Immer mehr Kuriere sausen in orangefarbener Kluft auf schnellen Fahrrädern durch die Städte. Der Lieferservice Lieferando hat die Konkurrenz abgehängt. Was das bedeutet, ist noch nicht absehbar.
Zehn Jahre dauerte die Schlacht, auch „Pizza-Krieg" genannt, um den deutschen Markt. Hunderte Millionen Euro gingen für Werbung, Kampagnen, Gutscheine und Plakate drauf. Auf der Strecke blieben Foodora, Lieferheld, Delivery Hero, Pizza.de und rund 30 andere. Auch wenn manche noch unter ihrem eigenen Label fahren dürfen – sie alle wurden von Lieferando geschluckt, das dem niederländisch-britisch-deutschen Unternehmen Takeaway gehört. Welches 2019 wiederum den britischen Lieferdienst Just Eat übernahm. Was im (angeblich so fortschrittlichen) digitalen Zeitalter als Trend begann, endete im bitterernsten Kampf mit internationaler Beteiligung ums Monopol.
Es ist eine Geschichte, die an Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder Tesla-Boss Elon Musk erinnert. Angeblich wollte der 21-jährige Student Jitse Groen im Jahr 2000 im Internet für eine Geburtstagsfeier Essen bestellen und konnte in Nordholland kein Restaurant finden, das Essen zum Mitnehmen anbot. So kam er auf die Idee, ein Onlineportal zu entwickeln, das verschiedene Lieferdienste und Restaurants zusammenbringt. Noch im selben Jahr ging der Lieferservice in den Niederlanden online. Zehn Jahre später hatte Groen ein Unternehmen aufgebaut, das von Holland aus nach Frankreich und England expandierte. Seit 2014 mischt der niederländische Konzern mit Lieferando auch auf dem deutschen Markt mit. Jörg Gerbig, der deutsche Geschäftsführer bei Takeaway, ist überzeugt, dass Deutschland noch ein riesiges Wachstumspotenzial hat. Er war es, der 2009 mit drei Freunden in einer Studenten-WG Lieferando gründete – und den geradezu klischeehaften „Start-up-Traum" verwirklichte: gründen, groß werden und teuer verkaufen.
Die Idee, Essen auszufahren ist ja nicht neu. Pizzaboten gab es schon früher. Die Geschäftsidee der neuen Lieferdienste wie Foodora, Delivery Hero oder Lieferheld besteht darin, Restaurants vom Döner-Imbiss bis hin zu Edelgourmettempeln anzubieten, ihre Gerichte per Fahrradkurier zu den Kunden zu bringen. Das Ziel war, möglichst kaufkräftige Kunden zu gewinnen, die es sich leisten konnten, ihr Essen nicht beim Pizzabäcker, sondern in einem exklusiven Restaurant zu bestellen. Dafür verlangt der Lieferdienst eine Provision. Und um genau die ging es, als die unterschiedlichen Lieferdienste noch miteinander konkurrierten. Man unterbot sich gegenseitig, um auf dem Markt Fuß fassen zu können – die Gastronomen konnten die Lieferdienste gegeneinander ausspielen und nach dem Preis beziehungsweise der niedrigsten Provision entscheiden.
Gründung in einer Studenten-WG
Das ist jetzt vorbei – Lieferando hat den Markt aufgerollt, ist zum Monopolisten geworden. Dazu beigetragen hat auch die Corona-Krise: Sie bescherte dem Essenauslieferer einen neuen Schub. Zwar brach das Geschäft Anfang März drastisch ein, als die Bundesregierung alle Restaurants schließen ließ. Lieferando musste die Werbung umstellen und für die Fahrer Sicherheitsausrüstung besorgen (was nur sehr zögerlich geschah). Aber gegen Ende März/Anfang April kamen wieder mehr Bestellungen an – weil Lieferando alles kontaktlos abwickelte, wich die Angst der Kunden vor Ansteckung. Und es meldeten sich nach Angaben des Unternehmens über 2.500 Restaurants und Gaststätten neu an, weil sie wenigstens einen Teil ihres Umsatzes retten wollten. Für viele Restaurants wurde Lieferando eine wichtige Einnahmequelle, da sie Kunden nicht mehr in ihren Räumen bewirten durften.
Aber nun hatten sie es mit einem Monopolisten zu tun. Nicht nur, dass Lieferando keine kostenintensive Marketing-Kämpfe mit den Wettbewerbern mehr austragen muss – auch bei der Provisionshöhe braucht sich das Unternehmen nicht mehr nach der Konkurrenz zu richten. Für den Zugang zum Online-Kunden müssen die Restaurants pro Bestellung 13 bis 15 Prozent des Werts an Lieferando zahlen. Wer auch die Mitarbeiter der Plattform für die Auslieferung von Pizza oder Sushi beansprucht, zahlt noch einmal drauf. 30 Prozent kassiert Lieferando dafür, wenn der E-Bike-Fahrer das Essen von A nach B bringt. „Du hättest als kleiner Laden aber viel mehr Kosten, wenn du alles selbst aufsetzen müsstest", sagt Takeaway-Chef Jörg Gerbig. „Das durchschnittliche Restaurant hat im letzten Jahr einen Umsatz von 80.000 Euro von uns vermittelt bekommen."
Das sieht der Inhaber eines Burgerlokals, der sich mit Lieferando bereits über steigende Provisionen gestritten hat und daher lieber ungenannt bleiben will, anders: „Die können jetzt machen, was sie wollen. Wir sind auf sie angewiesen, zehn bis 15 Prozent des Umsatzes hängen davon ab." Vor nicht allzu langer Zeit habe er noch drei Lieferdienste zur Auswahl gehabt, die ihn mit immer niedrigeren Provisionen umwarben. Für einen kleinen Pizzabäcker seien die 13 Prozent pro Pizza schon empfindlich, gerade in Krisenzeiten, wenn es um jeden Cent geht. Besser sei es, wenn die Kunden wieder direkt beim Restaurant bestellten und kauften.
„Die können mit uns machen, was sie wollen"
Mittlerweile schrillen auch bei der Gewerkschaft die Alarmglocken. Nicht nur, dass die Gewerkschaft Nahrung Genuss-Gaststätten (NGG) zum wiederholten Mal die schlechten Arbeitsbedingungen kritisiert – zu spät ausgezahlte Löhne, intransparente Abrechnungen, kein Betriebsrat (siehe #liefernamlimit). Auch auf die Restaurants und damit auf ihre Angestellten wächst der Druck. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga sieht die zunehmende Beliebtheit der Lieferdienste mit gemischten Gefühlen. „Auf der einen Seite hilft es, Gastronomien bekannter zu machen", sagt Mathias Johnen, stellvertretender Geschäftsführer des Kölner Dehoga. „Auf der anderen Seite schmälern die Abgaben an den Monopolisten die Gewinnmargen deutlich. Auch werden im Gegensatz zu einem Besuch im Restaurant kaum Getränke bestellt, wo die Spannen für die Gastronomen deutlich größer sind."
In den USA bleibt, wie die Tageszeitung „Handelsblatt" berichtet, vielen Restaurants nichts anderes übrig, als die Preise zu erhöhen, um die Provisionen für die Lieferdienste auszugleichen. Das könnte während der Corona-Pandemie zusätzlich dazu beitragen, sie in den Bankrott zu treiben. Könnte es so weit kommen, dass am Ende die Lieferdienste die Restaurants aufkaufen? Zumindest der britische Dienst Deliveroo, der sich vom deutschen Markt zurückgezogen hat, will eigene Container aufstellen, in denen nur für die Lieferkunden gekocht wird.
Der Kampf um den lukrativen Markt der Essensauslieferer ist also nicht vorbei – im Gegenteil. Ende 2019 stieg der Riese Amazon mit einem „bedeutenden Betrag" bei Deliveroo ein. Man wird sehen, ob sich Lieferando dagegen behaupten kann.