Um Künstler und ihr Publikum auch unter Corona-Auflagen zusammenzubringen, hat die Stadt Werder (Havel) südwestlich von Berlin einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen – mit sogenannten Kulturtürmen und einem Blütenstream.
uf dem Wachtelberg streicht der Wind über die Reben am Weinberg und fängt sich dann oben auf der Plattform des Aussichtsturms. Der 6,45 Meter hohe Turm warb auf der Bundesgartenschau 2015 in Brandenburg (Havel) noch für den Landkreis Potsdam-Mittelmark, nun ist er zu einem beliebten Ausflugsziel in der Havelstadt Werder geworden. Und in Corona-Zeiten zum Mittelpunkt der Aktion „Kulturtürme".
Auch in der 25.000-Einwohner Stadt hat die Corona-Krise Kunst und Kultur hart getroffen, brauchen doch gerade sie die Interaktion mit Menschen. Von einem Tag auf den anderen brach das aber alles weg. Im Werderaner Kulturamt machte man sich Gedanken, wie Künstler und Publikum dennoch zusammengebracht werden könnten. „Wir wollten unsere Werderaner Kulturszene weiter erhalten", erklärt Stefan Marten, im Rathaus zuständig für den Bereich Kultur. „Deshalb entstand die Idee des ‚Blütenstreams‘. An markanten Orten unserer Stadt wie dem Aussichtsturm auf dem Wachtelberg oder der Bockwindmühle auf dem Mühlenberg drehen wir mit professionellen Künstlerinnen und Künstlern kurze Videos, zwischen zehn Minuten und einer Stunde lang."
Der Name „Kulturtürme" ist nicht von ungefähr etwas doppeldeutig. Ein Turm assoziiert ja immer etwas Herausragendes, und in diesem Fall müssen die Künstler zudem hoch hinaufsteigen, um zu performen. Bisher entstanden vier Videos, unter anderem mit den Musikern Karsten Perenz und Matthew Lee, der mit seinem elektronischen Sound den „Blütenstream" eröffnete. Auch ein interaktives Kinderprogramm ist dabei, bei dem die Jüngsten ihre Stadt erkunden können. Weitere Videos sind geplant, die Aktion laufe vorerst weiter, auch wenn sich die Lage entspannt habe, sagt Stefan Marten. Schließlich sei das Ganze nicht nur Werbung für die Künstler und ein Angebot für alle Interessierten, sondern auch ein Gewinn für das Stadtmarketing.
Aber jetzt wird erst mal der Videodreh vorbereitet. Nicht gerade optimale Bedingungen, denn die Hygienevorschriften machen es etwas komplizierter.
Die Türme als Bühne für Videos
Mitarbeiter einer Eventmanagementfirma stöpseln Kabel ein, richten Mikrofone und Kameras aus. Heute werden Thomas Walter Maria und Marius Moritz ein Jazz-Programm einspielen. Während Marius Moritz ein paar Takte auf dem E-Piano anschlägt, versucht Thomas Walter Maria einen festen Stand für seine Saxofone auf der winzig kleinen Bühne zu finden. Das ist auch der Grund, weshalb das Angebot nur für Solokünstler oder Duos gilt, denn für mehr Personen, die zudem Abstand halten, wäre kein Platz vorhanden. Thomas Walter Maria freut sich, nach drei Monaten endlich wieder live spielen zu können. Fügt aber mit einem Blick nach unten hinzu: „So ohne Publikum ist das aber gewöhnungsbedürftig."
Seit zehn Jahren wohnt Thomas Walter Maria in Werder (Havel). Der Saxofonist, Komponist, Arrangeur und Sänger studierte in Leipzig und Boston Musik, spielt unter anderem beim Berlin Jazz Orchestra und bei der Papa Binne’s Jazz Band mit. Inzwischen hat er auch seine eigene Formation. Zudem ist er Initiator und künstlerischer Leiter des Musikfestivals „Werder klingt", das seit 2017 im Frühjahr stattfindet. Bei der letzten Ausgabe im vergangenen Jahr wurden dazu sogar einige Gebäude in Werder in wechselnden Farben illuminiert. Aber Corona ließ dieses Jahr die Festivalträume platzen, deshalb setzt Thomas Walter Maria für die nächsten Monate auf Open-Air-Konzerte. Noch ein prüfender Blick in den Himmel, dann greift er sich sein Saxofon und beginnt mit dem Soundcheck. Normalerweise sind sie zu fünft in seiner Formation, jetzt musste das Programm für zwei Musiker umarrangiert werden. Swing aus den 1950ern und 60ern ist mit dabei ebenso wie ein paar eigene Stücke.
Inzwischen ist es Nachmittag. Ein paar Mal hat sich die Sonne sehen lassen. Thomas Walter Maria und Marius Moritz sind immer noch voll bei der Sache, das ist auch von unten deutlich zu sehen und zu hören: „Morgens immer müde" von Trude Herr und „Frauen regier’n die Welt" von Roger Cicero, aber ebenso Eigenkompositionen wie „Too hot for December" und „Paquito". Dafür gibt es Applaus, denn inzwischen hat sich Publikum eingefunden. Die Gäste der zum Weingut gehörenden Wirtschaft „Weintiene" lauschen mit gebotenem Abstand –
mit dabei auch Dr. Manfred Lindicke und seine Tochter, die den Weinberg bewirtschaften, auf dem der Turm steht. Ein kleiner Junge verfolgt fasziniert, wie eine Drohne startklar gemacht wird, dann surrend eine Runde um den Turm fliegt, in der Luft stehen bleibt. Zum Konzept der „Kulturtürme" gehört auch, dass die Stadt und ihre Umgebung als Kulisse in den Filmen auftauchen.
Werder (Havel) – mit der Stadt verbinden die meisten das Baumblütenfest, das seit gut 140 Jahren im Frühjahr als eines der größten ostdeutschen Volksfeste hunderttausende Besucher anzieht. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Wein- und Obstbauern und die Stadt. Die zunehmende Kommerzialisierung gefiel aber nicht allen, und so wurde von der Stadtverwaltung ein neues Konzept erarbeitet. In diesem Jahr sollte es daher eine kleinere Variante in „Höfen und Gärten" werden. Aber auch das musste coronabedingt abgesagt werden.
Es ist nicht die Zeit für Volksfeste
So ist also in diesem Jahr nicht die Zeit für große Events, sondern für kleine Kulturerlebnisse, für Entdeckungen wie beispielsweise in der Altstadt auf der Havelinsel, was „Werder" übrigens ursprünglich bedeutete. Auf dem Panoramaweg Werderobst, der auch am Wachtelberg vorbeiführt, kann man die „Obstkammer Berlins" mit zahlreichen Hofläden und Manufakturen erkunden. Auch sonst hat die Stadt einiges zu bieten an Museen und Denkmälern, Galerien und Kunstateliers. Das Wandertheater „Ton und Kirschen" gastiert regelmäßig mit seinem Programm und das Theater „Comédie Soleil" zeigt seine Stücke im nun denkmalgeschützten, ehemals ersten Kaufhaus der DDR.
Über dem Wachtelberg ist es immer noch bewölkt, aber der Regen ist wenigstens ausgeblieben. Stellt Thomas Walter Maria schmunzelnd fest und steigt von seiner Bühne auf dem Turm hinunter. Zeit für ein Gläschen Wein. Und für den nächsten Videodreh – denn da hinten kommt schon Werderaners Baumblütenkönigin in Sicht. Normalerweise würde Meike Löbe die Stadt auf Veranstaltungen repräsentieren, doch die meisten dieser Aufgaben sind bis auf Weiteres weggefallen. Also ist sie nun die Protagonistin in dem Werder-Video für Kinder –
heute wird die Abschlussszene gedreht. Also geht es für Meike mit ihrem ausladendenden Rock die Wendeltreppe zur Plattform hinauf. Oben angekommen winkt sie majestätisch in die Kamera. Geschafft, alles im Kasten!
Die Videos sind unter „Kulturtürme" auf der Homepage der Stadt www.werder-havel.de abrufbar. Künstlerinnen und Künstler, die mitmachen möchten, können sich per E-Mail unter kultur@werder-havel.de mit dem Kennwort „Kulturtürme" und der Nennung der technischen Anforderungen bewerben. Die Videoclips entstehen auf der Bismarckhöhe oder dem Wachtelberg und werden live aufgezeichnet.