Trainerwechsel, Abstiegskampf, schwache Außendarstellung – erst auf der Zielgeraden fand Hertha BSC 2019/20 in die Spur. Das lag vor allem am neuen Coach Bruno Labbadia.
Es sollte manches anders werden in dieser Saison bei Hertha BSC – und kam dann noch mal ganz anders. Allein die Beschäftigung von vier Trainern in einem Jahr bringt deutlich zum Ausdruck, wie unruhig und unbefriedigend es beim Hauptstadtclub zuging. Dabei wollte man im Sommer vergangenen Jahres Kontinuität demonstrieren, indem man Vereinslegende Pal Dardai nach rund vier Jahren auf dem Trainersessel wieder einen Übungsleiter mit blau-weißem Stallgeruch folgen ließ. Mit Ante Covic wurde als Nachfolger wieder einer gewählt, der Jahre in der Hertha-Nachwuchsakademie gute Arbeit geleistet hatte – der die Spieler aber auch weg vom Realismus Dardais hin zu einer ansehnlicheren Anlage leiten sollte. Dafür wurde dem 44-Jährigen Zeit gegeben – doch schon das 2:2 zur Saisoneröffnung beim FC Bayern München machte Appetit auf mehr. Drei Niederlagen später aber grüßte die „Alte Dame" vom Tabellenende, der darauf folgende erste Sieg der Spielzeit gegen den Aufsteiger aus Paderborn hinterließ einen verstörenden Eindruck. Denn weite Strecken überließ man dem Underdog den Ball und konnte am Ende ein knappes 2:1 durchbringen. Nach insgesamt vier Partien ohne Niederlage und zehn Punkten wähnte man die anfänglichen Probleme dennoch überwunden. Doch wieder sollte es anders kommen. Vier Pleiten musste man hinnehmen, darunter die besonders schmerzliche 0:1-Niederlage im Stadtderby bei Union, bei dem Fans beider Lager für chaotische Umstände sorgten. Nach der desolaten Vorstellung am 12. Spieltag in Augsburg (0:4-Niederlage) sahen sich die Verantwortlichen von Hertha BSC zum Handeln gezwungen – und beendeten die Zusammenarbeit mit Ante Covic (drei Siege, zwei Unentschieden, sieben Niederlagen – 0,9 Punkte pro Bundesligaspiel) ebenso wie das von ihnen initiierte Projekt. Denn bei allem Vorschuss, den der neue Trainer bekam: Platz 15, punktgleich mit Düsseldorf auf dem Relegationsplatz – das war doch (zu) weit weg von dem, was man sich vorgestellt hatte. Und man traute dem Novizen im Herrenbereich nicht zu, die bedrohlich gewordene Lage im Klassement der Bundesliga wieder in den Griff zu bekommen.
In einem Jahr standen vier Trainer an der Seitenlinie
Die Trennung vom Trainer war die eine Sache – zu diesem Zeitpunkt, Ende November 2019 einen passenden Nachfolger zu finden, eine andere. Der gebürtige Berliner und Ex-Herthaner Niko Kovac war zwar der Wunschkandidat – doch der gerade erst in München entlassene Übungsleiter mochte seine Auszeit bis zur kommenden Saison nicht gleich nach gerade mal vier Wochen beenden. Nun war guter Rat teuer, und Michael Preetz setzte eine Personalie in Gang, die sich als weiterer, folgenschwerer Fehlgriff erweisen sollte. Investor Lars Windhorst, der über seine Tennor AG dem Berliner Bundesligisten im Verlauf der Saison einen Geldsegen von insgesamt 225 Millionen Euro verschafft hatte, setzte zu diesem Zeitpunkt Jürgen Klinsmann als einen seiner Kandidaten für einen Posten im Aufsichtsrat der KGaA ein. Preetz wollte den Weltmeister von 1990 jedoch davon überzeugen, als Interimslösung bis zum Sommer 2020 Hertha BSC zu trainieren. Klinsmann erklärte sich dazu bereit – und krempelte den Verein binnen kürzester Zeit so weit um, wie es eben möglich war. Umbesetzungen im Trainerstab, Änderung von Hierarchien im Kader, eine kostspielige Transferperiode im Winter – der 55-Jährige fand dazu Gefallen an der Tätigkeit und wollte nach kurzer Zeit eine deutliche Verlängerung der vereinbarten Zusammenarbeit erreichen. Die Strahlkraft des früheren Nationalspielers war dabei durchaus festzustellen, sportlich führte er sein Team auch in ruhigere Gewässer – trotzdem blieb Klinsmanns Bilanz (drei Siege, drei Unentschieden, drei Niederlagen – 1,3 Punkte pro Bundesliga-Spiel) auch nur durchschnittlich. Vielmehr aber führten interne Verwerfungen im Februar zu einem ungewöhnlichen Schritt: Jürgen Klinsmann warf die Brocken hin, verkündete seinen Abschied mit einem Video bei Facebook und stellte Herthas Verantwortliche damit vor vollendete Tatsachen. Sechs Punkte vor dem ersten direkten Abstiegsplatz war die Gefahr für das schlingernde Schiff dabei längst noch nicht gebannt. Da die Führungsriege von Klinsmanns Eigenmächtigkeit kalt erwischt wurde, entschied man sich zunächst, dessen bisherigem Assistenten Alexander Nouri die Mission Klassenverbleib anzuvertrauen. Doch nach nur vier Partien (ein Sieg, zwei Unentschieden, eine Niederlage – 1,25 Punkte pro Spiel) wurde der Nachfolger durch die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie ausgebremst. Zuvor hatte außerdem ein publik gewordenes „Tagebuch" von Jürgen Klinsmann für einen weiteren Tiefpunkt in der Wahrnehmung der Zustände bei Hertha BSC gesorgt. Und auch wenn der Wahl-Kalifornier bei den ganzen Vorgängen sicherlich noch schlechter abschnitt, so musste der Verein doch auch jede Menge Hohn und Spott über sich ergehen lassen. Die Entscheidung, in dieser schwierigen Situation noch enger zusammenzurücken und die Klinsmann-Ära mit all ihren Nachwehen größtenteils unkommentiert zu lassen, war dabei sicher die richtige.
„Das war eine riesige Herausforderung"
Ebenso wie die Nächste: Man nutzte die Unterbrechung der Liga für einen nochmaligen Trainerwechsel. Es war gewissermaßen als Vorgriff auf den Sommer zu verstehen, wenn Nouri den Verein ohnehin hätte verlassen müssen, dass der Verein in der Ligapause Bruno Labbadia als neuen Coach vorstellte. Eine durchaus delikate Personalie, da man sich zu Beginn der Saison noch gegen den erfahrenen Trainer entschieden hatte. Als „den eigenartigsten und außergewöhnlichsten Job" bezeichnete Labbadia später seinen Start mitten in der Corona-Pause: „Du bist neu hier und darfst vier Wochen kein Mannschaftstraining machen – das war eine riesige Herausforderung." Der Fehltritt von Salomon Kalou, der live aus der Kabine ins Internet filmte, wie man es bei Hertha mit den Corona-Regeln hält (oder eben nicht), stellte dazu einen weiteren Tiefpunkt mit blau-weißer Beteiligung dar. Trotzdem brachte Labbadia (vier Siege, ein Unentschieden, vier Niederlagen – 1,4 Punkte pro Bundesliga-Spiel) das Team schnell auf Kurs Klassenverbleib und führte es noch vor den Stadtrivalen 1. FC Union auf Platz zehn. Das Ende einer wahrlich denkwürdigen Saison bei Hertha BSC, die man schnell abhaken sollte – bis auf die positiven Ansätze nach dem Re-Start der Bundesliga.