Sie erzählen von Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung, Liebe, Freundschaft und Courage. „Filmreif! – das Bundesfestival junger Film" geht in die dritte Runde. Vom 30. Juli bis zum 2. August gibt es vielfältige Einblicke in die deutschsprachige Kurzfilmszene. Diesmal verläuft das Festival digital.
Es hätte Oona gar nicht besser treffen können. Ihr Auserwählter ist smart, gutaussehend und finanziell abgesichert. Das frisch verliebte Paar hat sogar schon feste Zukunftspläne. „Wir möchten ein Baby", schwärmt die junge Frau während sie ihren Liebsten den Eltern vorstellt. Dabei scheint es Oona gar nicht aufzufallen, dass ihr neuer Freund Yak sich von anderen Gästen des Restaurants – in dem das Kennenlernen des künftigen Schwiegersohns mit den Schwiegereltern stattfindet – unterscheidet. Zumindest optisch. Denn Yak ist ein Minozebrus. Eine Kreuzung aus einem Menschen und einem Zebra. Für Oona ist diese Kleinigkeit nicht der Rede wert, doch für ihre konservativen Eltern scheint der Unterschied gravierend zu sein. „In Bruchteilen einer Sekunde verschmelzen hier verschiedene Vorstellungen, Konflikte und Interessen", kommentiert Regisseurin Caren Wuhrer ihren siebenminütigen Kurzfilm. „Die Meinungen sind gebildet, noch bevor alle sitzen."
Mit ihrer Komödie „Unter Menschen" nähert sich die junge Regisseurin solch schwierigen gesellschaftlichen Themen wie Ausgrenzung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ohne diese konkret zu benennen. Somit möchte sie ganz bewusst nicht die Moralkeule schwingen. Diese Einordnung überlässt sie den Zuschauern. Dafür spickt die studierte Filmemacherin ihren Kurzfilm mit vielen Indizien, die im Verlauf des Films immer mehr an Gewichtung zunehmen. Die Geschichte beginnt mit einem „zu festen Händedruck" zwischen Yak und Oonas Vater Egon, der diesen wohl der ethnischen Zugehörigkeit seines künftigen Schwiegersohns zuschreibt. Erschwerend kommt die Tatsache hinzu, dass Yak Vegetarier ist und somit Egons Wunschgericht – „Wildbraten mit Pilzen für alle Familienmitglieder" – gar nicht funktioniert. Als Yak auch noch von Oona als künftiger Vater ihrer Kinder betitelt wird, verlieren die Eltern endgültig an Fassung. „Wie ist er untenrum überhaupt gebaut?", feuert die Mutter vor Entsetzen heraus. Dass sich die vier Protagonisten zu diesem Zeitpunkt bereits unter ihrem Tisch verstecken müssen – weil die Gaststätte von mehreren maskierten Tätern überfallen wird – scheint für das Elternpaar keine größere Rolle zu spielen. Yak stellt für sie eine viel größere Gefahr da. Und was hält der Minozebrus von der entsetzlichen Situation? „Er kann sich vorstellen was auf ihn zukommt", kommentiert die Regisseurin. „Er weiß welche Ängste ihm entgegengebracht werden und wie er damit umgehen muss – er hat es mittlerweile gelernt."
Probleme aufzeigen, ohne die Moralkeule zu schwingen
Eine ähnliche Thematik erwartet die Zuschauer von „Weißabgleich", dem Erstlingswerk von Julian Mahid Carly. Nach einem Bachelor in Literatur und Geschichte an der Universität Göttingen studiert der mittlerweile 23-Jährige seit 2017 Theaterregie an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg. Seine theatralischen Arbeiten kreisen um das Erzählen von Geschichten aus marginalisierten Perspektiven und innerhalb queerer und postkolonialer Narrative. „Weißabgleich" bildet hierbei keine Ausnahme. „Ich will weiß sein", schildert er den Plot seines 17-minütigen Kurzfilms. Dabei strebt der Sohn eines bengalischen Vaters und einer deutsch-türkischen Mutter die Totalassimilation an. „Cremes, Schönheitschirurgie, rechtsextremer Rollkragenaktivist, meine Mutter … ich passe mich meiner Umgebungstemperatur an", heißt es in dem Einführungstext zum Film. Dieser ist als eine Art autobiografische Reportage aufgebaut. Auf seiner Reise der totalen Anpassung an das „Deutschsein, Schönsein und Weißsein", spricht der Regisseur – der gleichzeitig auch der Protagonist seines Erstlingswerks ist – mit den unterschiedlichsten Akteuren. „Schwierige Kategorien wie Rasse und Ethnizität werden auf ihre Relevanz hin für den heutigen Menschen befragt, ohne den Narzissmus und die Selbstdarstellung unserer Generation auszuklammern. Dabei finde ich es wichtig, niemanden in der Rezeption direkt auszuschließen. Durch Humor und Leichtigkeit soll eine sehr aktuelle Problemstellung sichtbar gemacht werden, die sonst schwer nachvollziehbar ist", betont der Regisseur. Harte Gesprächsszenen – wie die Diskussion mit dem rechten Aktivisten der Identitären Bewegung – weichen dabei stimmungsvollen farblich stilisierten Fantasiesequenzen. Die sehr intimen Dialoge mit seiner Mutter knüpfen eine persönliche Nähe zum Zuschauer. „Woher kommt eigentlich der Wille zur Angleichung, und wo führt er hin?", wirft er die Frage am Anfang seines Films auf. Im Gegensatz zu „Unter Menschen" weicht Carly nicht auf Metaphern aus. Er nennt das Problem beim Namen und sucht nach möglichen Lösungsansätzen.
Persönliche Dialoge schaffen Nähe zum Zuschauer
Letztes Jahr dominierten das Programm von „Filmreif! – das Bundesfestival junger Film" noch solche Themen wie Familie, Selbstfindung, Erwachsenwerden und Digitalisierung. „Dieses Jahr haben wir sehr viele Filme im Programm, die sich mit Ausgrenzung, Ungleichheit, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auseinandersetzen", erzählt der künstlerische Leiter Jörn Michaely. Man könnte natürlich meinen, dass diese Themen aufgrund der aktuellen politischen Debatte von den Filmemachern umgesetzt worden sind. „Ein naheliegender Gedanke, der allerdings so nicht stimmt", bringt es Michaely auf den Punkt. Die Einreichungen für das größte deutsche Kurzfilmfestival für Filmschaffende bis 29 Jahren erfolgten schon im vergangenen Jahr, also lange vor weltweiten Demonstrationen.
Die Bedingungen für die Teilnahme bei der dritten Auflage des Filmfestivals – der aufgrund der ausgebrochenen Pandemie dieses Jahr zu einem multimedialen Online- und TV-Event gewachsen ist – blieben dagegen dieselben. Angesprochen werden alle Filmemacher unter 29 Jahre. Die Filmlänge darf die Marke von 29 Minuten nicht überschreiten. Ansonsten sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
110 Filme gibt es zu sehen, 44 laufen im Wettbewerb
Das von Jörn Michaley und dem organisatorischen Leiter Fabian Roschy ins Leben gerufene Kurzfilmfestival dient der Vernetzung und dem Austausch der jungen Filmemacher. „Neben solchen klassischen Preiskategorien wie bester Film oder beste weibliche und männliche Rolle bieten wir beispielsweise auch den Stoffentwicklungspreis an", erzählt Michaely. Dabei handelt es sich um eine Plattform für angehende Autoren, die eines ihrer vielversprechenden Konzepte bei einem sogenannten jungen Pitch vorstellen dürfen. Wer den Pitch gewinnt, sackt 1.000 Euro ein. Aber nicht nur das. „Viele wurden ermutigt weiterzumachen", weiß Michaely. „Einige fanden sogar Regisseure und Sponsoren die ihren Stoff zu einem Kurzfilm werden ließen." Auch der Newcomer-Preis soll die angehenden Regisseure unterstützen. „Hier geht es darum, besonders hervorstechende Filme von Schulklassen oder einer Projektgruppen zu bewerten, die bereits beim Schüler-Filmwettbewerb präsentiert worden sind." Dabei winkt den Teilnehmern Preisgeld in einer Höhe von insgesamt 20.000 Euro. Zum anderen soll „Filmreif!" das Genre Kurzfilm auch einem breiten Publikum zugänglich machen. „Leider werden Kurzfilme in der Kulturszene noch sehr stiefmütterlich behandelt", bedauert Michaely. „Mit unserem Festival möchten wir diesem Trend entgegenwirken." Wie gut diese Idee ankommt, spiegeln die Teilnehmerzahlen: Insgesamt wurden 553 Filme eingereicht. Davon gibt es 110 während des Festivals zu sehen. Im Wettbewerb laufen 44 Filme.
Neben dem Plot wird auch die Machart der Filme gewürdigt
Dabei kommt es nicht nur auf die Story hinter den Kurzfilmen an. Auch ihre Machart spielte bei der Vorauswahl eine entscheidenden Rolle. So wie bei „Theodor", einem vierminütigen Kurzfilm von Alexandra Lermer, Susanna Orincsay und Maraike Krämer. „Da ‚Theodor‘ unser erstes Stop-Motion-Projekt war, wollten wir vor allem viel über diese interessante Art des Filmemachens lernen und Spaß damit haben", erklären die Filmemacherinnen in ihrem Regiekommentar. „Jede von uns hatte dabei ihre ganz eigenen Spezialgebiete wie beispielsweise Puppenbau, Concept Art und Sounddesign." Entstanden ist eine sehr liebevoll erzählte kleine Episode über einen zerstreuten Vampir, der scheinbar immer und überall zu spät kommt. Andere, wie Felix Schwegler gingen sogar das Risiko einer Strafanzeige an, um an die begehrten Aufnahmen für ihren Kurzfilm zu kommen. Bei seinem 20-minütigen Filmprojekt „Grenzgänger" geht der Regisseur der Frage nach, was die Jugendlichen wirklich dazu treibt, auf Dächer und Kräne zu klettern und in schwindelerregender Höhe darauf zu balancieren. Bei seiner Vorrecherche stieß Schwegler hauptsächlich auf Dokumentationen und Reportagen von renommierten Sendern, was ihn zum Nachdenken brachte. „Ich möchte eine Perspektive der Protagonisten zeigen, ohne zu verurteilen oder zu beurteilen", betont der Regisseur. „Hierbei habe ich eine Nähe und ein Vertrauensverhältnis, als ein junger Erwachsener ohne kommerziellen Hintergrund, zu den Protagonisten aufbauen können."