Bastian Schweinsteiger ist aufgrund seiner eigenen Amazon-Prime-Doku wieder in aller Munde. Dabei könnte sein Denkmal nicht größer sein – einen Film dazu hätte es nicht gebraucht.
ie Bilder haben sich bei jedem deutschen Fußballfan ins Gedächtnis eingebrannt. Ein niemals aufgebender Bastian Schweinsteiger, mit einem Cut unter seinem rechten Auge, sinkt nach Abpfiff auf den Rasen des Maracana nieder – Deutschland gewinnt das WM-Finale mit 1:0. Es war wahrscheinlich das beste Spiel seiner langen und erfolgreichen Karriere. Schweinsteiger war ein echter Leader geworden und erreichte in diesem Spiel den Berg, den er so lange zu erklimmen versuchte. Die Fußballkarriere begann 1988 beim FV Oberaudorf und führte ihn dann 1992 zum TSV 1860 Rosenheim. Nach sechs Jahren wechselte er 1998 in die Nachwuchsabteilung des FC Bayern München. 2001 wurde er Deutscher B-Junioren-Meister, 2002 folgte der Titel mit den A-Junioren.
Jugendsünden begleiteten ihn noch Jahre später
Im November 2002 debütierte er in der Profi-Mannschaft, als er beim 3:3 in der Champions League gegen den RC Lens in der 76. Minute für Mehmet Scholl eingewechselt wurde. Selbst Ottmar Hitzfeld, der nicht für die Einbindung junger Spieler bekannt war, überzeugte „Schweini“ mit seinen gerade mal 18 Jahren. Insgesamt 20 Titel, exakt 500 Pflichtspiele für den deutschen Rekordmeister und viele Anekdoten sollten folgen. Unvergessen ist die „Whirlpool-Affäre“, als Basti – damals gerade ein halbes Jahr Profi – eigenen Aussagen zufolge „seiner Cousine“ mitten in der Nacht den Profi-Trakt am Trainingsgelände an der Säbener Straße zeigen wollte. Das Duo wurde im Whirlpool von Sicherheitsbeamten erwischt. Ein gefundenes Fressen für die Münchner Boulevardpresse – genauso wie Geschichten, nach denen Schweinsteiger mit 150 Sachen statt 80 geblitzt oder um 4 Uhr morgens in Diskotheken gesehen worden war. In dieser Zeit wurde auch der „Schweini“, was Schweinsteiger selbst gar nicht gerne hörte, geboren. Zwischenzeitlich wurden dann die Haare auch mal schwarz gefärbt oder die Fingernägel lackiert. Einer, der ihm auch ein wenig die Flausen aus dem Kopf trieb, war Hermann Gerland. „Ich stand sonntags auf dem Sportplatz und sagte ihm, dass ich auch mit meiner Familie spazieren gehen könne um diese Zeit und ich etwas von ihm sehen möchte – manchmal hat er das gebraucht“, erzählt die Trainer-Ikone des FCB. „Als er mit seinen schwarzen Haaren am Frühstückstisch auftauchte, sagte ich ihm, wir laufen so lange, bis deine Haare wieder blond sind.“ Doch Schweinsteiger fing sich, wechselte von der Außenbahn auf die zentrale Position des Denkers und Lenkers des Spiels und wurde immer mehr zum Führungsspieler. Louis van Gaal erkannte die Qualitäten – und seitdem war er von dieser Position nicht mehr wegzudenken.
Der Fehlschuss von 2012 wurde zum Wendepunkt
Schweinsteiger sorgte durch seine Leistung dafür, dass er seinen ungeliebten Spitznamen endlich verlor. Viele sahen in ihm nun den Chef, den Anführer des FC Bayern München. Auch im Umgang mit den Medien wurde er erwachsener. 2011 hatte Schweinsteiger einen Journalisten in einem (halb-öffentlichen) Zwiegespräch mit derben Kraftausdrücken belegt, nachdem dieser es gewagt hatte, Schweinsteigers Qualitäten als Führungsspieler in einer eher mittelmäßigen Saison infrage zu stellen. Schweinsteiger entschuldigte sich zwar, blieb aber in den Medien präsent – nicht zuletzt auch wegen seiner langjährigen Beziehung mit dem Münchner Modell Sarah Brandner.
Im Jahr 2012 kam es dann zum echten Wendepunkt in Schweinsteigers Karriere: Beim letzten Elfmeter im Finale der Champions League gegen Chelsea in der heimischen Allianz Arena versagten ihm die Nerven – und er setzte ihn an den Pfosten. Schweinsteiger reifte nun vollkommen zum Mann, lebte zudem viel zurückgezogener als noch ein paar Jahre zuvor. Passanten sahen ihn sogar lesend in Münchner Cafés sitzen. 2013 holte er dann mit seinen Bayern das Triple und krönte sich national als auch international. Besonders beeindruckend waren damals die beiden Halbfinals gegen den FC Barcelona, in denen der FCB insgesamt mit 7:0 Toren gewann. Schweinsteiger war damals die prägende Figur, mit Philipp Lahm der Anführer dieser Mannschaft. Nur ein Jahr später kam dann der endgültige Aufstieg zum Fußballgott. Auf dem Rasen des Maracana. Dass es nach dem Erreichen des Fußball-Olymp nicht durchgehend so weitergehen wird, ist im Fußballgeschäft normal. Und Schweinsteiger blieb dabei immer professionell. Als Pep Guardiola bei seinem Verein nicht mehr auf ihn setzte, gab es einen leisen Abgang, der glücklicherweise noch zu einem positiven werden sollte, als er sein Abschiedsspiel bei den Bayern bekam.
Nach seinem Wechsel zu Manchester United wurde er dort von José Mourinho aussortiert und musste teilweise bei der Reserve mittrainieren. Als sich dann seine Karriere im Vereinsfußball so langsam dem Ende zu neigte, trat er nach dem verlorenen EM-Halbfinale gegen Frankreich aus der Nationalmannschaft zurück. Es folgte noch ein letzter Wechsel zu Chicago Fire, wo er dann auch seine Karriere beendete. Privat schwimmt Schweinsteiger im Glück, ist glücklich mit der ehemaligen Tennisspielerin Ana Ivanovic verheiratet und hat mit ihr zwei Kinder. Seine Karriere spricht für sich – eine Dokumentation hätte es dazu nicht gebraucht. Schweinsteiger war ein Kämpfer und niemand, der aalglatt durchs Leben marschierte. Im neuen Film, der sich ein wenig so anfühlt, als wolle Til Schweiger zeigen, wen er so alles kennt, kommt dies aber nicht so rüber. Schweinsteiger war und ist ein anständiger Mann, der viel und sogar fast alles gewonnen hat. Doch um das herauszufinden, hätte es diesen Film nicht gebraucht. Natürlich gibt es in diesem auch schöne Momente. So hat Schweinsteiger als Kind tatsächlich ein Rennen gegen seinen Kumpel Felix Neureuther gewonnen – auf Skiern wohlgemerkt. Sein tränenreicher Abschied aus Chicago und dementsprechend auch vom Fußballzirkus ist einer der wenigen Momente, die den Zuschauer berührt. Doch davon gibt es viel zu wenig. Tiefe fehlt völlig, da ändern auch die etlichen Wegbegleiter aus seiner aktiven Zeit nichts daran.
Der richtige Zeitpunkt zum Abschied
Schweinsteiger, der sich aus dem kleinen Oberaudorf bis nach Chicago hochgespielt hat, hätte auf solch einen Film gut verzichten können. Natürlich sind vor allem die drei großen Spiele in seiner Karriere interessant. Jedoch wäre es sicherlich auch interessant gewesen, etwas zu erfahren, was noch nicht tausendmal durchgekaut wurde. Zudem ist es ärgerlich, dass es nicht geschafft wurde, die Hintergründe zu beleuchten, wie aus dem im Whirlpool planschenden Teenager eine Legende wurde. Denn er reihte sich ein in die Liste der deutschen Sporthelden: Schmeling, Walter, Seeler, Beckenbauer, Schumacher, Becker, Graf, Matthäus – Schweinsteiger. Der Kreis, der mit seinem Debüt 2004 begann, schloss sich ein Jahrzehnt später. Seine Entwicklung ist die wahrscheinlich spannendste der letzten 20 Jahre, leider kann der Film dies nicht wirklich aufgreifen. Doch Bastian Schweinsteiger ist weitaus mehr als nur die Summe seiner größten Erfolge oder seiner größten Niederlagen. Vor allem aber ist er nun Familienvater, der 120 Länderspiele gespielt hat, und achtfacher Deutscher Meister, siebenfacher Pokalsieger und Champions-League-Sieger, zudem Weltmeister und Idol einer ganzen Generation. Er wird für immer das Gesicht dieser Generation sein, die den deutschen Fußball in andere Sphären hob, denn er kam, als der deutsche Fußball am Boden lag und verließ ihn als Weltmeister.