Volker Wieland läuft seit Jahren nur noch barfuß – das ganze Jahr, bei jedem Wetter, überall. Daraus hat sich mittlerweile eine eigene Lebensphilosophie entwickelt.
Seit einigen Jahren macht sich Volker Wieland nur noch barfuß auf die Socken. Bei Wind und Wetter ist er ohne Schuhe unterwegs – um sich und die Erde zu spüren. „Beim Barfußgehen bekommen wir den Bezug zur Natur zurück", sagt der 47-Jährige. Intensiv pflegt er den Kontakt zu Mutter Erde, etwa 15 Kilometer ist er täglich per pedes unterwegs. Auch bei unserem Treffen im Deutsch-Französischen Garten in Saarbrücken hat Wieland bereits einige Kilometer in den Beinen. Am Morgen startete er in seinem Wohnort Rentrisch, einem Stadtteil von St. Ingbert. Er ist pünktlich auf die Minute. Das Timing war nicht schwierig, der Spaziergänger musste keinen platten Fahrradreifen und keinen Verkehrsstau einkalkulieren. Wer zu Fuß unterwegs ist, hat fast alles selbst in der Hand.
In der schmucken Parkanlage liebt Wieland vor allem die Freilichtbühne, sie liegt abseits des Trubels. Er wirkt entspannt, trägt eine kurze Jeanshose und eine wärmende Jacke. Im Rucksack ist alles, was er und sein Begleiter für den Tag benötigen. Der ehemalige Straßenhund Gizmo weicht dem Barfuß-Aktivisten seit knapp einem Jahr nicht von der Seite. Den Vierbeiner zieht es zunächst an den Teich, er ist durstig. Sein Herrchen nutzt die Gelegenheit und vertritt sich die Füße im Wasser. Die Erfrischung tut gut. Während es in der Früh noch empfindlich kalt war, hat die Sonne den Boden mittlerweile aufgewärmt. Wielands Fußsohlen sind Hitze und Kälte gewohnt. „Im Sommer geht man mit dem Schatten, im Winter mit der Sonne", lautet seine Strategie. Das Wohlbefinden hängt allerdings auch von der Tagesform ab. Und von der Fortbewegungsart: Bei fünf Grad Lufttemperatur und Nieselregen strampelt niemand gerne barfuß auf dem Fahrrad.
Mit einer Knieverletzung fing alles an
Früher hat sich Volker Wieland beruflich um die Füße und das Wohlergehen anderer Leute gekümmert. Er leitete fünf Jahre die sportmedizinische Trainingstherapie in einem ambulanten Rehazentrum. Später betreute der gelernte Sport-Physiotherapeut am Olympiastützpunkt Rheinland-Pfalz/Saarland in Zweibrücken Stabhochspringer und Speerwerfer. Im Januar 2007 verletzte sich der Coach selbst am linken Knie. „Da fing es an", sagt er mit Blick auf seine veränderten Gehgewohnheiten. Inzwischen hat er nicht nur die Sportschuhe an den Nagel gehängt, seit fünf Jahren ist er praktisch nur noch mit nackten Füßen unterwegs. Ob in der Kirche, beim Einkauf oder während eines Termins im Rathaus – seine Zehen werden nicht mehr eingesperrt. Auch barfuß stehen ihm fast alle Türen offen. „Wenn es Probleme gibt, dann nicht wegen der Füße, sondern eher wegen des Hundes", erklärt Wieland. Er konnte sogar die Bedenken des einen oder anderen Gastronomen ausräumen. Schließlich macht der Gast einen kostenlosen Hygienecheck, niemals würde er eine schmuddelige Toilette betreten. Auf der Straße kommt der Mann, der ohne Schuhe durchs Leben geht, ebenfalls mit den Menschen ins Gespräch. „Ich liebe Begegnungen mit Kindern, die mich das erste Mal sehen", berichtet der überzeugte Fußgänger. Die Jungs und Mädchen machen große Augen, wenn sie ihm im Winter dick verpackt und barfuß begegnen. Es gibt aber auch mitleidige Blicke. Einige Leute wollen ihm Geld spenden, ohne Schuhe und mit Rucksack wirkt er auf sie hilfsbedürftig. Doch die Sorge ist unbegründet. Auch wenn er nicht auf großem Fuß lebt, so steht Wieland doch mit beiden Beinen im Leben. Der Barfußläufer strebt nicht nach Konsum und Luxus. Schuhe sind für ihn Statussymbole, auf die er gerne verzichtet. Er besitzt kein Auto, wohnt in einem Gartenhäuschen. Als Sport- und Bewegungscoach arbeitet er seit 2014 nicht mehr. Gelegentliche Jobs, etwa in der Kinderbetreuung bei Ferienfreizeiten, bringen etwas Geld in die Kasse. „Ich lebe sehr genügsam", sagt Volker Wieland. Dabei setzt er vor allem aufs Teilen und Zeitschenken. Möglichkeiten dazu gibt es viele: Die Waschmaschine können ebenso mehrere Leute nutzen wie den Kleiderschrank. Und auch das Essen reicht oft für weitere Personen. Bei der Initiative Foodsharing werden überschüssige Lebensmittel an Menschen verteilt, die sie brauchen. Der Barfußgeher möchte jeden motivieren, so einfach und natürlich wie möglich zu leben.
Wieland ist in Schwaben aufgewachsen. Schon als Kind liebte er es, draußen barfuß zu spielen und in Pfützen zu springen. Als er begann, Schuhe zu tragen, ließen die gesundheitlichen Probleme nicht lange auf sich warten. „Meine Füße wurden stark deformiert", erinnert er sich. Für die Zehen sei in den meisten Schuhen zu wenig Platz. Und auch ein Fußbett brauche niemand. Schließlich wollen sich die Füße nicht schlafen legen, sie möchten sich bewegen. Und das geht nun mal am besten ohne Schuhe. Es spiele ja auch niemand mit Fäustlingen Klavier, veranschaulicht Wieland. Deshalb sollte der Nachwuchs so lange wie möglich barfuß laufen. Auch Erwachsene, die sich dauerhaft von ihren Schuhen verabschieden, profitieren gesundheitlich: Das Immunsystem wird trainiert, die Muskulatur stabilisiert – eine Wohltat für Körper und Seele. Und ein absolut kostenfreies Vergnügen. Der Experte empfiehlt, langsam mit dem Barfußgehen zu beginnen, in einer sauberen Umgebung und auf einem Belag, auf dem man sich wohlfühlt. Zehn bis 20 Minuten am Stück sollten es aber schon sein. Gelegenheiten, seinen Füßen Luft zu verschaffen, gibt es fast überall. Warum nicht einfach mal im Büro die Schuhe ausziehen?
Menge der Hornhaut entspricht der eines Schuhträgers
Wieland geht achtsam um mit allem, was er schätzt. Dazu gehören neben Menschen und Lebensmitteln auch die Natur. „Ich küsse die Erde mit meinen Füßen", sagt der Naturliebhaber. Gern übernachtet er draußen. Für ihn ein absoluter Höhepunkt: morgens raus aus dem Schlafsack und rein ins feuchte Gras. Auf Moos, Sand und Blättern fühlen sich seine Füße ebenfalls wohl. „Auch Schnee ist wunderbar." Raue Untergründe wie geriffelter Asphalt oder Rollsplitt sind nicht so angenehm. Wieland blickt nicht permanent auf den Weg. Vieles läuft unbewusst ab, vorausschauend und umsichtig umschifft er die Klippen und Kippen. In Hundekot ist er noch nie getreten. Aber wie groß ist die Verletzungsgefahr? „Man muss aufgeräumt sein", sagt er. Wer gehetzt oder gestresst sei, bemerke die Gefahren nicht. Im Dunkeln sind kleine Schritte zu empfehlen. Bei Klee gilt es, achtsam zu sein, in dessen Nähe fühlen sich Bienen wohl. Um Abfall auf dem Boden macht Wieland ebenfalls einen Bogen. Oder er sammelt ihn gleich auf. Plastikmüll schadet nicht nur seinen Füßen, sondern auch der Umwelt. Trotz aller Umsicht lassen sich Blessuren wohl nicht ganz vermeiden. Kürzlich ist Volker Wieland bei der Gartenarbeit in den Dorn eines Brombeerstrauches getreten. Ein Blick auf den Fuß zeigt, dass die Wunde komplett verheilt ist. Lediglich eine kleine Narbe erinnert noch an den Unfall. Viel mehr Hornhaut als bei einem Schuhträger ist übrigens nicht zu sehen. Volker Wieland wäscht sich die Füße bei jeder Gelegenheit und pflegt sie mit Wasser, Seife und Kokosöl. Mittel mit chemischen Zusatzstoffen lässt er grundsätzlich nicht an seine Haut. Der Aktivist ist kein Einzelkämpfer, im Verein „Fuss" hat er Mitstreiter gefunden. „Geh zu Fuß – sooft es geht!", lautet das Motto des Lobbyverbandes. Er setzt sich für Fußgänger-Belange ein, etwa in der Straßenverkehrsordnung oder in Planungsrichtlinien. Landessprecher Wieland betreut die Geschäftsstelle in der Saarbrücker City. Aktuell schreibt er an einem Buch mit Tipps rund ums Gehen. Und noch ein Projekt steht demnächst an. Wieland will das Saarland zu Fuß umrunden. Zehn Etappen plant er für die 260 Kilometer ein. Berührungsängste mit der modernen Technik hat der Naturfreund nicht. Er ist bei Facebook und Instagram unterwegs, seine Homepage (www.1fach-kerngesund.de) wird gerade überarbeitet.
Bleibt nur noch eine Frage: Wie viele Schuhe hat der Barfußgeher eigentlich selbst zu Hause? Nur ein Paar Sandalen und ein Paar Winterschuhe sind im Einsatz, verrät er. Daneben gibt es noch einige Exemplare, die er nicht mehr trägt. „Und viele Socken", stellt Wieland fest. Die überschüssige Fußbekleidung soll bald den Besitzer wechseln. „Was ich nicht mehr brauche, werde ich verschenken."