2000 gelang ihm der Durchbruch mit „Bilder von Dir". Jetzt hat Laith Al-Deen sein zehntes Studioalbum unter dem Titel „Kein Tag umsonst" aufgenommen. Im Skype-Interview spricht der ehemalige Heavy-Metal-Gitarrist über Selbstanalyse und Selbstoptimierung.
Laith Al-Deen, Ihr neuestes Album heißt „Kein Tag umsonst". Verspüren Sie nach zehn Studioplatten ein Urvertrauen in sich selbst?
Nein, anders. Wer 20 Jahre lang Brot gebacken hat, dem muss man nicht erzählen, wie man einen Brotteig herstellt. Aber wenn man zu seinem Portfolio noch Brot X hinzulegen will, rührt man erstmal etwas Neues zusammen und schmeißt das dann in den Backofen. Diese Zeit im Ofen ist sehr spannend. Während der Arbeit an dem Album waren mein Produzent Udo Rinklin und ich fast sechs Monate erkältet – getrennt voneinander. Wir hatten uns immer vorgenommen, uns in einem bestimmten Zeitraum zu treffen, aber einer von uns lag jedes Mal flach. Das lange Gären hat dem Album tatsächlich viel Raum gegeben. Die ersten Songs habe ich Ende 2018 geschrieben und fertig geworden sind wir Anfang 2020. Für mich sind dabei sehr spannende Sachen herausgekommen.
Kann man trotz Erkältung Songs einsingen?
Ich kenne einige U2-Platten, auf denen zum Beispiel Bono klingt, als müsste er sich eigentlich hinlegen. Das habe ich immer sehr abgefeiert, weil er eines meiner Gesangsvorbilder ist. Bei ihm hört man jede Lebens- beziehungsweise Albumphase sehr deutlich heraus – und das ist bei mir auch so.
Ist der Gesang eines Songs das Wichtigste überhaupt?
Der Gesang ist irgendwie das Wichtigste, und der rote Faden, wird von mir aber stiefmütterlich behandelt. Ich war mal an der Produktion eines deutschen Rockprojekts beteiligt, das ganz groß rauskommen sollte, aber es kam zu gar nichts. Die Platte sollte von einem teuren, englischen Toningenieur in einem Studio in Belgien aufgenommen werden, wo unter anderem die Toten Hosen oft gearbeitet haben. Der Tonmann hat zwei Tage lang einen Kopfhörermix für den Sänger vorbereitet, Kerzen aufgestellt, Vorhänge und einen neuen Teppich besorgt. Aber dann hat der Sänger sich dermaßen betrunken, dass mit den Gesangstakes nichts anzufangen war. Und genau so nachlässig behandle ich inzwischen meine Gesangsaufnahmen. Wenn ich etwas zu stark gewichte, kann es schnell in die Hosen gehen, weil der eigene Erwartungsdruck so hoch wird. Das heißt konkret, wir schrauben stundenlang am Playback herum, und zwischendurch sagt Udo zu mir: „Komm, stell dich mal da hin und sing mal schnell!" Und das tue ich dann auch – quasi nebenher. Dabei entstehen die besten Versionen, während Udos Hund im Studio ist und manchmal noch jemand hinten auf der Couch sitzt.
Wie sind die wunderschönen Gospelchöre entstanden?
Einer der Co-Schreiber des Albums, Johannes Falk, hat sich während seines Schreibprozesses eigene Gospel-Gesangsvorlagen „gebaut". Die waren so gut, dass ich direkt zugeschlagen habe. Er hat zum Beispiel auch auf Maffays letztem Album einen Song sowie einen Chor platziert.
Starten Sie jeden Tag mit einem Ritual, bevor Sie mit dem Schreiben beziehungsweise Aufnehmen beginnen?
Ich starte immer mit demselben Ritual, weil meine Freundin drei Kinder hat. Denen ist es total egal, ob ich gerade eine kreative Phase habe. Dieses realistische Gewürz kann an vielen Stellen total guttun. Zum Ende der Produktion hin gab es eine Phase mit vier, fünf offenen Titeln. Es gab eine Strophe, einen Refrain und der Rest war noch weites Land. An dieser Stelle muss man sich dann dransetzen und richtig ackern. Ohne eine zeitliche Struktur würde ich dabei ordentlich ins Schwimmen geraten.
Das Format Album stirbt einen schleichenden Tod. Werden Sie auch in den kommenden Jahren noch Langspielplatten veröffentlichen?
So lange die Albumgeneration noch lebendig ist, ja. Solange eine gewisse Zeitspanne oder Lebensphase abgebildet werden soll, kommt man um ein Album meiner Meinung nach nicht herum.
Wollten Sie mit „Kein Tag umsonst" ein Album machen, dass die Zeit widerspiegelt, in der wir leben?
Anhand meiner zehn Alben in den vergangenen 20 Jahren kann ich immer wieder in meine Wahrnehmung der jeweiligen Zeit eintauchen. In der Regel komme ich gar nicht dran vorbei, Songs zu machen, die die Gegenwart widerspiegeln.
Ihre Songs sind bereits vor der Krise entstanden, oder?
Selbstoptimierung ist ein Thema auf der Platte. Und wie sehr man sich darin verstricken kann. Und das Thema Bewusstwerdung: Wo ich stehe und was ich damit anfange.
Jetzt, in einer Zeit der Isolation, war man unter Umständen gezwungen, sich mit sich selbst mehr oder eindringlicher auseinanderzusetzen – vielleicht auch mit Dingen, die man lange von sich weggeschoben hat.
Von daher ist die Platte ungewollt sehr aktuell.
Wie sieht es mit Ihrer eigenen Selbstoptimierung aus?
Mir reicht es schon, wenn ich es schaffe, die Herangehensweisen und Lebensmotti, die ich seit nunmehr drei Alben von mir gebe, umzusetzen. Zum Beispiel „Fokussier dich mehr auf Dinge", „Lehn dich mal zurück" oder „Bewerte andere Dinge als genauso wichtig wie deine Lebensleidenschaften". Das reicht schon, um mich in der Spur zu halten und um immer wieder neue Herausforderungen für mich zu generieren.
Ist ein Album immer auch eine Selbstanalyse?
Auf jeden Fall. In „Kein Tag umsonst" heißt es zum Beispiel „Ich werde niemals alt so wie das Kind im Mann". Das ist zugleich Feststellung wie Appell an mich selbst. Gerade im Umgang mit den Kids habe ich festgestellt, wie viel meiner Eltern in mir steckt und wie sich meine Herangehensweisen geändert haben.
Haben Sie sich als Jugendlicher immer von den Eltern abgegrenzt?
Ja, sicher. Ich erinnere mich gerne an mein erstes Live-Konzert 1985 bei Dio in der Eberthalle in Ludwigshafen. Damals trug ich relativ lange Haare, die ich mir verzweifelt nach vorne gekämmt und mit Haarspray festgeklebt hatte, um sie noch länger erscheinen zu lassen. Dies war der Anfang einer sehr langen Streitzeit mit meiner Mutter. Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich nicht komplett gegen meine Eltern rebellieren musste, was meine berufliche Laufbahn angeht. Sie sagten irgendwann: „Junge, wenn du das unbedingt willst, dann werden wir dich unterstützen." Für diese Form der Unterstützung werde ich ihnen ewig dankbar sein.
Hat der Rebell in Ihnen ein Stück weit überlebt?
Die Rebellion geht einher mit dem trotzigen Teenager, der bisweilen in mir wühlt, was wirklich nervig für mein Umfeld sein kann. Aber für fast jedes männliches Problem gibt es gottlob eine weibliche Lösung …
Einige der Lieder auf Ihrer Platte sind sehr melancholisch. Sind Sie ein Träumer, der sich gern einer angenehmen Schwermut hingibt?
Die Antwort liegt praktisch in der Frage: Angenehme Schwermut … klingt nach einem reifen Spätburgunder. Wer möchte denn dort nicht mal verweilen?
Sind Träume der Schlüssel zur Kreativität?
Ich erinnere mich morgens nicht mehr an echte Träume. Ich bin eher ein Tagträumer, der ein Thema immer wieder vor Augen hat. Ein Resultat davon ist zum Beispiel „Kein Tag umsonst" – der Titelsong des Albums. In quasi letzter Minute aus einer Träumerei heraus entstanden, spannt er letztendlich den Bogen um das gesamte Album.
Hat sich jeder einzelne Tag im Studio gelohnt?
Zu Udo Rinklins Studio sind es von mir zu Hause 150 Kilometer einfache Strecke. Während der Fahrt habe ich immer Zeit, mir die Musik anzuhören und zu analysieren, die wir zuletzt aufgenommen haben.
Auf diesen Fahrten hatte ich schon viele Ideen, die ich per Aufnahmefunktion festgehalten und am selben Tag umgesetzt habe. Von daher hat sich für mich jeder Studiotag mehr als gelohnt. Auch wenn die Nerven auf der Autobahn nicht gerade geschont werden.
Verplempern Sie Ihre Zeit manchmal auch mit weniger anspruchsvollen Dingen?
Unbedingt. Gerade jetzt, wenn man wie ich keine klassische Sportskanone ist. Eines meiner größten Hobbys ist das Motorradfahren. Damit habe ich nun schon so lange pausiert, dass ich ganz vergessen habe, die Tüv-Plakette zu verlängern. Etwas, dass ich mir dauernd von meinen Kumpels anhören darf …
Haben Sie leise Hoffnung, dass die Kulturbranche aus der Corona-Krise nicht allzu zerstört hervorgehen kann?
Ja, die muss ich berufsbedingt haben. Ich kann aber nicht einschätzen, wie es zum Beispiel um kleine Veranstalter steht und wie lange sich kleinere Unternehmen halten können.
Kollegen von mir haben zusammen einen regelmäßigen Stream mit Gästen. Nach jedem Auftritt blenden sie einen Spendenlink ein, und man kann ihnen zahlen, was es einem wert war. Ich hoffe, dass in unserer Flatrate-Zeit wieder eine Sensibilisierung für den Wert von bestimmten Gütern stattfindet. Nur so sehe ich eine Basis, wie Künstler so freigiebig bleiben können, wie im Covid-Jahr 2020.