Türkgücü München will sich im deutschen Profifußball etablieren. Mit dem Aufstieg in die Dritte Liga ist der erste Schritt gemacht. Die Querelen im Vorfeld offenbaren jedoch die internen Probleme des Clubs.
Um einen Namen kommt keiner herum, wenn er sich genauer mit dem Verein Türkgücü München beschäftigt: Hasan Kivran. Der Präsident ist ein Unternehmer, der sein Geld im Leasing-Geschäft gemacht hat und prominente und finanzstarke Sponsoren zu Türkgücü gelotst hat. Unter anderem wirbt das britische Versicherungs-Unternehmen Aon, das übrigens seit vielen Jahren Premiumpartner von Manchester United ist, auf dem Trikot des Viertligisten. Zudem hat Kivran die Spieler auf seiner Seite, so auch seinen Kapitän Yasin Yilmaz: „Es ist Präsident Kivran zu verdanken, dass Türkgücü perspektivisch arbeitet. Unser erstes Gespräch ging gute drei Stunden, in denen er mich mit seinem klaren Plan für die Zukunft des Vereins umgehauen hat." Kivran sei „mit einer solchen Leidenschaft involviert", dass er dem 30-jährigen Yilmaz, der nach einer gescheiterten Zweitliga-Karriere in der Türkei nach Bayern zurückkehrte, wieder „den Glauben an meinen Traum Profifußball zurückgab". Denn der von türkischen Migranten gegründete Verein will sich laut eigener Aussage neben dem FC Bayern und 1860 als dritte Fußballkraft Münchens etablieren. Um genauer zu sein: den Verein in der Zweiten Liga etablieren.
Infrastrukturell gibt es dabei noch riesige Hürden zu überwinden, sportlich hingegen ist durchaus ein Plan dahinter. Nicht wenige Spieler im Kader spielten bereits höherklassig, andere wiederum wurden direkt von renommierten Nachwuchsleistungszentren zu Türkgücü gelotst. Und da kommt das zweite große Puzzleteil des Erfolgs ins Spiel: Robert Hettich. Der langjährige Teammanager und Pressesprecher von 1860 München bringt ebenso wie Kivran ein weitverzweigtes Netzwerk in den Club. Auch aufgrund seiner guten Kontakte entscheiden sich immer mehr junge bayerische Talente für Türkgücü, statt auf den Sprung zu den Profis ihres Heimatvereins zu hoffen. Dafür hat Türkgücü im Sommer 2019 nachhaltig seinen Kader umstrukturiert. 22 neue Spieler kamen, die meisten von ihnen unter 23 Jahren. Die Kicker, die heute gegen Garching auflaufen, sollen Türkgücüs Farben auch in „sieben, acht Jahren" tragen, so Hettichs Wunsch. „Auf junge Spieler zu setzen und sie weiterzuentwickeln", sei ein elementarer Teil der Vereinsphilosophie, meint der Sportdirektor.
Was Türkgücü noch zu einem visionären Verein fehlt, ist ein eigenes Nachwuchsleistungszentrum (NLZ). Eine Talentschmiede, wie sie die „Junglöwen" des Lokalrivalen 1860 München haben, ist bei Türkgücü nicht in Sicht. Doch: Ein qualitativ hochwertiger Unterbau hat bei Türkgücü offenbar auch keine Priorität. Spricht man mit Sportdirektor Hettich darüber, scheint er den Aufbau eines NLZ eher als lästige Pflichterfüllung zu sehen. „Wenn wir in die 2. Bundesliga aufsteigen wollen, brauchen wir ein NLZ. Das ist eine Vorgabe vom Verband", frühstückt er das Thema ab. Man habe momentan „viel zu viele Dinge, die dringender eine Lösung benötigen". Etwa ein angemessenes Trainingsgelände. „Aktuell trainieren wir auf einer Bezirkssportanlage, die wir uns mit anderen Vereinen teilen. Das ist für eine Mannschaft, die unter Profibedingungen arbeiten möchte, nicht hinzunehmen", sagt Hettich.
Der erste von Migranten gegründete Verein im deutschen Profifußball
Doch das ist nicht das Einzige, was bei dem Verein noch im Argen liegt. Die Fanszene, insofern sie so genannt werden kann, ist gespalten. Zum einen wären da die „Fanatiks", die sich selbst als den ersten Fanclub Türkgücüs ansehen und dem Club seit fast vier Jahren durch alle Ligen und Dörfer Bayerns folgen. Sie organisieren sich an einem Ende der Traverse hinter zwei Capos, schwingen Fahnen, trommeln, singen – auf Deutsch, im Geiste der italienischen Ultra-Kultur. Zum anderen ist da der einsame Trommler, den alle im und um den Verein nur als Hakan kennen. Er und weitere Personen, deren Väter den Vorgänger Türkgücüs bereits in den Achtzigern unterstützt haben, sind eben auch bei den Spielen. Hakan trommelt in türkischer Tradition, stimmt kurze „Türkgücü"-Schlachtrufe an, animiert das Publikum – auf Türkisch. „Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft weniger auf die Silbe ‚Türk‘ in unserem Namen reduziert werden", fordert Hettich. Denn in ihr steckt die komplexe Krux dieses Vereins: eines türkischen Vereins, der nichts mit der politischen Türkei zu tun haben will. Hettich, aber auch Kapitän Yilmaz, träumen hingegen lieber von Tausenden Fans, die im Ruhrgebiet und anderen Ballungsräumen Deutschlands mit großer türkischer Diaspora die Gästeblöcke füllen sollen – politisch von der Türkei vereinnahmt werden wollen sie jedoch nicht. Doch es scheint nicht einfach zu sein, mit dieser Situation umzugehen.
Das wohl größte Problem des Vereins ist aber das des fehlenden Stadions. Denn lange war nicht klar, ob der Verein den Aufstieg in die Dritte Liga überhaupt wahrnehmen
kann. Im Grünwalder Stadion spielen schon die beiden Drittligisten TSV 1860 München und die Amateure des FC Bayern, der DFB erlaubt aber nur 50 Drittligaspiele pro Saison in einem Stadion. Diesen Wert würden drei Teams gleichzeitig knapp überschreiten. Nun scheint aber endlich eine Lösung gefunden zu sein. Die Hauptspielstätte von Türkgücü München in der Dritten Liga wird zwar das Grünwalder Stadion sein. Um aber die vom DFB vorgegebene Höchstspielzahl nicht zu überschreiten, werden vereinzelt Spiele im Münchner Olympiastadion ausgetragen. Ein Zustand auf Dauer ist das aber nicht. Präsident Kivran liebäugelte sogar schon mit einem Wechsel ins Ruhrgebiet. Dort wäre aufgrund der vielen türkischen Migranten eine größere Fanbasis zu erreichen, und es gäbe mehr Stadien auf einem Fleck.
Türkgücü München polarisiert, auch weil es der erste Verein im Profifußball ist, der von Migranten gegründet wurde. Sie sind aber auch gut geführt, sportlich solide aufgestellt und werden von finanzstarken Sponsoren begleitet. Nicht mit diesem Verein zu rechnen, wäre ein Fehler.