Alba Berlin hat mit dem ersten Meistertitel seit 2008 eine lange Durststrecke beendet und hofft nun auf eine neue goldene Ära. Doch die ungewisse Saisonplanung wegen Corona trübt ein wenig die Freude.
Aíto García Reneses ist bereits seit 47 Jahren Trainer, doch so etwas wie beim Finalturnier hat auch er noch nicht erlebt. Weil die strengen Hygienevorschriften es nicht erlaubten, dass ein Funktionär der Basketball-Bundesliga BBL die Meisterehrung übernimmt, sprang Reneses selbst ein. Der Trainer von Alba Berlin tat es gerne, das sah man deutlich, als er mit einem Strahlen im Gesicht jedem einzelnen seiner Spieler eine Medaille um den Hals hing. „Ich möchte meinen Spielern und Assistenten danken für die Art, wie sie versuchen, besser zu werden und neue Dinge zu lernen", sagte der 73 Jahre alte Spanier. Ein typischer Satz von ihm. Unaufgeregt, unprätentiös, hintergründig. Viel mehr wollte er im Moment des Triumphes nicht sagen, er genoss ihn lieber still.
Die Meisterfeier von Alba Berlin fiel im zuschauerleeren Münchner Audi Dome trotz eines silber-blauen Konfettiregens wie erwartet wenig emotional aus. Doch deswegen war der Titel nicht weniger wichtig. Vor allem Reneses gönnten es alle Berliner von Herzen. Manche hatten schon von einem „Finalfluch" geschrieben, weil Alba zuvor unter seiner Leitung fünf Titelchancen in Endspielen hatte liegen lassen. Doch im Finalduell gegen die MHP Riesen Ludwigsburg zeigte das Reneses-Team eine Siegermentalität. Mit 88:65 und 75:74 behielten die favorisierten Berliner die Oberhand und kürten sich erstmals seit 2008 zum Deutschen Meister. Und nicht nur das: Nach dem Pokalsieg Mitte Februar machten sie das „Double" perfekt. Dieses Wort stand dann auch auf den dunkelblauen T-Shirts, die nach dem letzten Saisonspiel schnell verteilt wurden. Auch Reneses zog ein solches Shirt über sein weißes Hemd und feierte verhalten mit. Das Rampenlicht meidet er so gut er kann. Titel sind ihm ohnehin nicht wichtig, in seiner Heimat Spanien hatte er schon neun nationale Meisterschaften und fünf Europacup-Wettbewerbe gewonnen. „Er hat einen großen Entwicklungsgeist. Er möchte, dass Dinge wachsen", sagte Manager Marco Baldi. „Er würde niemals Dinge erfinden, um einen Titel zu gewinnen, wenn er weiß, dass es morgen nicht mehr geht."
Und das ist die wirklich gute Nachricht für das junge Alba-Team, das im Finalturnier ungeschlagen durchmarschiert war: Der Weg für eine goldene Ära ist geebnet. Vielleicht knüpft der Club ja sogar an seine Dominanz Ende der 90er-Jahre und zu Beginn des Jahrtausends an, als er sieben Meistertitel in Folge hamsterte. So weit wollten die Verantwortlichen aber noch nicht in die Zukunft schauen. Sie freuten sich lieber über das Ende der langen Durststrecke. Er würde gerne „ein paar Leute in die Arme nehmen", sagte ein freudestrahlender Baldi – aber das geht in diesen Tagen nicht. Und doch verspürte der Manager ein riesengroßes Glücksgefühl: „Das Herz ist voll. Für das Herz aller, die Alba mögen und unterstützen, ist ein Titel sehr, sehr wichtig und das Salz in der Suppe." Dass Albas Weg mit entwicklungsfähigen und hungrigen Talenten für den Club der richtige ist, hätten die Verantwortlichen aber auch ohne den Titel unterstrichen. Wettbewerbsübergreifend stand man in den vergangenen 30 Jahren in 34 Finalspielen, „das zeigt unseren Anspruch", sagte Baldi, „und das zeigt, wie wir uns immer wieder neu erfunden haben."
„Wir brauchen ein Konzept mit Fans"
Wer wollte, konnte dies als kleinen Seitenhieb auf Bayern München interpretieren. Der entthronte Meister geizt in der Branche nicht mit Geld, weder bei Spielern noch bei Trainern und Betreuern. Doch mit der langen Corona-Pause und dem Fehlen der Fans kamen die Bayern beim Heimturnier überhaupt nicht zurecht. Aus im Viertelfinale – und ausgerechnet der größte Rivale von der Spree eroberte den Basketball-Thron. „Sie haben während dieser drei Wochen wirklich überragend gespielt", meinte auch Uli Hoeneß, Ehrenpräsident der Bayern und großer Basketballfan. „Es liegt jetzt am FC Bayern", ergänzte Hoeneß, „im nächsten Jahr wieder anzugreifen."
Und es liegt an Alba Berlin, diesen Angriff als neuer Platzhirsch abzuwehren. Ob Trainer Reneses diese Mission angehen wird, war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht sicher. „Er kann so lange bei uns bleiben wie er will", betonte Baldi. Aber was will Reneses? Den Erfolg von Alba Berlin. Er sei „sehr verantwortungsbewusst", betonte Baldi. Die Spieler versuchten erst gar nicht, ihren Coach irgendwie zum Bleiben zu überreden. „Er macht sein Ding", sagte Kapitän Niels Giffey. „Ich glaube, das wird eine Spontanentscheidung bei ihm."
Ob mit oder ohne Reneses: Alba will seinen Status als Nummer eins in Deutschland verteidigen. Das Gerüst der Mannschaft mit Führungsspielern wie Luke Sikma und Peyton Siva, die beide einen Vertrag über den Sommer hinaus besitzen, steht. Die Zukunft von Martin Hermannsson, der mit 14 Punkten im letzten Saisonspiel der beste Werfer war, ist dagegen offen. Doch noch wichtiger als die personellen Fragen ist der Knackpunkt, ob in der kommenden Saison, die Anfang/Mitte Oktober starten soll, wieder Zuschauer erlaubt sind. Das Finalturnier in München mit den strengen Hygienemaßnahmen und dem Fan-Ausschluss war zwar ein Erfolg, aber alles andere als ein Erfolgsmodell. „Wir brauchen ein Konzept 2.0 mit Zuschauern", betonte BBL-Geschäftsführer Stefan Holz. „Daran führt kein Weg vorbei!" Ligaspiele in leeren Hallen seien „keine Option", weil sich die Kosten der Clubs so nicht refinanzieren lassen. Holz rechnete vor: Bei einer kompletten Geistersaison würde der Gesamtumsatz aller Teams von derzeit 130 Millionen Euro um die Hälfte (!) sinken. „Das würde eine BBL zurückwerfen auf den Stand von vor 15 Jahren."
Auch Alba hofft, schon bald wieder vor Fans spielen zu können. Der freudige Empfang der Meisterprofis in Berlin zeigte, dass auch die Anhänger große Sehnsucht auf eine Rückkehr haben. Giffey und Co. wurden kurz vor Mitternacht mit viel Applaus und einem großen Plakat („Mit Abstand die Besten") begrüßt. „Es war die beste Zugfahrt, die ich je hatte", sagte Nationalspieler Johannes Thiemann. „Wir hatten viel Spaß." Nachdem es bei der Siegerehrung auf dem Münchner Parkett nur Selters gegeben hatte, ließen es die Spieler im Bord-Restaurant des ICE ordentlich krachen. Er danke der Deutschen Bahn „ausdrücklich für ihre Toleranz", sagte Baldi. Seine Jungs wollte er nicht maßregeln: „Es zeigt einen Spirit, wenn ein Team sich so selbst feiern kann. Das haben sie während der Fahrt gemacht."
Wie immer hielt sich Reneses im Hintergrund. Dabei dürfte er derjenige sein, der mit seinem Basketball-Sachverstand den größten Anteil am Titel hat. „Aíto ist der optimale Trainer", schwärmte Baldi. „Er ist da reingekommen und hat alles veredelt."