Entertainer und Radiofan Jürgen Karney musste in der Politbürosiedlung Wandlitz auftreten und moderierte die einzige DDR-Fernseh-Hitparade. Nach der Wende gelang ihm ein Coup.
Entertainer, Moderator, Showmaster und DJ: Wer sich in der DDR der 80er-Jahre mit Funk und Fernsehen befasste, der kam an Jürgen Karney nicht vorbei. Vor allem, weil er „Bong", die einzige TV-Wertungssendung für Pop und Schlager, moderierte und sie mit seiner Art auch prägte. Nur sechs Jahre, von 1983 bis 1989, flimmerte die populäre Ost-Hitparade über die Mattscheibe. Doch für viele Sangeskünstler, darunter Inka Bause und Olaf Berger, bot sie die erste große Bühne. Andere Künstler, wie die Puhdys und Karat, liefen gefühlt in Dauerschleife. „Das war auch der Grund, warum schon Mitte 1989 Schluss war. Das hatte nichts mit Wende oder Mauerfall zu tun. Nach furiosem Start kam wenig nach", blickt Karney zurück.
Der lieferte im wiedervereinten Deutschland mit der Privatisierung des Berliner Rundfunks wohl sein Meisterstück. Karney selbst zählt bis heute zu den angesagtesten Radiomoderatoren. Wie er es so weit brachte und später unter anderem den Sommergarten der Internationalen Funkausstellung managte, verrät seine kürzlich erschienene Autobiografie „Auf Sendung!" (Verlag Bild und Heimat). Nachzulesen ist dort auch, wie er bei Privatpartys des Politbüros auftreten musste: „Als ich nach Wandlitz kam, schlotterten mir schon die Knie. Meine Kulturchefs hatten mich zuvor gebrieft, dort niemanden anzusprechen oder gar Bitten an die Genossen zu richten", erinnert sich Karney. Zu seiner Erleichterung merkte er jedoch schnell, dass von Honecker und Co gar niemand da war, vielmehr deren Anhang.
Im Verlagshaus am Berliner Alexanderplatz sprudeln die Storys und Histörchen nur so aus ihm heraus. Der Radiomann lacht, gestikuliert und zappelt wie ein Jungspund. Seine Stimme klingt noch so wie vor 35 Jahren bei „Bong". Eigentlich wollte der Mann, der heute Radionachwuchs coacht, kürzertreten. Doch irgendwie scheint er immer noch „Auf Sendung" zu sein. Im richtigen (Radio-)Leben ist er das noch einmal wöchentlich bei „Ostseewelle Hit-Radio" in Rostock.
Brandenburg und Berlin spielten für Karney von Beginn an eine große Rolle, wie er sagt. Als er noch Discjockey war, ging’s für ihn kreuz und quer durch die Mark, damals die alten DDR-Bezirke Frankfurt (Oder), Potsdam und Cottbus. „Friedersdorf, Grünheide, Storkow, Fürstenwalde – gefühlt klapperten wir alles ab, was ging. Fast jeder Ort hatte ja seinerzeit ein Kulturhaus oder einen Saal." In Erinnerung blieb Karney unter anderem ein Auftritt in Neulietzegöricke im Oderbruch. Nicht nur, weil unweit vom Veranstaltungsort Schweinehälften hingen. „Unsere Crew konnte diesen Ort ewig nicht finden und erreichte ihn erst im letzten Moment. 20 Jahre später – nach der Wende also – ging es bei BB-Radio für eine Höreraktion per Helikopter wieder nach Neulietzegöricke: Wir konnten den Ort auch aus der Luft wieder nicht finden", lacht Karney, der in Berlin-Johannisthal aufwuchs.
„Wir konnten den Ort ewig nicht finden"
Nach seinen DJ-Shows ging’s an Wochenenden ins Gartenhäuschen nach Kagel bei Berlin. Hier schlief sich der gelernte „Schallplattenunterhalter" erst mal aus. Um 14 Uhr gab’s Frühstück – zur „Freude" der Nachbarn mit lauten Udo-Lindenberg-Songs vom Band. Zu Kagel sei noch zu erwähnen, dass er hier Autofahren lernte. „Das war in einem alten VW-Bus – beim Wegfahren des Gartenmülls über die Bundesstraße 1", schmunzelt Karney.
Radioredakteure entdeckten den Berliner, als er in der Disco unterm Berliner Fernsehturm auflegte. Beim Radio wiederum wurden Fernsehleute auf den witzigen Dampfplauderer aufmerksam. Die suchten einen Moderator für ein neues Format: „Bong" sollte das in die Jahre gekommene „Schlagerstudio" ersetzen. Jürgen Karney selbst konzipierte „Bong" mit. Start war im Mai 1983. In sechs Jahren holte Inka Bause („Bauer sucht Frau") mit fünf Trophäen namens „Silberner Bong" die meisten Siege, gefolgt von den Puhdys mit vier ersten Plätzen.
„Gemessen an den starren DDR-Verhältnissen konnten wir wirklich Neuland betreten – mit modernem Stil im TV-Studio und Videodrehs. Wir waren das Epizentrum einer ganz neuen Entwicklung. Die brachte Interpreten hervor, die eine unglaubliche Popularität erreichten. Ich nenne nur Namen wie IC (Ralf Schmidt – Anm. d. Red.) oder Ralf Bursy. Die hätten damals auch West-Hitparaden aufgemischt." Erst nach dem Mauerfall wurde bekannt, dass sich die Westkollegen vom „Musikladen" so manche Anregung bei „Bong" holten. „Nur unter uns: Umgekehrt war es genauso", flüstert Karney mit schelmischem Lachen.
Ein intensives Jahr sei 1987 gewesen, als Berlin 750. Geburtstag feierte. Mit Entertainer Wolfgang Lippert sang, kalauerte und moderierte Jürgen Karney über etliche DDR-Hauptstadtbühnen –
vom Friedrichstadtpalast bis zum kleinen Podium an der Weltzeituhr am Alexanderplatz.
Von Ostalgie ist der Köpenicker weit entfernt, dennoch erinnert er sich gern an die Zeit, in der er sich ausprobieren konnte. „Vor neuen Aufgaben habe ich mich nicht gescheut. Ein großer Bedenkenträger war ich nie. Wenn ich mich für was entscheide, dann zieh’ ich es auch durch. Das war schon damals so."
„Viele gute Leute ins Boot geholt"
Als Jürgen Karneys größter Wurf gilt die Privatisierung des vormals staatlichen Berliner Rundfunks. Dass er keine Angst vor großen Namen und Medienmogulen hat, kam ihm wieder zugute. Dabei hat er eigenen Angaben zufolge von Erlösstrukturen und Reichweiten keinen blassen Schimmer. Mit dergleichen befasste sich im Ostradio kein Mensch, zumindest kein Redakteur. Schließlich erhielt Karneys Team die begehrte Lizenz. Doch von den einst 180 Mitarbeitern, die mit der Abwicklung des DDR-Rundfunks ihre Jobs verloren, konnten nur 50 neu eingestellt werden. Die neuen alten Beschäftigten auszuwählen war schwierig und manchmal ein Balanceakt, so der damalige Programmdirektor nachdenklich.
Selbst eine Sendung von Schlagerlegende Frank Schöbel wurde später gekippt, was einer Majestätsbeleidigung glich. Doch Schöbels Sendung – die ursprünglich die kurz zuvor verstorbene Helga Hahnemann übernehmen sollte – passte nicht mehr in die Senderstruktur und wohl auch nicht mehr in die Zeit. Auch andere Sänger, die sich vom Ex-„Bong"-Moderator was erhofften, gingen leer aus. „Was ich konnte, habe ich gemacht und sicher auch viele gute Leute mit ins Boot geholt", so der Buchautor, der heute Ex-Puhdy Dieter Hertrampf und Karat-Sänger Claudius Dreilich zu seinen Freunden zählt.
Nach Jahren der Funkstille hat er auch wieder zu Wolfgang Lippert Kontakt. Beide verbindet die Leidenschaft, sich auf dem Wasser fortzubewegen: „Lippi macht das mit dem Motorboot, ich mit einer Segeljacht. Lippi rast – wie schon früher mit viel zu großen Autos –
krachend davon. Ich segel vorausschauend und mit viel Umsicht", so der Freizeitkapitän mit einem Augenzwinkern. Er stach schon vor Schottland und Gran Canaria in See und will 2021 über den großen Teich nach Amerika aufbrechen. Sein Heimathafen liegt jedoch am Berliner Müggelsee, wo er erst recht spät, mit über 50, Surfen lernte. Heute ist er übrigens selbst Skipper und Bootsausbilder. Stillsitzen kann der Mann, der nach wie vor alles Neue in sich aufsaugt, offenbar nicht.
Noch genauer beschreibt der heute 65-Jährige das alles in seinem Buch „Auf Sendung!". In der Lektüre macht er es ähnlich wie beim Radio, wo kein Wortbeitrag länger als 1,30 Minute dauern soll. Herausgekommen sind 75 Kapitel als kurzweilige und amüsante Lese-Häppchen. Gemessen daran, dass Karney zu den meisten Ost-Größen der Unterhaltungsbranche einen kurzen Draht hatte, wirkt die Lektüre zu eben diesen Promis erstaunlich distanziert. Dennoch ist das Werk des bekennenden Charlie-Chaplin-Fans ein spannender Blick hinter die Kulissen der Branche und für frühere „Bong"-Fans sowieso ein Muss.