Anders als in Deutschland ist die Briefwahl in den USA unüblich. In Zeiten einer Pandemie aber könnte sie zum Zünglein an der Waage werden. US-Präsident Trump hat in einem Interview zugegeben, die Briefwahl sei die größte Unsicherheit für seine Wiederwahl.
Mit 125.000 Todesopfern hat das neuartige Coronavirus die USA fest im Griff. Inmitten von verwirrenden Aussagen aus dem Weißen Haus, regional unterschiedlichen Lockdowns und einer bislang beispiellosen Welle von antirassistischen Protesten versuchen die US-Bundesstaaten, gleichzeitig noch eine Präsidentschaftswahl zu organisieren. Auch auf dieser Ebene gilt: Republikaner gegen Demokrat, Rot gegen Blau – ein Kampf bis aufs Messer.
Mit der Wahl zum Repräsentantenhaus 2018 zeigte sich bereits eine deutliche Mehrheit für die Demokraten. Zahlreiche neue, vor allem junge Wähler haben sich seit dem Amtsantritt von Donald Trump für die Demokraten registrieren lassen. Nun, mit der Präsidentschafts- und Senatswahl 2020, wollen die Demokraten nicht nur den Senat, sondern auch das Weiße Haus wieder erobern.
Doch der Widerstand ist groß. In Deutschland werden Wahlen auch nach dem Wetter entschieden – ist es sonnig, wählen mehr Menschen als wenn es regnet. In den USA haben sich ähnliche wahlentscheidende Randbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt: Gehen viele Wähler zur Urne, gewinnen tendenziell die Demokraten, gehen möglichst wenig Menschen wählen, die Republikaner. Es läge also im Interesse der republikanischen Partei, dass möglichst viele Wähler ihr Recht gar nicht erst wahrnehmen. Und das geschieht gerade in zahlreichen Bundesstaaten – zum Ärger der Demokraten. Der Kampf um die Briefwahl hat begonnen.
Widerstand gegen Briefwahl ist groß
Es geht um „Wählerunterdrückung", um Wahlbetrug, um die organisatorischen Hürden einer Wahl in Zeiten einer Pandemie. Demokraten versuchen in zahlreichen Bundesstaaten, das Wählen zu vereinfachen, während Republikaner dies zu verhindern versuchen. Die Frontlinie verläuft geradewegs durch die wichtigen Swing States. Diese tendieren in ihrem Wahlergebnis mal zur einen, mal zur anderen Partei. In Wisconsin, einem dieser wahlentscheidenden Staaten, votierte im April eine Mehrheit von republikanischen Richtern in allerletzter Minute gegen eine Verschiebung der Vorwahlen wegen der Corona-Krise wie vom demokratischen Gouverneur Tony Evers gefordert. Der republikanisch dominierte Kongress von Wisconsin untersagte der Wahlkommission, vorsorglich Briefwahlunterlagen an 2,7 Millionen registrierte Wähler zu senden, weil „womöglich die Listen noch nicht von Personen bereinigt sind, die bereits umgezogen sind", so State Senator Scott Fitzgerald im „Milwaukee Sentinel".
Umfragen des Unternehmens Morning Consult zeigen, dass Republikaner lieber persönlich zur Wahl gehen, Demokraten sind vorsichtiger und würden eine Briefwahl bevorzugen. Denn vor allem in den urbanen, mehrheitlich von demokratischen Wählern bewohnten Regionen der USA breitet sich das Virus rascher aus als in den ländlichen, mehrheitlich von Republikanern bewohnten Gegenden; unter Afroamerikanern und Latinos wütet das Virus laut Center of Disease Control (CDC, Covid-Net) stärker als unter anderen Ethnien – zwei Wählergruppen, die eher zur Wahl demokratischer Kandidaten neigen.
Trotzdem warteten Wähler bei den derzeit laufenden Vorwahlen, den Primaries, in den Bundesstaaten wie zuletzt in Georgia oft bis zu acht Stunden in einer Schlange darauf, ihren Wahlzettel abzugeben – weil sie der maroden US-Post nicht trauen oder weil, im Falle von Milwaukee in Wisconsin, nur fünf von 180 Wahllokalen wegen der Pandemie geöffnet hatten.
Republikaner gehen persönlich wählen
In Florida kann jeder Wähler bis zehn Tage vor der Wahl eine Briefwahl beantragen. Mittlerweile haben sich laut Florida State Department deutlich mehr Demokraten für die Briefwahl registrieren lassen als Republikaner – ein Zeichen dafür, dass die Demokraten diesen wichtigen Swing States für sich beanspruchen können? Nicht notwendigerweise. Denn neben der Registrierung als Wähler ist klarerweise das sichere Ankommen der Wahlpost im Wahlbüro wichtigster Bestandteil des Prozesses in den USA. Und hier kommt der US Postal Service ins Spiel, die staatliche Postgesellschaft. US-Präsident Donald Trump hat kürzlich Louis DeJoy zum „Postmaster General" berufen, wie der Amtschef offiziell genannt wird, einen großzügigen Spender der Republikanischen Partei und Logistikunternehmer. Er soll nun die veraltete, unzuverlässige und mit 161 Milliarden Dollar verschuldete US-Post umkrempeln. Seit Jahren gilt sie als hoffnungslos unterfinanziert und hat schlicht das digitale Zeitalter verpasst.
Dennoch: Zahlreiche Amerikaner werden in diesem Jahr erstmals per Post abstimmen. Schon jetzt häufen sich in den US-Medien die Meldungen über Probleme: fehlgeleitete Wahlpost in Austin/Texas, nicht rechtzeitig zugestellte Wahldokumente in Delaware County/Pennsylvania, ein brennender Laster mit Wahlpost in New Jersey, Vorwahlunterlagen, die statt zu den Wahlbüros zu den Wählern zurückgeliefert wurden, ebenfalls in Pennsylvania.
Steilvorlagen für den amtierenden Präsidenten, schon mal vorsorglich Betrug zu wittern und die kommenden Präsidentschaftswahlen auf seinem Twitteraccount zu den „am meisten manipulierten Wahlen" in der Geschichte der USA hochzustilisieren. Sollten demokratische Wähler ihre Briefwahlunterlagen zu weiten Teilen richtig ausgefüllt rechtzeitig abgeben, sind diese Stimmen sein größtes Risiko – dies hat Trump in einem Interview mit dem Magazin „Politico" bereits zugegeben. Nicht zuletzt deshalb bereitet er schon jetzt den Boden, mit Betrugsvorwürfen die kommende Wahl anzufechten. Bei vorangegangenen Wahlen jedoch hat sich gezeigt: Vor allem Wähler der Republikaner sind beim Einsenden von Briefwahlbögen zuverlässiger als diejenigen der Demokraten. Vielleicht muss sich Trump also nicht allzu viele Sorgen um die Stimmabgabe per Post machen.