Inmitten von schnelllebigen Fashion-Trends hat sich Denim den Status einer sicheren Konstante erworben – die aber Saison für Saison Retro-Veränderungen unterzogen wird. Auch diesen Sommer ist das wieder besonders gut und vielseitig gelungen.
Von den internationalen Runways sind sie alle so gut wie verschwunden, die langjährigen Must-haves der Streetwear namens Sneakers oder Hoodies. Wohingegen sich die Jeans nicht nur behauptet hat, sondern ihre Position sowohl auf der Straße als auch in der Fashion-Welt weiter ausgebaut hat. Beim Blick auf die aktuellen Kollektionen ist augenfällig, dass die Designer für die Sommersaison der Kulthose ihre ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben. Kein Wunder daher, dass es derzeit eine unglaublich große Vielfalt an Denim-Trends gibt, die vor allem aus inspirierenden Rückgriffen auf Jeans-Innovationen vergangener Dekaden gespeist werden. Die Schlaghose ist dafür ein ebenso prägnantes Beispiel wie die Bootcut-Jeans oder die Vintage-Patchwork-Denim wie etwa bei Superdry, Mih Jeans, Blank NYC oder Calvin Klein.
Interessant und zugleich zum Schmunzeln animierend, ist die teils ungewohnt heftig geführte mediale Diskussion darüber, wie eine Damenjeans diesen Sommer geschnitten sein sollte. Mit dem Hinweis auf die Kollektionen von Labels wie Brandon Maxwell, Gucci, Saint Laurent, J Brand oder Banana Republic wird das Comeback der Skinny- oder Slim-Fit-Jeans gefeiert, deren schmale Silhouette Hedi Slimane Mitte der Nullerjahre ursprünglich für die Dior-Menswear kreiert hatte. Die wurde dann aber schnell von der Damenmode adaptiert und sollte dank Kate Moss zum dominierenden Jeans-Modell für eine ganze Dekade werden. Mitte der 2010er-Jahre waren in Sachen Jeans-Cut plötzlich Bequemlichkeit und deutlich mehr Weite angesagt, wobei keine der Alternativen wie Mom-Jeans (die aktuell unter ihrem früheren Namen Karottenjeans dank Isabel Marant wieder Fahrt aufnehmen dürfen), Dad-Jeans oder Boyfriend-Jeans dem Skinny-Modell den Rang ablaufen könnte. Daher scheint es nicht weiter verwunderlich, dass die Befürworterinnen des weiten Schnitts von diesen Jeans-Bezeichnungen Abstand genommen und neue Namen wie Balloon Leg oder Barrel Leg ins Spiel gebracht haben. Und die in klassischem Blau gehaltene Hose von Levi’s mit ihrer locker-bequemen Passform als perfekteste Umsetzung ins Feld führen, entsprechende Modelle von Gucci, Givenchy, Liu Jo oder Closed nicht zu vergessen.
Fast schon wie ein Glaubenskrieg mutet die mediale Auseinandersetzung zwischen Anhängerinnen der derzeit dominierenden High-Waist-Fraktion und jenen der wieder etwas im Kommen begriffenen Hüfthosen-Partei an. Letztere verwiesen auf den perfekten Low-Rise-Look, wie ihn die Models auf den Laufstegen von Balmain, Lanvin, Chanel, Rag and Bone oder Pyer Moss präsentiert hatten und wie ihn Promi-Ladys von Bella Hadid über Caro Daur bis hin zu Emily Ratajkowski auf der Straße gezeigt hatten. Die „Welt" titelte: „Hilfe, die Hüftjeans sind zurück!" Und verwies in ihrer Ablehnung auf verstörende Archivfotos aus den frühen Nullerjahren, als Paris Hilton, Britney Spears und Co mit tief auf der Hüfte sitzenden Hosen, „deren Reißverschlüsse mal gerade so über den Schamhügel reichten" und die beim Bücken regelmäßig den Slip hervorblitzen ließen, die Partynächte unsicher gemacht hatten. Einziger Trost für die „Welt": „In Hüftjeans kann man endlich wieder essen, ohne dass die rippenhohe Mom-Jeans alle Bauchorgane zusammendrückt." Und dass dank der angesagten Kombipartner, locker sitzenden Tops und Blazern, in der Regel nur noch ein kleiner Streifen Haut bloßgestellt wird.
Männer müssen sie ja nicht mögen
Eine Stil-Kolumnistin der „Süddeutschen Zeitung" ergriff hingegen streitlustig Partei für die Low-Rise-Jeans und kanzelte die High-Waist-Jeans und deren Jüngerinnen regelrecht ab. Sie machte sich darüber lustig, in welch ungeahnte Höhen oberhalb des Bauchnabels die Designer den Hosenbund zukünftig wohl noch ziehen würden. Das von ihr diesbezüglich recherchierte Rekordmaß lag bei 30,5 Zentimetern vom Schritt bis zum Bund bei einer Levi’s. Eine solche Hose könne nicht bequem sein, lasse sich nur mithilfe eines Gürtels oberhalb des Bauchnabels irgendwie fixieren und verursache zudem ein unlösbares Knitterproblem. Und weiter: „Es ist zweifellos richtig, dass die High-Waist-Jeans den Hintern feiert – allerdings in dem Sinn, dass man (Pardon!) als Riesenarsch auf zwei Beinen durchs Leben balanciert. Die einzigen Frauen, die damit durchkommen, haben keinen Rubens-Körper, sondern sind quasi hinternlos, steckerldünn, mit Knabenhüften sowie grotesk langen Beinen ausgestattet, weil der hohe Bund auch optisch staucht. Der Effekt ist desaströs. Ich schwöre, es gibt auf dieser Welt keinen einzigen Mann, der die High-Waist-Jeans schön findet." Uneinigkeit herrscht auch darüber, ob die Destroyed Jeans wieder angesagt ist, weil sie auf den Laufstegen von Givenchy oder Ganni zu sehen war, oder besser beispielsweise nach Meinung des Magazins „Elle" im hinteren Bereich des Kleiderschranks verborgen bleiben sollte.
Männer müssen sie ja nicht mögen
Doch nun ist es höchste Zeit, die angesagten Jeans-Trends dieser Sommersaison kurz vorzustellen. Dabei ist farblich alles möglich, von Classic Blue (wie bei Celine) über bleachende Verwaschungen und Two-Tone-Umsetzungen (wie bei Gucci, Brandon Maxwell oder Celine) bis hin zu satinähnlichen Trompe-l’oeil-Effekten (wie bei Balenciaga).
Jeans-Culotte: Auf der Pariser Fashion Week war die von Clare Waight Keller für das Label Givenchy entworfene weite Jeans-Culotte mit leichtem Destroy-Touch in aller Munde. Und auch bei Chanel war die knielange Hose, die die Waden bewusst betont, auf dem Laufsteg zu sehen. Culottes sind fraglos die elegante Alternative zu den sommerlichen Shorts.
Bermuda-Jeans: Was für eine tolle Denim-Variante Hosen im Bermuda-Format sein können, bewies Chanel-Kreativchefin Virginie Viard eindrucksvoll auf dem Laufsteg. Wobei sie auf die sonst typische Bundfalte verzichtet hatte. Auch Alexander Wang hatte sich für diese ungewöhnliche Denim-Lösung entschieden, die laut dem Online-Store Net-A-Porter das Potenzial zum It-Piece des Jahres haben könnte.
Frontnaht-Jeans: Auf allen nur erdenklichen Hosen-Varianten von Schlag bis Paperbag haben die Designer als neues Zierelement eine als Eyecatcher gedachte Frontnaht aufgesetzt. Das soll einen Beinverlängerungs-Effekt haben. Sie sieht aber auch hübsch aus, wie frau beim Betrachten der Jeans von Valentino, Other Stories, Stella McCartney, Versace, Vetements oder Chanel feststellen wird.
Pleated Jeans: Jeans, die weit oben in der Taille sitzen, erhalten dank lässiger Zierfalten am Bund deutlich mehr Bequemlichkeit. Auch wenn sie wegen des daraus resultierenden Paperbag-Effekts und der weiten Karottenform optisch auf den ersten Blick vielleicht etwas voluminös wirken können. Bei Chanel war die perfekte Umsetzung dieses Trends auf dem Laufsteg zu bestaunen. Aber auch Marken wie Closed, Agolde oder Mother haben entsprechende Teile in ihrer aktuellen Kollektion.
Bootcut-Jeans: Der Bootcut wurde ursprünglich für das amerikanische Militär erfunden, damit die Hose dank des leicht ausgestellten Beinabschlusses bequem über die klobigen Soldatenstiefel getragen werden konnte. In den 1990er-Jahren fand der Bootcut dann Eingang in die Damenmode. Und sorgt dank Labels wie Marc Jacobs, Gucci, Celine oder J Brand nun wieder für Furore. Die Hosen sind an Hüfte und Oberschenkel schmal geschnitten und laufen erst ab dem Knie weiter aus.
Schlaghosen-Jeans: Beim Blick auf die fast schon glockenförmig ausgestellten Hosen-Modelle der Celine-Show dürfte sich frau direkt in die 1970er-Jahre zurückversetzt gefühlt haben. Für manche Damen mag dieses Revival etwas gewöhnungsbedürftig sein, schließlich haben wir uns über Jahrzehnte an die schmal geschnittene Passform gewöhnt.
Jeans-Latzhosen: Weite Latzhosen, am besten in strahlendem Weiß, hat beispielsweise das Magazin „In Style" zu einem der angesagtesten Jeans-Trends deklariert. Es gibt sie beispielsweise von Labels wie La Redoute oder Lab Dip. Sie sind eine coole Sommer-Alternative zum Overall und können mit einem smarten Boyfriend-Charme punkten. Mit kurzem Bein sind sie auch eine Abwechslung zur klassischen Shorts.
Kanadischer Tuxedo: Denim-Anzüge sind nach wie vor so etwas wie die perfekte Realisierung des Jeans-Komplett-Looks. Am schönsten ist dieser wohl im Sommer 2020 dem Luxuslabel Bottega Veneta gelungen. Ebenso pfiffig sind die Tuxedos von House of Holland, Alberta Ferretti oder Balenciaga. Mit diesen Teilen ist frau auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Aber auch Kombos mit Hose und Bluse aus Denim, wie bei Celine zu bewundern, können eine gute Figur machen.
Lange Jeans-Röcke: Es müssen nicht immer nur Hosen aus Denim sein. Daher haben die Designer aus dem Material auch eine Vielzahl von Röcken im Midi-Format (oder sogar noch länger) entworfen. Denim-Skirts sind eine sehr feminine Variante des Denim-Looks, wie es Labels von Stella McCartney und Givenchy bis hin zu Alexander Wang auf ihren Laufstegen vor Augen geführt hatten. Denim-Minis, wie sie jüngst Top-Influencerin Caro Daur präsentiert hatte, sind vergleichsweise selten im Angebot.
Angesagte Denim-Nachhaltigkeits-Label: Einige Marken setzen bewusst auf biologisch angebaute Baumwolle und achten darauf, dass ihre Denim-Teile möglichst komplett recycelt werden können. Wem das wichtig ist, sollte sich Namen wie E. L. V. Denim, DL1961, Ética, Amo Denim, Bliss and Mischief, Boyish Jeans, Re/Done, Sézane, Citizens of Humanity oder Gap‘s Better Made Denim merken.
Auch in der Menswear Sommersaison spielt Denim natürlich wieder eine wichtige Rolle – mit der Farbe Babyblau als klarem Favoriten, beispielsweise bei Marken wie Balmain, Versace, Balenciaga und Off-White. Die Mehrzahl der Designer hat versucht, den Herren der Schöpfung einen Jeans-Komplett-Look schmackhaft zu machen. Der diesbezügliche Vorreiter war schon Anfang der 1950er-Jahre der legendäre US-Sänger und Schauspieler Bing Crosby. Allerdings hatte im Jahr 2001 Justin Timberlake im Total-Denim-Outfit schon mal Schiffbruch erlitten. Daher darf man gespannt sein, ob die Männerwelt den Wunschvorgaben von Labels wie Loewe, Celine, Valentino, Versace, Balmain, Fendi, Louis Vuitton oder Heron Preston tatsächlich folgen wird.