Das Berliner Antidiskriminierungsgesetz schlägt bundesweit hohe Wellen. Es sorgt unter den Polizisten selbst für großen Unmut und droht, zu einem Motivationskiller zu werden.
Seit fast einer Stunde beobachten die beiden Streifenbeamten einen auffälligen schwarzen hochgetunten Oberklasse-Daimler, der vor einer Bar steht. In dem Fahrzeug sitzen drei Personen, die offenbar das Rein und Raus an der Tür der Bar beobachten. Einer der Türsteher nimmt immer wieder Blickkontakt mit den drei Männern in dem teuren Fahrzeug auf und gibt mit den Fingern Zeichen. Die observierten Personen haben sichtlich alle einen Migrationshintergrund. Die Polizeibeamten könnten jetzt anlassbezogen eine Routinekontrolle durchführen und die Personalien der Männer im Fahrzeug feststellen.
Das hätten sie vor Wochen auch noch getan, da sie wissen, dass im Umfeld dieser Bar immer wieder mit Drogen wie Crystal Meth gehandelt wird. Aber diesmal lassen die Beamten es lieber bleiben. Es gibt keinen „sichtbaren Tatvollzug" einer Straftat. Im Übrigen steht einer der beiden Polizisten kurz vor der Beförderung. „Wenn da dann Ermittlungen gegen dich wegen Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz laufen, kannst du das mit deiner Beförderung dann auch mittelfristig vergessen", erzählt Dirk K.* Der Oberkommissar ist Mitte 50 und seit 37 Jahren bei der Polizei, irgendwann im Sommer ist seine Beförderung zum Hauptkommissar fällig.
Es ist vermutlich die letzte in seiner Laufbahn bei der Berliner Polizei. Sie bedeutet für ihn gut 300 Euro mehr im Monat, die möchte er jetzt nicht verspielen. „Genau das ist doch das Problem mit dem ganzen Antidiskriminierungsgesetz. Jeder wird nun sofort davon ausgehen, dass er nur in den Bereich polizeilicher Maßnahmen gekommen ist, weil er fremdländisch aussieht oder sichtbar einer bestimmten Religionsgemeinschaft angehört. Ich muss nun zukünftig belegen, das dem so nicht ist und die Beweise dazu beibringen", so der Oberkommissar ohne Migrationshintergrund im FORUM-Gespräch.
Im Zweifel erst mal keine Kontrolle mehr
In der Berliner Polizeiführung kennt man die aktuellen Motivationsprobleme der Kollegen auf der Straße im Umgang mit den Bürgern. Anfangs war man entsetzt über die Äußerungen der SPD-Co-Vorsitzenden Saskia Esken. „Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte, die durch Maßnahmen der inneren Führung erkannt und bekämpft werden müssen", so Esken Anfang Juni. Zwar ruderte die SPD-Chefin wieder zurück, nachdem auch aus ihrer eigenen Partei massive Kritik an dieser These laut wurde. Doch die Rassismus-Debatte war da und in dessen Fahrwasser musste dann Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) in der rot-rot-grünen Koalition klein beigeben. Das Antidiskriminierungsgesetz wurde verabschiedet. Geisel war zwar ursprünglich dagegen, hat es aber dann doch unterstützt. Die Polizeiführung und die ihr unterstellten Beamten sind nun vom Senator bitter enttäuscht. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte dem „Spiegel": „Ich denke, wir hätten das Gesetz nicht gebraucht." Tatsächlich sieht man sich nun zum Sündenbock gemacht und die Unterstellung der SPD-Vorsitzenden Esken bestätigt: Polizisten stehen unter Rassismus-Verdacht. „Und das in einer Behörde, wo vermutlich fast die Hälfte der Mitarbeiter, die am Bürger sind, selber einen Migrationshintergrund in schon zweiter, dritter Generation hat. Wir haben bei uns auf den Abschnitten polnische Staatsbürger in deutscher Polizeiuniform." Dirk K. versteht da die Welt nicht mehr, und in Anbetracht seiner anstehenden Beförderung geht er jetzt erst mal in Deckung: Dienst nach Vorschrift mit so wenig Bürgerkontakt wie überhaupt möglich.
Einer dieser vielen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund steht in der Berliner Polizei an prominenter Stelle beinah täglich im Rampenlicht: ihr Pressesprecher Thilo Cablitz. Sein Vater stammt aus dem Sudan, seine Mutter ist Ur-Berlinerin und er auch, mit etwas dunklerer Hautfarbe. „Ich lebe, seitdem ich bei der Polizei bin, in mindestens zwei Welten. Als Polizist passiert es mir, dass ich bei Demos als Nazi und Rassist beschimpft werde, der ein Systemträger dieses Schweinestaates ist. Ziehe ich die Uniform aus und gehe als Bürger zum Beispiel einkaufen, passiert es mir, dass die Verkäuferin mit mir in Kleinkindsprache umgeht und mich ganz selbstverständlich duzt, obwohl sie mich nicht kennt." Der 42-jährige Sprecher der Berliner Polizei kann die Angst seiner Kollegen vor den Auswirkungen des Antidiskriminierungsgesetzes zwar verstehen, hält diese aber für etwas überzogen. „Für uns als Polizisten hat sich doch im Umgang mit den Bürgern eigentlich nichts geändert. Wenn jemand den Eindruck hatte, er ist von uns nur wegen seiner Hautfarbe oder Religion benachteiligt oder ungerecht behandelt worden, konnte er auch bisher dagegen Widerspruch einlegen. Jetzt hat das Verfahren eine gesetzliche Verstärkung und einen direkten Ansprechpartner bekommen, mehr ist doch nicht passiert", so Cablitz im FORUM-Gespräch. Mit dem Ansprechpartner ist die zukünftige Ombudsstelle im Berliner Abgeordnetenhaus gemeint, wo Bürger vorsprechen können und sich zukünftig nicht länger bei der Polizei direkt beschweren müssen.
Polizei ist von der Politik enttäuscht
Das ist für den 54-jährigen Oberkommissar in freudiger Beförderungserwartung alles schön und gut, aber er kennt nach 37 Dienstjahren seine Behörde nur zu gut. „Gerade, wenn es um den Verdacht der Ausländerfeindlichkeit oder Rechtsradikalismus geht, dreht die Behörde sofort das ganz große Rad mit allen disziplinarischen Konsequenzen für den beschuldigten Beamten." Und das geschieht, so Dirk K., aus einem einfachen Grund: „Die Behördenleitung hat Angst, dass so was passiert, wie immer wieder bei der Bundeswehr. Beim leisesten Nazi-Verdacht machen die hier sofort die Blutgrätsche, egal ob da nun was dran ist oder nicht. Der Beamte ist erst mal raus aus dem Verfahren."
Obendrein hat das Antidiskriminierungsgesetz noch einen weiteren Schönheitsfehler, und dieser dürfte weit schwerer wiegen als bisher angenommen. Bei Demonstrationen mit mehr als 50.000 Teilnehmern werden auch immer Beamte aus den anderen Bundesländern und der Bundespolizei angefordert. In dem Augenblick, wo diese in Berlin Amtshilfe leisten, unterliegen auch sie dem neuen Antidiskriminierungsgesetz. Die Innenminister von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Hessen, Bayern oder dem Saarland haben das Amtshilfeverfahren bereits infrage gestellt und gedroht, zukünftig keine Polizisten mehr zu „großen Lagen" in die Bundeshauptstadt zu schicken. Berlins Innensenator Andreas Geisel hat nun seinen Amtskollegen aus den Ländern angekündigt, das Land Berlin würde die volle juristische Verantwortung bei möglichen Anzeigen und daraus resultierenden Schadensersatzansprüchen übernehmen. Nicht nur bei den Polizeigewerkschaften herrscht Kopfschütteln über die offensichtliche Naivität des Berliner Innensenators. Denn damit hätte man bei Demonstrationen in Berlin eine Zweiklassen-Polizei. „Das heißt, ich als Berliner Polizist trage die volle Verantwortung für mein Tun nach dem neuen Gesetz mit allen disziplinarischen Folgen, während die Kollegen aus Brandenburg oder Hessen einen Freifahrtschein haben. Das wird weder mit dem Beamtengesetz und schon gar nicht mit dem Grundgesetz zusammengehen", ist sich Oberkommissar Dirk K. ziemlich sicher. Auch bei der Polizeigewerkschaft GdP Berlin schaut man auf den Gleichheitsgrundsatz und ist sich sicher, dass diese Regelung keinen Bestand haben wird. Trotz alledem hat Bundesinnenminister Horst Seehofer dem Abkommen schon mal zugestimmt. Also zumindest die Bundespolizisten werden zukünftig ihren Dienst im Berliner Stadtgebiet bei großen Lagen weiterhin verrichten. Die Landesinnenminister sind diesbezüglich mit Zusagen noch sehr zurückhaltend, denn erste Klagen gegen diese Regelung werden vorbereitet und keiner von ihnen möchte nachher als Depp dastehen.
*Name der Redaktion bekannt.