Die aktuelle Entwicklung im Krankenhausbereich ist logische Konsequenz früherer Reformen, sagt Michael Quetting. Der Gewerkschafter fordert als Konsequenz aus den Erfahrungen der Pandemie eine Abkopplung vom rein ökonomischen Prinzip. Seine Idee für das Saarland: das Land als eine Gesundheitsregion mit einer landesweiten Verbundklinik.
Herr Quetting, die Krankenhauslandschaft im Saarland sorgt mal wieder für heftige Schlagzeilen. Was ist da los?
Es ist tatsächlich ein großes Durcheinander und Ausdruck davon, dass viel in Bewegung ist. Und wenn ich jetzt dort 200 Millionen ausgebe, dann gibt es viele Begehrlichkeiten und viele, die an die Fleischtöpfe möchten.
Die 200 Millionen beziehen Sie auf die aktuellen Programme als Antwort auf die Corona-Krise?
Genau.
Die Diskussion um die Krankenhauslandschaft gibt es ja nicht erst in jüngster Zeit und seit Corona. Seit wann steht eigentlich im Raum, im Saarland gebe es zu viele Betten und zu viele kleine Häuser?
Zumindest seit Ende des letzten Jahrtausends. Aber eigentlich liegen die Ursachen tiefer. Wir haben zunächst den Kompromiss zu dem 1992 beschlossenen Gesundheitsstrukturgesetz, den sogenannten „Lahnstein-Kompromiss". Man hat dort mit Zuzahlungen und der Streichung von Leistungen begonnen. Und dann ist, egal wer regiert hat, das System immer mehr dem Wettbewerb untergeordnet worden. Eigentlich steckte nach meiner Einschätzung dahinter, dass man die Exportnation durch eine Reduzierung der Lohnnebenkosten wettbewerbsfähiger machen wollte. Dabei waren die Ausgaben im Gesundheitswesen gar nicht so teuer, die lagen immer so zwischen elf, zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es war eine ideologische Auseinandersetzung um den Jahrtausendwechsel. In diesem Zusammenhang wurde auch immer über die Krankenhausdichte diskutiert, insbesondere im Ruhrgebiet und im Saarland. Also industrielle Gebiete, wo die Dichte in der Tat höher war. Wobei die Betten ja nicht leer standen. Es ging immer darum, wie man das System billiger machen kann.
Entscheidender für die aktuelle Situation ist aber doch das System der Fallpauschalen?
Die kamen 2003, und damit hatte man ein wirklich cleveres ökonomisches System, das der Politik die Verantwortung abnimmt. Als Kommunalpolitiker brauche ich dann kein Krankenhaus zu schließen. Wenn der Träger pleite macht, dann macht er halt pleite. Damals hatten wir bundesweit noch um die 2.500 Häuser, und es gab schon die Debatte, dass zwei Drittel davon verlorengehen. Die Leopoldina (Deutsche Akademie der Naturforscher, Anm. d. Red.) hatte zuletzt die Zahl von 300 in die Debatte geworfen, die gebraucht würden.
Im Saarland wurde immer wieder kritisiert, das Land komme seinen Investitionsverpflichtungen nicht nach. Die Rede war von etwa 400 Millionen Investitionsstau. Leistet das der Entwicklung Vorschub?
Es war natürlich sehr schwierig, unter den Bedingungen der Schuldenbremse den Investitionsverpflichtungen nachzukommen. Aber auch die anderen Bundesländer haben das nicht umgesetzt. Im Durchschnitt kann man sagen, dass die Länder ihrer Verpflichtung nur zur Hälfte nachkommen. Das führt zu folgender Situation: Wenn ich als Träger investieren will – was ich im Wettbewerb ja muss –,
mir das Land das Geld dafür aber nicht gibt, bleibt mir eigentlich nur, dass ich die Gewinne aus dem DRG-System (Fallpauschalen, Anm. d. Red.) nehme. Das ist rechtlich außerordentlich problematisch, denn das sind ja Versichertengelder, die nach einem komplizierten Schlüssel je nach Krankheit ausgezahlt werden und zwar zur Behandlung der Menschen und nicht, um neue Geräte anzuschaffen oder einen Umbau vorzunehmen. Durch diese Praxis ist noch mehr Druck auf das System gekommen, in dem ohnehin schon enormer Druck in Richtung Rationalisierung steckt. Und der wird von Jahr zu Jahr größer.
Das bedeutet, dass die derzeitigen Standortdiskussionen im Land Folgen eines Systems sind, das auf einen Konzentrationsprozess mit wenigen großen Häusern abzielt, also logische Konsequenz?
So ist es. Wobei es die Größe alleine nicht macht, sondern die Spezialisierung. Als Patient gehe ich dorthin, wo die Erfahrung am größten ist, wo also beispielsweise eine große Zahl von Operationen gemacht wird. Deshalb gibt es als Qualitätskriterium die Mengenangabe. Wobei das aus meiner Sicht auch problematisch ist, weil die Gefahr besteht, bei einer großen Zahl in Routine abzugleiten. Auf jeden Fall führt das dazu, dass die, die Grund- und Regelversorgung machen müssen, abgehängt werden. Eine Knieoperation können Sie am Fließband machen, das ist berechenbar. Ein Kaiserschnitt ist minutenmäßig planbar. Es hat ja einen Grund, warum wir keine Kreißsäle mehr haben. Es leiden also die Kleinen, die Grund- und Regelversorgung machen, die konservativen Bereiche, die eine Arzt-Patienten-Beziehung aufbauen. Bezahlt werden die Operationen, die Prozeduren, die mit viel Technik und Geräten verbunden sind. Schwierig wird es übrigens auch für die Uniklinik, die zwar sehr spezialisiert ist, aber auch alles machen muss.
Welche Lehren kann man aus den Erfahrungen der vergangenen Monate ziehen?
Wenn man sich vorstellt, wir hätten während der Pandemie nur ein oder zwei Kliniken im Saarland gehabt, kann man sich vorstellen, was das heißt. Das war ja die Idee: Wenn ich sage, bundesweit reichen 300, dann hätten wir im Saarland nur eine, vielleicht zwei.
Nun haben wir eine Zahl von Schließungen bereits erlebt beziehungsweise wurde diese gerade angekündigt. Was bleibt übrig?
Im Moment erleben wir eine außerordentlich spannende Auseinandersetzung über die Zukunft des Gesundheitswesens und der Krankenhäuser und die richtigen Schlussfolgerungen aus der Pandemie. Meiner Meinung nach kann das nur sein: Weg von der Unterordnung unter den Markt. Warum hatten wir plötzlich nicht genug Schutzmasken? Antwort: Es rechnet sich in diesem System nicht. Kein Krankenhaus kann ein Interesse an einem Lager für Masken haben. Es ist doch ein Skandal: Wir sind ein hoch entwickeltes Land und waren nicht in der Lage, unserem Personal Schutzkleidung zu geben! Das Zweite: Wir sind bedingt in der Lage, die Beatmungskapazitäten auszuweiten. Wir sind aber nicht in der Lage, das mit Personal zu besetzen. Plötzlich hat man nämlich festgestellt: Wenn ich einen Menschen beatmen will, brauche ich eine qualifiziert ausgebildete Pflegekraft. Die zaubere ich nicht aus dem Hut. Wir haben schon eine Menge gezaubert, wir sind aber auch mit einem blauen Auge davongekommen. Es hatte ja schon einen Grund, warum man in den Kreisen Notkrankenhäuser aufgebaut hat.
Ein großes Ziel in der Pandemie war, dass die Krankenhauskapazitäten nicht überfordert werden. Das ist doch gelungen.
Wir haben das nur geschafft, weil die Regierung die eigentlichen ökonomischen Gesetze für außer Kraft erklärt hat, gesagt hat, wir machen die Krankenhäuser leer, setzen Operationen aus und bezahlen das leere Bett (mit 560 Euro). Das macht ja auch etwas von dem System deutlich: Wir bezahlen für eine Krankheit. Wenn das mein Geschäftsmodell ist, überlege ich mir: Wie mache ich die Menschen krank?
Das ist sehr zugespitzt.
Ja. Aber es hat doch einen Grund, warum wir in Deutschland mehr Knieoperationen haben. Ich will dem Einzelnen nichts vorwerfen, aber das ist das ökonomische Prinzip und die Logik. Wenn ich mich dem nicht beuge, kommt der wirtschaftliche Untergang. Und das haben wir während der Pandemie außer Kraft gesetzt. Dabei wäre eigentlich ein leeres Krankenhaus, in dem wir auf Patienten warten, das Beste – wie bei der Feuerwehr. Wenn ich die Feuerwehr nur bezahle, wenn es brennt, was würden Sie dann wohl machen? Das ist natürlich überspitzt, macht aber deutlich, in welcher Sackgasse wir sind. Da müssen wir raus und das System vom Kopf auf die Füße stellen.
Das dürfte eine Landesregierung wohl kaum hinkriegen, weil die wesentlichen Teile in der Bundespolitik entschieden werden.
Die Gewerkschaft Verdi würde schon helfen (lacht). 2017 hatten wir im Land harte Auseinandersetzungen um das Krankenhausgesetz. Und im Ergebnis gibt es, finde ich, im Saarland das beste Krankenhausgesetz in Deutschland. Dort haben wir als Qualitätskriterium eine Personalsollzahl pro Schicht pro Station festgeschrieben. Für eine solche Forderung gab es in Berlin und Bayern große Volksbewegungen, wo aber Unterschriftenlisten per Gericht gestoppt wurden. Als im Saarland dann ein Gutachten für den Krankenhausplan gemacht wurde, hat das gesagt, die saarländische Regelung widerspreche Bundesgesetz. Also steht es bei uns zwar im Gesetz, wird aber nicht vollzogen. Insofern haben Sie recht, dass es gegen Bundesgesetze schwierig ist. Trotzdem müssen wir daran arbeiten. Das Saarland hat ja auch schon mal eine Initiative im Bundesrat gestartet, um die Lage in der Pflege zu verbessern, das hat noch Annegret Kramp-Karrenbauer gemacht. Wir müssen bundespolitisch Druck aufbauen.
Zur aktuellen saarländischen Diskussion von Wadern bis Lebach: Was tut sich da im Hintergrund?
Die Marienhaus-Stiftung steckt wohl tief in den roten Zahlen. Deshalb haben sie auch einen Generalbevollmächtigten, der von einem privaten Träger kommt, eingesetzt. In der Folge kam es zu Schließungen wie in Wadern oder auch in Rheinland-Pfalz. In Wadern ist dann eine starke Bürgerinitiative gestartet, die eine Nordsaarlandklinik fordert. Zu Recht, weil sie eine Unterversorgung sieht, was auch dem Krankenhausplan entspricht. Die Planungsbehörde sagt also, das muss gemacht werden. Dann kommt der private Betreiber und sagt: Ich geh nach Hause. Nach meiner Meinung ist so was gar nicht möglich. Dann hat das Ministerium, auch aufgrund des Drucks der Bürgerinitiative, bundesweit eine Ausschreibung für eine neue Klinik gemacht. Die saarländischen Träger hätten kein großes Interesse, damit kam Ameos (siehe Infokasten) ins Spiel, die sieben Varianten als Lösungsvorschläge eingereicht haben. Jetzt ist aber eine Nordsaarlandklinik ein Problem für die Häuser St. Wendel und Merzig und für Hermeskeil und Saarburg in Rheinland-Pfalz. Und es ist auch nicht ganz einfach für Losheim, das auch der Marienhaus gehört, ebenso für Lebach, das der CTT gehört, die auch eine Stiftung des Bistums ist. Dann sagt CTT urplötzlich, wir machen Lebach zu. Zuvor hatten sie noch Wald gerodet, um ein neues Bettenhaus zu bauen, was billiger wäre, als das alte zu sanieren. Und Marienhaus spielt offenbar mit dem Gedanken, Losheim auszubauen. Das sieht alles nicht nach einer langfristigen Strategie aus ...
... und klingt reichlich verwirrend. Kann man Motive für diese unterschiedlichen Signale ausmachen?
Jedes Krankenhaus hat seine Partikularinteressen. Dann gibt es auch die Interessen der einzelnen Betreiber, und alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie der Landesregierung sagen, wie viel Geld sie haben wollen. Ich bin ja schon dafür, dass die Investitionsgelder fließen, aber es sieht mir schon ein bisschen nach Getrickse aus. Was mich ärgert, ist die nicht vorhandene Transparenz und die Nicht-Einbeziehung der Beschäftigten. Denn natürlich sagen Träger nicht nur, wie viel Geld sie von der Regierung wollen, sondern auch – zumindest durch die Blume – was sie von den Beschäftigten erwarten.
Wie ist dann der Vorstoß der Knappschaft einzuordnen, die Interesse an Lebach geäußert hat?
Den Vorschlag der Knappschaft finde ich sehr vernünftig. Für die Beschäftigten wäre es auf jeden Fall ein Fortschritt. Ich finde, die CTT hat vollkommen verspielt. Ich hatte ja vorgeschlagen, das Krankenhaus für einen Euro an den Kreis zu übergeben, denn ich sage: Wenn die Landesregierung das Geld gibt, kann ich das Klinikum auch betreiben.
Wie stellt sich die Entwicklung in Ottweiler dar?
Das ist auch ein Marienhaus. Die haben Corona genutzt, um sich vom THW den Umzug nach St. Wendel machen zu lassen. Auch da stellt sich die Frage: Wenn ich nach dem Krankenhausplan die Betten in Ottweiler habe, wieso kann ich die dann nach St. Wendel verlegen? Nach dem Plan ist man schließlich verpflichtet, diese Betten bis 2025 zu betreiben. Und nur zur Erinnerung: Es ist ja noch gar nicht so lange her, als der Kreis das Haus in Ottweiler an Marienhaus veräußert hat. Und ein paar Kilometer weiter, in Neunkirchen, ist auch, übrigens gegen den erbitterten Widerstand von Gewerkschaft und Belegschaft, ein Haus verkauft worden, an die Kreuznacher Diakonie. Es war sicher nicht alles richtig, was damals gemacht wurde, aber sicher ist, es wurde alles gemacht, um das Haus zu retten. Der Investitionsstau ist enorm. Der Träger hat dann von der Landesregierung dafür mehr Kohle gefordert, und die in Saarbrücken haben gesagt: Machen Sie erst mal einen Plan, und dann reden wir Ende Juni darüber. Also die Leute fühlen sich verarscht, weil sie so heldenhaft arbeiten, was sie auch wirklich tun. Und als Belohnung bekomme ich noch nicht einmal die Corona-Prämie, weil die nur an die Altenpflege gezahlt wird.
Welche Rolle spielt in diesen Zusammenhängen die politische Seite?
Die Kritik, die ich an der Politik habe: Sie muss ihrer Verantwortung gerecht werden und die Steuerung übernehmen. Die Planung muss in staatliche Hand gelegt und demokratisch kontrolliert werden. Ich habe nichts dagegen, dass die Träger dabei ihre Rolle spielen. Die gesellschaftliche Versorgung muss das Entscheidende sein, und nicht, ob ich dort Reibach mache. Mit Daseinsvorsorge hat das nichts zu tun.
Wenn Sie das in die Hand nehmen könnten, wie würde es dann im Saarland aussehen?
Wir haben ja einen Vorschlag gemacht, der heißt: Verbundklinikum. Ich betrachte das Saarland als ein Gesundheitsgebiet und packe die ganzen Träger zusammen zu einer Einheit. Wenn ich die Partikularinteressen der einzelnen Häuser beseitige (oder nutze), dann habe ich alle Doppelstrukturen abgeschafft. Ich würde einen Aufsichtsrat bilden, in den ich alle Träger reinhole, die Politik reinhole und natürlich auch die Gewerkschaften, also ein paritätisches System. Ich stelle mir Gesundheitskonferenzen vor, in denen mit der staatlichen Regulierung geklärt wird, was nötig und sinnvoll ist, und was wir uns als Gesellschaft leisten können. Im Übrigen stelle ich mir vor, dass dann auch die Beschäftigten die gleiche Bezahlung erhalten. Derzeit haben wir einen verrückten Flickenteppich von Tarifverträgen. Und was ich unbedingt abschaffen will, sind die Ausgliederungen. Wir haben massenhaft prekäre Beschäftigungsverhältnisse dadurch geschaffen, dass reihenweise Bereiche von der Wäscherei bis zum Reinigungsdienst ausgegliedert wurden. Das fällt uns spätestens dann auf die Füße, wenn die alle in Rente gehen.
Gab es auf diese Vorschläge Reaktionen?
Ich merke jetzt in der Corona-Zeit wachsende Nachfrage, das Konzept zu erläutern. Es ist sicher noch nicht mehrheitsfähig. Aber das Interesse nimmt zu. Mit der Wettbewerbssituation wie zurzeit werden Sie die Probleme nicht lösen, denn es machen alle nur betriebswirtschaftliche Rechnungen, keine volkswirtschaftlichen. Deshalb brauchen wir gemeinsame Ideen, wie man das System umbauen kann.