebt?
Viel kann man sich von Hartz IV nicht kaufen, das war auch nie beabsichtigt. Aber davon leben soll man schon können: Hartz IV soll das Existenzminimum sichern und das Geld soll ausreichen, das dafür Notwendige zu kaufen. Zudem wird der monatliche Satz jedes Jahr angepasst an steigende Lebenshaltungskosten. Aktuell bekommt eine einzelne Person 432 Euro pro Monat als Regelsatz, das sind acht Euro mehr als im Jahr zuvor. Der Aufschlag von knapp zwei Prozent entspricht in etwa der Inflationsrate.
Corona hat die Wirtschaft, auch die Landwirtschaft, heftig erwischt – also auch die Preise, sollte man meinen. Und es gab einige Hinweise darauf: So konnte man in den ersten Wochen der Pandemie beobachten, wie die Preise für Lebensmittel kletterten. Hamsterkäufe und Lieferengpässe haben das bewirkt, was zu erwarten war: steigende Preise. Während sich die Lage bei Toilettenpapier und Desinfektionsmitteln inzwischen wieder normalisiert hat, sind frische Lebensmittel immer noch deutlich teurer als vor der Krise.
Waren das nur Ausnahmen? „Die Preise einiger frischer Lebensmittel haben deutlich auf Corona reagiert", sagt Experte Thomas Els von der Agrarmarkt Informationsgesellschaft AMI. Hier haben der Mangel an Erntehelfern und der höhere Aufwand für die Ernte und den Transport eine Rolle gespielt, der durch die Corona-Gesundheitsvorschriften für die Erntehelfer nötig geworden ist. Bei Brokkoli und Zucchini etwa hatten sich die Preise zweitweise fast verdoppelt. Grund dafür waren Einschränkungen bei der Ernte, vor allem in anderen EU-Ländern wie Frankreich und Spanien. Aber daneben gibt es auch andere Beispiele: Lagerfähige Produkte wie Zwiebeln und Kartoffeln wurden eher günstiger. „Derzeit ist vor allem Obst, insbesondere Äpfel teurer geworden. Beim meistverkauften Obst merken das die Menschen", so Els. Im Juni war nach vorläufigen Daten frisches Obst rund 20 Prozent teurer als im Vorjahresmonat.
Das bestätigen die offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Großen und Ganzen. Preisanstiege um rund zehn Prozent gab es demnach im Mai vor allem für Obst und Fleisch. Lebensmittel insgesamt waren im Mai 4,5 Prozent teurer als vor Jahresfrist. Aber da Lebensmittel nur einen Anteil von 8,5 Prozent im Warenkorb ausmachen, merkt der Normalbürger am Ende des Monats kaum etwas im Geldbeutel.
Zumal der Preisanstieg bei Lebensmitteln von anderen Produkten kompensiert wurde, die günstiger wurden. Das waren zuletzt vor allem Kraftstoffe und Heizöl. Dadurch ist die Inflationsrate insgesamt weiter gesunken, auf zuletzt nur noch 0,6 Prozent, die niedrigste Rate seit fast vier Jahren. Für viele Ökonomen ist die Rate sogar schon zu niedrig. Sie befürchten gar eine Deflation, also dauerhafte Preisrückgänge. In einer schweren Rezession könnte das durchaus passieren.
Hinzuverdienstgrenzen sollten erhöht werden
Experte Els gibt jedoch zu bedenken, dass der Warenkorb des Statistischen Bundesamtes noch aus dem Jahr 2015 stammt. „Der gibt das reale Kaufverhalten im Mai 2020 natürlich nicht wieder". So blieben die Menschen mehr zu Hause und kochten sich mehr selbst. Dafür dürften die Ausgaben für Benzin, Restaurantbesuche und Reisen geringer ausgefallen sein. Viele dürften durch Corona gar keine finanziellen Nachteile erlebt haben. Viele Menschen haben weniger Geld ausgegeben als sonst, die Sparquote stieg auf ein neues Hoch. Sie fuhren nicht in Urlaub, gingen weniger ins Restaurant und kochten eben mehr selbst – was allemal billiger ist.
Aber was für normale Berufstätige gilt, gilt nicht für diejenigen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, sprich Hartz-IV-Bezieher. Für sie ist der durchschnittliche Warenkorb nicht maßgeblich. Sie geben einen verhältnismäßig großen Anteil ihres Budgets für Lebensmittel aus. So sind vom Regelsatz von 432 Euro im Monat 150 Euro für Lebensmittel gedacht, also etwa fünf Euro pro Tag. Das kann bei sehr sparsamer Haushaltsführung gerade einmal ausreichen, ist aber schon sehr knapp kalkuliert. Wenn sich dann die Preise für das Lieblingsgemüse verdoppeln, ist das schon schmerzhaft. Laut einer Umfrage des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes glaubt eine Mehrheit der Betroffenen, eigentlich wären 300 Euro nötig für eine gesunde und ausgewogene Ernährung.
Einige Experten warnen daher nun, dass die Betroffenen bei gesunder Ernährung sparen könnten. Wobei man sicher darüber streiten kann, wie viel Geld sie vorher für gesunde Ernährung ausgeben konnten. So beklagen die Ernährungsaktivisten von Foodwatch, dass es nun ärmeren Menschen noch schwerer falle, sich ausgewogen zu ernähren. Sie fordern von der Politik, etwas gegen sogenannte Ernährungsarmut zu tun. Die betreffe vor allem Kinder: „Sind Vitamine und Mineralien nicht altersentsprechend ausreichend, so drohen körperliche und kognitive Entwicklungsstörungen", zitiert die Organisation den Ernährungsmediziner Hans-Konrad Biesalski.
Ähnlich argumentiert die Verbraucherzentrale NRW: „Gesunde Ernährung darf keine Frage des Geldbeutels sein", erklärt deren Vorstand Wolfgang Schuldzinski. Er fordert daher eine Anhebung der Verpflegungssätze bei Hartz IV, damit auch Personen mit einem geringen Einkommen die Chance auf eine gesunde Ernährung haben.
Ein Aufschlag von 100 Euro auf Hartz IV wurde jetzt von vielen gefordert, darunter den Sozialverbänden – und von der großen Koalition auch zwischenzeitlich in Erwägung gezogen, fiel dann aber letztendlich doch beim zweiten Konjunkturpaket durch.
Unter denen, die einen Aufschlag fordern, ist auch der Soziologe und Armutsforscher Christoph Butterwegge von der Universität Köln. Von den Corona-Rettungspaketen komme bei den armen Menschen nichts an, sagt er. Daher solle der Hartz-IV-Regelsatz um mindestens 100 Euro erhöht werden – dauerhaft. Auch die rheinland-pfälzische Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) fordert eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze.
Ein ganz anderes Problem für viele Hartz-IV-Bezieher ist, dass sie weniger Chancen haben, sich irgendwo etwas dazu zu verdienen. Viele Gelegenheitsjobs sind coronabedingt weggefallen. Rund eine Million Menschen mit Hartz IV arbeiten legal nebenher. Nun hat der Bundesrat auf Initiative der Landesregierung von NRW gefordert, die Hinzuverdienstgrenzen zu erhöhen. Das wäre immerhin etwas.