Foodwatch macht sich schon lange für verstärkte Kontrollen in der Lebensmittelherstellung stark. Im Skandal um den Fleischfabrikanten Tönnies kam das Problem wieder auf die Tagesordnung. Fragen an Dario Sarmadi.
Herr Sarmadi, hilft das Tierwohl-Label, das Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner eingeführt hat, gegen die Zustände in den Fleischfabriken?
Nein. Es ist eine freiwillige Kennzeichnung, die – wenn es gut geht – einen Marktanteil von maximal 20 Prozent erreichen wird. Es werden nur solche Betriebe mitmachen, die sowieso schon gute Arbeit leisten. Eine wirkliche Verbesserung für den Tierschutz in den Ställen ist das nicht. Das gilt auch für die Haltungskennzeichnung mit ihren vier Stufen von Stallhaltung bis Bio, die von den großen Handelsketten Rewe, Edeka und Co zusammen mit der Initiative Tierwohl entwickelt wurde.
Blickt da der Verbraucher noch durch?
In der Tat ist das nicht so leicht bei den vielen Siegeln, die es gibt – angefangen vom Tierschutzbund über das EU-Biosiegel bis zu den verschiedenen Öko-Verbänden wie Demeter und Neuland.
Hilft also nur mehr Kontrolle in den Schlachthöfen?
Die Kontrolle der Schlachthöfe wie der gesamten Lebensmittelproduktion liegt bei den Landkreisen. Die Veterinär- oder Ordnungsämter aber kommen nicht nach, sie haben zu wenig Personal. Sie schaffen im Schnitt nur zwei von drei der vorgesehenen Hygiene-Kontrollen. Tierschutz-Kontrollen finden sogar noch seltener statt – laut Bundesregierung durchschnittlich nur alle 17 Jahre. Und Julia Klöckner will die Zahl der Pflichtkontrollen auch noch reduzieren. Dazu kommt, dass es auf der Ebene der Landkreise immer auch um lokale Wirtschaftspolitik geht. Wer will schon riskieren, dass durch die Schließung von Schlachthöfen oder Mastfabriken Steuereinnahmen für die Gemeinden und Arbeitsplätze verlorengehen?
Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen unabhängige Anstalten für die Lebensmittelkontrollen, am besten auf Landesebene. Und ein Transparenz-System nach dänischem Vorbild. Denn bis heute landen die meisten Mängelberichte von Kontrolleuren in den Schubladen der Behörde. In Dänemark, aber auch in Norwegen und Wales, müssen die Betriebe alle Kontrollergebnisse veröffentlichen, sowohl an der Ladentür als auch im Internet. In Dänemark ist dadurch die Beanstandungsquote drastisch gesunken.
Kann das Fleisch, das aus einem Schlachthof wie von Tönnies kommt, Corona-Viren enthalten?
Laut Bundesanstalt für Risikobewertung (BfR) gibt es bislang keine Fälle, bei denen nachgewiesen ist, dass sich Menschen über den Verzehr kontaminierter Lebensmittel mit dem neuartigen Coronavirus infiziert haben. Allgemein würde ich vorschlagen, bei Fleisch die bekannten Hygieneregeln einzuhalten: Händewaschen nach dem Anfassen, Geschirr heiß abspülen, Fleisch vor dem Verzehr durchbraten.
Woher weiß ich, woher mein verpacktes Schnitzel kommt?
Einerseits geben die Siegel einen Hinweis auf die Herkunft. Andererseits haben Sie auf jeder Verpackung einen Tracking-Code. Das ist eine Identifikationsnummer der jeweiligen Charge, die eine eindeutige Zuordnung zur Rohware gewährleistet. Der Code steht meist beim Mindesthaltbarkeitsdatum. Er besteht aus einer sieben- bis 23-stelligen Kombination aus Nummern und Buchstaben – die muss man aber erst mal entschlüsseln können.
Also Tönnies steht so gut wie nie auf der Verpackung…
Das ist richtig. Das Fleisch wird vom Großhändler unter Namen wie Gutfried oder Bauernglück vertrieben. Die Schlachterei findet man nur unter dieser Code-Nummer, die man nicht so leicht entschlüsseln kann.
Was halten Sie von dem Vorschlag, das Fleisch 40 Cent pro Kilo teurer zu machen, damit die Qualität besser wird?
Die 40 Cent sollen vor allem in den Umbau von Ställen fließen. Das ist insgesamt der falsche Ansatz, eine Reform muss anders herum anfangen. Zuerst müssen die Qualitätsstandards angehoben werden: bei der Tierhaltung, der Fleischverarbeitung, der Gesundheit der Tiere und nicht zuletzt den Arbeitslöhnen und dem, was für den Bauern übrig bleibt. Erst wenn das alles erfüllt ist, können wir über den Preis für das Kilo Fleisch reden.
Würden die 40 Cent helfen, den umstritten Kastenstand für Säue abzuschaffen?
Nein. Der Bundesrat hat gerade beschlossen, den umstrittenen Kastenstand in der Schweinezucht für mindestens weitere acht Jahre zu erlauben. Millionen Sauen in der Ferkelzucht verbringen in Deutschland ihr halbes Leben in engen Metallkäfigen, die ihnen nicht einmal erlauben, sich umzudrehen. In Schweden und Großbritannien ist diese Praxis seit Jahrzehnten verboten. Und auch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg hat die Haltung für illegal erklärt. Ausgehandelt wurde dieser Kompromiss von Nordrhein-Westfalen und von Bundesländern, die von den Grünen regiert oder mitregiert werden.
Die Grünen bekennen sich doch zum Tierschutz…
Aber jetzt feiert die Öko-Partei die Entscheidung als Meilenstein für den Tierschutz, weil Bundesagrarministerin Julia Klöckner ursprünglich für eine Übergangsfrist von 17 Jahren war. Wir von Foodwatch haben dieses Mal verloren, obwohl wir über 600.000 Unterschriften gegen diese Tierquälerei gesammelt hatten. Aber wir werden nicht aufgeben – und uns weiter für eine bessere Landwirtschaft und eine bessere Tierhaltung einsetzen!