Frankreichs grenznahe Kommunen sind vom Coronavirus arg gebeutelt. Die Region Grand Est hofft nun auf schnelle wirtschaftliche Erholung – und Kundschaft aus Deutschland.
Der Weg ist das Ziel. Mit der Wiedereröffnung der Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich war ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zur Normalität erreicht. Drei Monate konnten Deutsche und Franzosen ohne triftigen Grund nicht ins jeweilige Nachbarland fahren. Seit Mitte Juni herrscht entlang der deutsch-französischen Grenze wieder die ersehnte Freizügigkeit im Sinne des Schengen-Abkommens. Bundespolizei und Gendarmerie sind auf Anweisung der nationalen Regierungen in Paris und Berlin bis auf Weiteres von der Grenze abgezogen.
Zunächst einmal, denn bei einer drastischen Änderung des Infektionsgeschehens in Frankreich oder Deutschland könnte sich das rasch wieder ändern. Trotz Beteuerungen der Politiker aus Grenzregionen wie dem Saarland und Lothringen, die Grenzen im Falle einer zweiten Infektionswelle nicht wieder zu schließen, bleibt die Entscheidungsbefugnis darüber letztlich im Zuständigkeitsbereich der nationalen Innenminister in Paris und Berlin.
Ein Dorn im Auge der hiesigen Verantwortlichen, schließlich stünden das Saarland und Lothringen stellvertretend wie kaum eine andere Region für das Zusammenwachsen Europas, so der französische Abgeordnete der Nationalversammlung und Vorsitzende des französischen Büros der deutsch-französischen Parlamentarischen Versammlung, Dr. Christophe Arend. „Wenn nicht wir, wer sonst weiß, wie Europa in der Praxis funktioniert?", betont der Bevollmächtigte für Europaangelegenheiten des Saarlandes, Staatssekretär Roland Theis.
Die lang herbeigesehnte Grenzöffnung soll aber auch der durch die Corona-Krise arg gebeutelten Wirtschaft wieder neuen Schwung verleihen. Deutsche Supermarktketten entlang der Grenze leben stark vom Umsatz der französischen Kunden, und auch Saarländer kaufen gerne im Nachbarland ein. Dieser Umsatz sei drei Monate lang weggefallen, hofft der neue Bürgermeister Rainer Lang aus dem grenznahen Kleinblittersdorf nun auf Besserung. Mit einer Charmeoffensive versuchen Geschäfte, Supermärkte und Restaurants, sowohl im Saarland als auch im Département Moselle wieder Kunden anzulocken und die ramponierte deutsch-französische Freundschaft zu kitten. Eine Etappe auf dem Weg zurück zur Normalität sei erreicht, aber es liege „noch viel Arbeit vor uns", erklärt Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt und Präsident des Eurodistricts SaarMoselle beim „offiziellen" Re-Start auf der Brücke der Freundschaft genau auf der Grenze zwischen Kleinblittersdorf im Saarland und Großblittersdorf in Lothringen.
Charmeoffensive für die Kundschaft
In der Tat, denn selbst wenn das Virus derzeit halbwegs eingedämmt zu sein scheint, die wirtschaftlichen Folgen dies- und jenseits der Grenze sind enorm. Besonders die Kommunen leiden unter den Einnahmeausfällen und der gestiegenen Arbeitslosigkeit. Das gilt vor allem für unsere französischen Nachbarn, die besonders stark von der Pandemie betroffen waren. „Trotz der zugesagten finanziellen Hilfen seitens der französischen Regierung in Paris werden die kommenden Monate für die französischen Kommunen finanziell schwierig", sagt Gilbert Schuh, Bürgermeister der Gemeinde Morsbach und Vizepräsident des Eurodistricts. „Entscheidend wird es sein, wie die Wirtschaft durch die Krise kommt. Die Arbeitslosigkeit steigt und damit auch die Ausgaben für Soziales." Damit insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe und das Handwerk wegen Corona nicht auf der Strecke bleiben, sind Steuer- und Abgabenentlastungen wie auch Stundungen vorgesehen. Erhöhungen seien tabu, betont der neue Bürgermeister von Saargemünd, Marc Zingraff. „Wir geben zum Beispiel Gaststätten und Restaurants die Möglichkeit, ihre Terrassenplätze auf der Straße zu verdoppeln, ohne dass die Kommune zusätzliche Gebühren erhebt."
Einnahmen, die natürlich an anderer Stelle fehlen. Selbst an geplanten Projekten wie Sanierungen soll nicht gerüttelt werden. Darauf hofft auch der gerade gewählte Bürgermeister der Gemeinde Großblittersdorf, Pascale Weisslinger. Finanzielle Unterstützungsleistungen aus Paris müssten seiner Ansicht nach für Kommunen in Grand Est höher ausfallen als in anderen Regionen. Schließlich war die Region besonders stark von der Pandemie betroffen.
In Frankreich kommt erschwerend hinzu, dass die Gemeinden in den vergangenen Jahren sukzessive in ihren Kompetenzen beschnitten wurden und damit auch beim Geld. Zahlreiche Aufgabengebiete wurden scheibchenweise den Gemeindeverbänden zugeschustert. Diese sogenannten Communautés des Communes kümmern sich zum Beispiel um die halbwegs lukrativen Aufgaben wie Straßenbeleuchtung, Straßenbau, Wasserver- und Abwasserentsorgung, um Kinderkrippen oder um das Bauwesen. Als wesentliche Einnahmequellen bleiben den Städten und Gemeinden lediglich die Grund- und Wohnsteuer sowie die finanziellen Zuweisungen vom Staat zur kommunalen Aufgabenwahrnehmung. Die Wohnsteuer, die von vielen Franzosen als höchst ungerecht empfunden wird, ist sowieso auf Eis gelegt, denn ein Wahlversprechen Emmanuel Macrons ist es, sie zumindest für den Erstwohnsitz abzuschaffen. Den französischen Kommunen fehlen also schlicht und ergreifend Einnahmen.
Kommunale Verluste: 6,4 Milliarden Euro
Doch die nationale Regierung um Premierminister Jean Castex will gegensteuern und die Kommunen wegen der Corona-Krise nicht im Regen stehen lassen. So sollen die wegen der Pandemie-Gegenmaßnahmen entstandenen Verluste 2020 und 2021 kompensiert werden. Berechnungen des französischen Innenministeriums zufolge sind das rund vier Milliarden Euro, die den Kommunen allein durch entgangene Steuern und Abgaben fehlen. Weitere 2,4 Milliarden Euro fehlen nach Angaben der Association des Maires de France (Vereinigung der französischen Bürgermeister), da die Kommunen ihr Personal in der Krise zu 100 Prozent weiterbezahlt haben – im Gegensatz zu Unternehmen, die ihre Angestellten in Kurzarbeit schicken konnten. Auch diese Verluste will die nationale Regierung übernehmen.
„Zur Ankurbelung der lokalen Wirtschaft gibt es außerdem ein zusätzliches Investitionsprogramm in Höhe von einer Milliarde Euro", sagt die Abgeordnete der Nationalversammlung Nicole Trisse aus Saargemünd. Damit sollen insbesondere Investitionen vor Ort gefördert werden. Auch Ausgaben, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus stehen wie die Anschaffung von Masken für die Bevölkerung, sollen von der nationalen Regierung zumindest teilweise übernommen werden. Eine Mehrwertsteuersenkung, wie sie in Deutschland jetzt im zweiten Halbjahr gemacht wird, sieht Frankreich allerdings derzeit nicht vor.
Aber irgendwann wird abgerechnet, genauso wie in allen anderen Ländern auch. Dann müssen die exorbitant angehäuften Schulden in der Corona-Krise zurückgezahlt werden. Steuererhöhungen seien allerdings schon allein wegen der Corona-Krise nicht geplant, erklärt Nicole Trisse. Dieses heiße Eisen scheint der französische Präsident derzeit sowieso nicht anzupacken. Die Umfragewerte sind im Keller, Protestbewegungen wie die Gelbwesten liegen ihm noch schwer im Magen, und die dringend notwendigen Reformen scheint Macron lieber erst einmal auf die lange Bank zu schieben. Für die Präsidentschaftswahlen 2022 muss Macron sich bei seinen Landsleuten für eine Wiederwahl schon deutlich strecken.