Die Vereine und vor allem die Fans hoffen, dass in der Fußball-Bundesliga bald wieder Zuschauer ins Stadion dürfen. Der Weg dahin ist aber noch sehr weit.
Wochenlang hatten sie alle vom „Hygiene- und Sicherheitskonzept“ der Deutschen Fußball Liga geschwärmt. Das Konzept sei herausragend, habe für die Fans die Wiederaufnahme der Bundesliga und für die Profis das Nachgehen ihres Berufes ermöglicht. Und habe deshalb weltweiten Vorbild-charakter. Und irgendwann fingen sie dann alle an, an dem Konzept herumzumäkeln. War es also doch nicht so gut? Doch, grundsätzlich war es das. Die Beschwerden aus allen Richtungen waren dennoch genauso richtig.
Das Konzept wirkt mittlerweile überholt
Denn inzwischen trafen beim DFL-Konzept zwei schwer zu vereinende Punkte aufeinander. Zum einen war man bei der Erstellung in fast jeder Hinsicht vom Extremfall ausgegangen, weil der Fußball zunächst die Zustimmung der Politik brauchte und dann auch möglichst sichergehen musste, die Saison ohne viele Corona-Fälle zu Ende spielen zu können. Doch mit diesen Voraussetzungen alterte das Konzept in einer Zeit, in der mehr und mehr Lockerungen kamen, schlecht. Wirkten seine Regeln zunächst streng, aber vertretbar, wirkten sie einige Wochen später im gesellschaftlichen Rahmen als nicht mehr angebracht.
„Mittlerweile ist es schwer nachvollziehbar, dass Menschen in Cafés ohne Mundschutz ihren Cappuccino trinken dürfen, während unsere Co-Trainer, die Ersatzspieler und wir Offiziellen auf der Tribüne mit großem Abstand und an der frischen Luft noch eine Maske tragen müssen“, sagte zum Beispiel Anfang Juni Rudi Völler der „Bild“-Zeitung: „Ich würde mir wünschen, dass man da nachjustieren kann. Zumal das vorliegende Konzept vor sechs Wochen geschrieben wurde, als die Zahlen viel dramatischer waren.“ Unabhängig davon, dass man Cappuccino schlecht mit Mundschutz trinken kann, bekam Völler Unterstützung von allen Seiten. Und alle auch mit der Einschränkung Völlers: „Es war nötig, dass wir das Hygienekonzept der DFL so rigoros umgesetzt haben. Die Situation hat es zu dem Zeitpunkt so verlangt. Nur dadurch konnten wir wieder anfangen zu spielen.“ Kölns Sportchef Horst Heldt sagte zum Beispiel, das Konzept sei „grundsätzlich exzellent. Aber sechs Wochen später ist es im Verhältnis zu dem, was um uns rum passiert, vielleicht nicht mehr zeitgemäß.“ Deshalb sei er dafür, „dass wir das Konzept zur neuen Saison hinterfragen und anpassen.“ Zwei Bereiche standen hier besonders im Fokus. Zum einen die Ersatzspieler. Die saßen an den Geister-Spieltagen nicht nur weit auseinander auf der Tribüne, sondern mussten dort trotzdem noch eine Maske tragen. Dann wurden sie eingewechselt, gingen in Zweikämpfe und umarmten sich beim Torjubel. Was inzwischen niemand mehr so streng sah, weil alle Spieler und alle aus dem Funktionsteam ja zunächst in Quarantäne waren und danach dauernd auf Corona getestet wurden.
Kritik an Arbeitsbedingungen für Journalisten
Der zweite Bereich waren die Journalisten. Auch sie saßen meterweit voneinander entfernt auf der Tribüne und mussten trotzdem Masken tragen, die Radioreporter erhielten eine eigene Plexiglas-Kabine. „Ob ein Journalist, der vier Meter um sich rum keinen sitzen hat, auf der Tribüne eine Maske tragen muss, ist vielleicht eine Diskussion wert“, sagte Heldt. Und Paderborns Trainer Steffen Baumgart erklärte: „Wir haben Kameraleute, die mit Maske arbeiten, bei denen im Umkreis von 30 Metern keiner rumsteht. Wir haben Reporter, wir haben von Sky Jungs, die auch ihre Arbeit machen müssen, wo du die Hälfte nur verstehst, weil sie einen Knödel im Mund haben oder anders ausgedrückt: weil sie mit Maske davor arbeiten, obwohl wir drei Meter voneinander entfernt sind.“
Viele haben erwartet, dass der DFB und die DFL dennoch bis zum Saisonende nichts ändern werden, weil sie sich nicht angreifbar machen wollen. Doch genau in diesen beiden Punkten wurde schließlich nachgebessert, mit Blick auf die „zwischenzeitlichen Entwicklungen in der Gesamtgesellschaft“. Wer mindestens 1,5 Meter von der nächsten Person entfernt sitzt, muss am Spielfeldrand künftig keine Maske mehr tragen. Die Journalisten müssen dies zwar weiterhin tun, weil für sie nicht die lückenlosen Testungen nachgewiesen werden. Dafür wurde die Zahl der Medienvertreter abseits der Rechte-Inhaber von 13 auf 26 verdoppelt. Wovon auch die zuvor kaum bedachten Fotografen profitierten. Waren es zunächst bei allen Vereinen zehn schreibende Journalisten und drei Fotografen, lautet das Verhältnis inzwischen fast überall 18:8. Das wird es dann zunächst gewesen sein bis zum Saisonende. Schließlich will niemand die Beendigung der Saison gefährden. Doch zur neuen Spielzeit wird die Diskussion Fahrt aufnehmen, ob Zuschauer wieder ins Stadion dürfen. Bei Bayer Leverkusen haben sie sogar schon alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dies noch in dieser Saison zu erleben. Denn erstmals seit elf Jahren steht Bayer nach dem 3:0-Halbfinalsieg in Saarbrücken im Endspiel um den DFB-Pokal. Und das Spiel gegen den FC Bayern findet am 4. Juli statt, eine Woche nach Saisonende. Leverkusens Sportchef Rudi Völler hatte die Hoffnung geäußert, man könne vielleicht „in dem riesigen Stadion ein kleines Zeichen setzen.“ Sprich: Zumindest einige Zuschauer reinlassen. Bayers Club-Chef Fernando Carro wurde sogar noch deutlicher: „Aus meiner Sicht spricht derzeit nichts mehr gegen eine verantwortungsvoll und professionell geplante Veranstaltung mit Zuschauern.“
Der Wunsch nach Zuschauern wird vorläufig nicht erfüllt
Doch dies wird ein Wunsch bleiben. Der Deutsche Fußball-Bund hatte beim Berliner Senat sogar einen Antrag gestellt, pro Verein je 5.000 Anhänger beim Finale zuzulassen. Am 18. Juni teilte er mit, dass das Endspiel ein Geister-Finale wird. „Die Auswirkungen der Corona-Pandemie lassen keine andere Entscheidung zu, auch nach eingehender Prüfung verschiedener Optionen“, hieß es beim DFB. Die Verfügungslage in Berlin besage, dass bis zum 30. August Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Zuschauern untersagt sind. DFB-Präsident Fritz Keller hatte darauf angedeutet, zumindest diese 1.000 Zuschauer seien nicht ausgeschlossen. Ein Konzept auch für weniger Menschen, teilte der DFB aber mit, sei „einstimmig verworfen“ worden.
Bleibt also die Frage, wie es beim Saisonstart aussieht, der – Stand 22. Juni – noch für den 21. August geplant ist. Selbst bis zu diesem – in den Augen vieler allein schon wegen des vorgelagerten Europacups nicht haltbaren – Termin sind es noch zwei Monate. Zwei Monate, in denen, das hat die Corona-Zeit in beiden Richtungen schon gezeigt, sich vieles ändern kann. Einen zugelassenen Impfstoff wird es bis dahin aber sicher nicht geben. Und auch da wird es wieder das Problem geben, dass ein Konzept vorher und somit nach der dann aktuellen Lage erstellt werden muss.
Illusorisch ist deshalb, dass Ende August oder dann eben im September in vollen Stadien gespielt werden kann. Eine bestimmte Zahl von Zuschauern in den Arenen scheint grundsätzlich vorstellbar. Wenn man zum Beispiel in allen Sitzplatzbereichen nur jeden x-ten Platz verkauft. Doch es gibt Fragen, die dann in der Praxis offen wären. Würden die Fans wirklich auf diesen Plätzen sitzen bleiben oder sich dann doch in einem Teil des Blocks zusammenstellen? Wer kontrolliert das, und wie könnten Verstöße sanktioniert werden? Wie wird das Gedränge an Toiletten und Verpflegungsständen geregelt? Und vor allem: Wie funktioniert der Einlass? Ganz zu schweigen von der Frage, nach welchen Kriterien ein Verein mit über 20.000 Dauerkarten-Besitzern vielleicht 5.000 Fans aussucht, die ins Stadion dürfen. Da ist ein Komplett-Ausschluss fairer, banal gesagt. Und schließlich bleibt noch die Frage: Würden 5.000 Fans überhaupt das zurückbringen, was im Moment so fehlt? Würde es tatsächlich so etwas wie Stimmung bringen, wenn auf jedem fünften oder zehnten Platz jemand sitzt – möglicherweise noch mit Mundschutz – und alleine singt oder klatscht? Würde es das Ganze nicht irgendwie noch trostloser machen? Fakt ist und bleibt: Die DFL hat die Geisterspiele gut rumbekommen. Und die Fans haben sich vorbildlich verhalten, indem sie Ansammlungen rund um die Stadien nahezu komplett vermieden. Aber die Spiele haben auch gezeigt, wie viel dem Fußball ohne die Fans fehlt. Und es ist die nächste große Aufgabe der Bundesliga, sie oder zumindest möglichst viele von ihnen zum frühst vertretbaren Zeitpunkt wieder ins Stadion zu lassen.