Über die Anfänge des Profiling – des systematischen Täterprofils von Serienmördern – erzählt die Serie „Mindhunter". Das gelingt ihr furios.
Da sitzt er – festgekettet an einer Trage, schwitzend, schnaufend, um Fassung ringend. Der junge aufstrebende FBI-Agent Holden Ford hat offensichtlich zu tief in den Abgrund geblickt – und der Abgrund hat auch in ihn hineingeschaut. Es ist Ende der 70er-Jahre, und Ford (facettenreich: Jonathan Groff) ist dabei, Geschichte zu schreiben. Mit seinem Partner interviewt er systematisch eine neue Art von Killer – den Serienmörder. Ein Gespräch mit Ed Kemper (großartig, furchteinflößend: Cameron Britton) bringt mit der emotionalen Bindung die dunkle Seite des neuen Ansatzes zum Vorschein – Holden Ford leidet zu Beginn der zweiten Staffel von „Mindhunter" also unter Panikattacken.
Die erste Staffel der exzellenten Netflix-Serie erzählt den Weg in den Abgrund. Holden Ford ist forsch, vorpreschend, unerfahren und voller Potenzial. Er arbeitet zu viel, ist ziemlich verkopft, gleichzeitig charmant und hat einen Schlag bei Frauen. Durch seine Arbeitswut und dem unbedingten Willen, seinen Kopf durchzudrücken, fährt er seine Beziehung mit Kay Manz (ebenso sexy wie emanzipiert: Hannah Gross) gegen die Wand. Mit seinem ihm zugeteilten Kollegen Bill Tench (entspannt und gleichzeitig brodelnd und dennoch immer den Überblick behaltend: Holt McCallany) baut er eine Abteilung für Kriminalpsychologie und Profiling auf – seinerzeit eine bahnbrechende Herangehensweise.
Um das Ganze auf eine wissenschaftliche Basis zu heben, holen die Special Agents die Psychologin Wendy Carr ins Team (wundervoller Eisblock: Anna Torv). Sie ist Feuer und Flamme für die Ergebnisse, zweifelt aber immer mehr an der Eignung von Holden Ford. Dass dieser eine emotionale Bindung zu den verurteilten Serienmördern herstellt und direkte und für viele Kollegen anstößige Fragen stellt, hält sie für unwissenschaftlich. Als dann noch Agent Gregg Smith (herrlich unterwürfig gegenüber Autoritäten: Joe Tuttle) dazustößt und einen kompromittierenden Audio-Mitschnitt eines Interviews an die Aufsichtsbehörde schickt, scheint das Team gänzlich zu zerfallen.
Bahnbrechende Herangehensweise
„Mindhunter" triumphiert auf so ziemlich allen Ebenen. So sind Geschichten über Serienmörder schon lange im Mainstream verankert, doch die Hintergründe über die Anfänge des Profiling selbst noch nicht auserzählt. Atmosphäre, Setting, Kostüme, Make-up, Frisuren – alles top. Man denkt tatsächlich, sich in den End-70ern zu befinden. Wo manch andere Serien und Filme über Killer die Taten in den Vordergrund stellen und die Täter so allzu oft glorifizieren, hebt sich die bislang 19 Folgen umfassende Serie wohltuend davon ab.
Zwar werden die Interviews mit Mördern wie David „Son of Sam" Berkowitz, Dennis „BTK-Killer" Rader, Charles Manson oder eben Ed Kemper gezeigt, und deren Darsteller haben oft auch frappierende Ähnlichkeiten mit den realen Menschen. Doch im Vordergrund stehen eben die Konflikte der Agents untereinander.
Als eine der treibenden kreativen Kräfte war Regisseur David Fincher am Werk. Dessen Œuvre umfasst neben „House of Cards", „Fight Club" und „Gone Girl" auch die beeindruckenden Serienmörder-Filme „Sieben" und „Zodiac – Die Spur des Killers". Erdacht wurde das Ganze von Joe Penhall, einem englischen Autor, der unter anderem für seine Theaterwerke gefeiert wird und das Drehbuch zum Endzeit-Drama „The Road" mit Viggo Mortensen verfasste.
Er basierte die Hauptcharaktere von „Mindhunter" auf den realen Vorbildern John E. Douglas (Holden) und Robert K. Ressler (Tench). Douglas veröffentlichte 1995 das Buch „Mindhunter: Inside the FBI‘s Elite Serial Crime Unit", das einige Jahre später Schauspielerin Charlize Theron David Fincher weiterempfahl. Theron fungiert bei der Serie auch als Produzentin.
Meister ihrer Genres waren am Werk
Ressler wiederum wird die „Erfindung" des Begriffs Serienmörder nachgesagt. Auch er hat sich mehrfach als Autor betätigt, unter anderem bei dem sehr lesenswerten Buch „Whoever Fights Monsters", das auf Deutsch den sehr reißerischen Titel „Ich jagte Hannibal Lecter" trägt. Ressler beriet Autor Thomas Harris unter anderem bei „Das Schweigen der Lämmer".