Der FC Sion wird von einem allmächtigen Präsidenten geführt, der sich in der Corona-Krise mit der Entlassung von neun Spielern mächtig verzockt hat. Deswegen droht dem Club nun der Abstieg in der Schweizer Super League.
Christian Constantin ist Sohn eines Bauunternehmers, von ihm lernte er die Geschäftstüchtigkeit. Doch der Tod seiner Mutter im Alter von 13 Jahren hatte einen noch größeren Einfluss auf die Art und Weise, wie er sein Business führt. „Die Konsequenz daraus? Willst du sie wissen?", fragte der Boss des Schweizerischen Erstligisten FC Sion einen Redakteur der „Zeit". „Jeder muss sich selber durchschlagen, jeder hat es in sich drin."
Christian Constantin, der sich selbst CC nennt, schlug sich durch. Manchmal auch im wahrsten Sinne des Wortes. Vor drei Jahren prügelte er wutentbrannt auf TV-Experte Rolf Fringer ein, weil ihm die Kommentare des ehemaligen Stuttgart-Trainers nicht gefielen. „Ich habe diesen Fall mit ihm geregelt", sagte Constantin nach der Attacke genüsslich in eine TV-Kamera. „Ich habe ihn geschlagen und ihm in den Hintern getreten. Das hat gutgetan."
Nur ein Skandal von vielen, Constantin ist ein Pulverfass auf zwei Beinen. Zu jeder Zeit droht eine Explosion. Seine jüngste impulsive Handlung dürfte sich jedoch als Eigentor erweisen. Weil neun Spieler nicht innerhalb weniger Stunden ihr Einverständnis für Kurzarbeit in der Corona-Zeit erteilt hatten, schmiss Constantin sie beim FC Sion einfach raus. Keiner konnte ihn stoppen, der 63-Jährige ist im Club Sportchef, Präsident und Hauptaktionär in einer Person. „Dass wir nicht mehr Fußball spielen konnten, dafür kann keiner etwas", sagte Constantin. „Aber der Vertragszweck konnte nicht mehr erfüllt werden, darum habe ich mich entschlossen, mich von ihnen zu trennen."
Die Profis sollten lediglich das Maximum des von der Schweizer Arbeitslosenversicherung vorgesehenen Lohns erhalten. Das wären 12.350 Franken, umgerechnet rund 11.700 Euro. „In dieser kurzen Zeitspanne war es unmöglich, die Sache seriös abzuklären. Und vom Club war für Nachfragen niemand erreichbar", sagte Costa Bonato, der Agent von Ex-HSV-Profi Johan Djourou. „Was der FC Sion da gemacht hat, ist alles andere als korrekt." Auch die Spielergewerkschaft FifPro kritisierte das Vorgehen scharf, doch bislang kassierte Constantin weder vom Weltverband Fifa noch von einem Arbeitsgericht in der Schweiz eine Sanktion. Und trotzdem hat sich Constantin verzockt. Denn anders als von ihm angenommen, entschied sich die Schweizer Liga doch für eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs, und plötzlich stand der FC Sion ohne wettbewerbsfähige Mannschaft da.
„Ich habe ihn geschlagen und ihm in den Hintern getreten"
Mit ein paar hektischen Nachjustierungen versucht Constantin zwar den GAU zu verhindern, doch der Abstieg rückt immer näher. Aus den ersten fünf Spielen nach der Corona-Pause holte Sion nur einen einzigen Punkt. Die Stimmung verschlechterte sich mit jedem nicht gewonnenen Spiel. „Entlassungen, Klagen, sportlicher Niedergang: Der FC Sion wird zu einem Club für
Netflix", titelte kürzlich die „Neue Zürcher Zeitung". Und in der Tat ist das Geschehen rund um den Verein drehbuchreif. Der Boss versuchte sogar, den Re-Start mit rechtlichen Schritten zu verhindern. „Wir bekommen wenig Fernsehgeld. Wenn wir jetzt ohne Zuschauer spielen und keine Kurzarbeit mehr anmelden können, machen wir Verluste", argumentierte Constantin. Vergeblich. Seine Klage wurde abgewiesen.
In seiner Not halfen ihm ausgerechnet jene aus der Patsche, die er vom Hof gejagt hatte: Vier der neun entlassenen Spieler kehrten zurück und akzeptierten im Nachhinein die Kurzarbeit. Zwei Profis sind in der Zwischenzeit aber ausgerechnet zu Sions größtem Konkurrenten im Abstiegskampf gewechselt. Johan Djourou und Xavier Kouassi spielen jetzt für den Tabellenletzten Neuchâtel Xamax und sind sicher hochmotiviert, den FC Sion auf dem vorletzten Platz noch einzuholen. Beide Spieler erhielten die Spielberechtigung, weil sie aufgrund der Kündigungen in der Corona-Zeit zu den anerkannten Härtefällen zählen.
Und Constantin? Der machte den nächsten Fehler. Er verpflichtete in Geoffroy Serey Dié einen neuen Profi, die Spielberechtigung erhielt der Ivorer aber nicht. „Die Fifa hat ihre Bedingungen für die Qualifikation neuer Spieler geändert", sagte Constantin. Da könne man „auch nichts machen".
Früher hatten ihn auch Fifa-Regularien wenig gekümmert. Im Jahr 2011 umging er ein Transferverbot und ließ in der Saison sechs Neuzugänge spielen. Vom Schweizer Verband bekam Sion daraufhin als Strafe 36 Punkte abgezogen, abgestiegen ist der Club dennoch nicht. Für eine solche Aktion reicht das Punktepolster diesmal bei Weitem nicht. Also muss es die Jugend richten. Von der U21 wurden die Talente Arian Kabashi, Mauro Rodrigues, Sandro Theler und Alexandre Nsakala zur Profimannschaft hochgezogen. Doch statt seine Rumpf-Mannschaft nun irgendwie beisammen und bei Laune zu halten, schwächte Constantin sie erneut. In den Vertragsverhandlungen mit Torhüter Anton Mi-tryushkin zeigte sich der Chef unnachgiebig, sodass der russische Keeper Ende Juni seinen Vertrag einseitig kündigte und nicht mehr zur Verfügung steht.
Constantin hat sich beim FC Sion bereits von 53 Trainern getrennt
Auch an der Seitenlinie steht ein Neuer – mal wieder. Constantin hat sich beim FC Sion bereits von 53 Trainern getrennt, diesmal hat es Ricardo Dionisio erwischt. Der neue Coach ist ein alter Bekannter: Paolo Tramezzani war schon in der Saison 2017/18 für Sion verantwortlich – ganze drei Monate reichte damals Constantins Geduld mit ihm. Dennoch kennt Tramezzani den Club und vor allem den egozentrischen Patriarchen, das dürfte im harten Abstiegskampf sicher ein Vorteil sein. „Ich habe seit meiner Ankunft gute Dinge gesehen, es herrscht ein guter Spirit", sagte Tramezzani. Er müsse viel improvisieren, denn „wir brauchen schnelle Antworten, die aktuelle Situation ist bekannt". Vor allem beim überraschenden 1:1 gegen Servette Genf zeigte Sion gute Ansätze. „Wir müssen das Feld ohne Angst betreten", sagte der neue Trainer, „und wir müssen ruhig bleiben."
Ob das aber auch sein Präsident beherzigt? Constantin ist keiner, der eine Niederlage wie die vor Gericht gegen den Schweizer Verband einfach so schluckt. Über die Jahre gesehen hat er es sich mit seiner aufbrausenden und wenig diplomatischen Art mit vielen Funktionären verscherzt. Kein Wunder also, dass viele in der Schweiz das aktuelle Dilemma des FC Sion mit Schadenfreude verfolgen. Constantin stachelt das aber nur noch mehr an. „Die Leute dürfen denken, was sie wollen. Das verändert mich nicht", sagt der Unternehmer, der einst als Fußballtorwart in Neuchâtel und Lugano selbst aktiv gespielt hat. Danach baute er an seinem Imperium – in der Baubranche und im Fußballclub. Beides ließ sich hervorragend ergänzen. „Dank des Fußballs", sagte er einmal, „bin
ich eine Macht."