Energiepolitik ist immer auch Machtpolitik. Der Kurs von US-Präsident Donald Trump ist kurzsichtig, spielt eher dem großen Konkurrenten China in die Hände und könnte am Ende seine Wiederwahl gefährden, analysiert Dr. Josef Braml in der Europa-Runde der ASKO Europa Stiftung zum Energiewettbewerb.
Herr Braml, das Verhältnis USA–Europa ist in der bisherigen Amtszeit von Präsident Trump auf vielen Feldern spannungsreicher geworden. Ein klassisches Feld ist Klimaschutz- und damit auch Energiepolitik. Wie sieht Ihre Analyse im Energiewettbewerb aus?
US-Präsident Trumps vergangenheitsorientierte, auf fossile Energieträger fokussierte geo-ökonomische Energiepolitik schadet den USA und ihren Alliierten und nützt seinem Hauptrivalen China. Hingegen könnte eine transatlantische Kooperation bei der Weiterentwicklung zukunftsfähiger Energieträger und Technologien dringend nötige wirtschaftliche Wachstumsimpulse, eine verbesserte Energieversorgungssicherheit und Klimaschutz generieren – das ist die zentrale These meiner aktuellen Analyse, die auch in die Arbeit einer zwölfköpfigen Strategiegruppe eingeht, die die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zusammen mit der Harvard-Universität betreibt. Wir erarbeiten also gemeinsam praktische Ideen, wie wir die transatlantischen Beziehungen nach den US-Wahlen im November wieder verbessern können.
Die USA unter Trump setzt weiter auf den Ausbau der Öl- und Gasförderung, sie ist aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgestiegen. Die EU setzt mit Kommissionspräsidentin von der Leyen auf einen Green Deal. Man lebt sich also weiter auseinander?
Kurzfristig werden wir hefige Auseinandersetzungen haben, aber langfristig werden wir uns wieder annähern: Denn die durch die „Shale Gas Revolution" vermeintlich energieunabhängige US-Wirtschaft und insbesondere seine Öl- und Gasindustrie sind nicht nur durch den Einbruch der Nachfrage, sondern auch durch ein Überangebot im Zuge des Ölpreis-kriegs führender Produzenten bedroht. Die wirtschaftliche Bedrohung, insbesondere der amerikanischen Öl- und Gasindustrie, gefährdet Trumps Wiederwahl und verstärkt das nationalistische Nullsummendenken des Amtsinhabers im Weißen Haus.
Welche Konsequenzen hat das für die deutsche Wirtschaft, namentlich das exportorientierte Saarland?
In Trumps utilitaristischen Denken ist Energie für die USA ein wirksames Mittel zum (geo)strategischen Zweck – eine Ressource und Instrument zur Machtausübung. „Energiedominanz" lautet das neue Schlagwort auch in der nationalen Sicherheitsstrategie der USA. Anders als europäische Strategiedokumente entfalten amerikanische Sicherheitsstrategien Wirkmacht. Konkret werden von Washington Energie- und die korrespondierenden Finanzströme politisch gemanagt oder manipuliert, insbesondere durch (Sekundär-)Sanktionen. Das Spiel der Kräfte auf sogenannten freien Märkten tritt auch in anderen Wirtschaftssektoren in den Hintergrund und wird von den USA nur solange akzeptiert, wie es dem politischen Ziel geostrategischer Dominanz dient. Damit wird die moderne, liberale Grundidee freier Marktwirtschaften, das Win-win-Denken preisgegeben zugunsten eines vorindustriellen, merkantilistischen Nullsummendenkens: Einer gewinnt, alle anderen verlieren – das Saarland wird wohl auch unter den Verlierern sein, wenn wir es in Europa nicht schaffen, gemeinsam dagegenzuhalten.
Im Streit um Nord Stream 2 ist immer das Argument der Abhängigkeit von Russland angeführt worden. Ist das die ganze Wahrheit?
US-amerikanische Verhandlungsführer haben denkbar schlechte ökonomische, aber auch kurzsichtige geopolitische Argumente gegen Deutschland wegen seiner Nord-Stream-2-Pläne, wonach noch mehr russisches Erdgas aus den Feldern Sibiriens über St. Petersburg bis nach Greifswald transportiert werden soll. Im Vergleich zum russischen Erdgas kommt Amerikas Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, LNG), das mit Schiffen und in den Häfen über von der EU zu finanzierende Terminals transportiert werden muss, viel teurer – wenn man wirklich marktwirtschaftliche Prinzipien bei der Entscheidungsfindung zugrunde legte.
Doch die Trump-Regierung bemüht nicht wirtschaftliche Logik, sondern das ebenso zu kurz gedachte geo-ökonomische Argument, wonach Europa für seine Sicherheit auch bei seiner Energieversorgung einen höheren Preis (an die Schutzmacht USA) zu zahlen habe. Deutschland kaufe sein Erdgas für Milliarden Euro von Russland, verlasse sich jedoch als Trittbrettfahrer auf die Schutzmacht USA, die Deutschland vor allem vor russischer Aggression bewahre, lautete Trumps vehemente Kritik beim Nato-Gipfel im Juli 2018 in Brüssel.
Diese Sicht ist vergangenheitsorientiert und dabei auch noch geschichtsvergessen. So versuchte etwa auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mäßigend auf Trump einzuwirken, mit dem Verweis, dass selbst während des Kalten Kriegs Russland immer ein verlässlicher Energielieferant des Westens war. Und auf längere, geostrategische Sicht steht für die USA und ihre westlichen Verbündeten nicht Russland, der Gegenspieler aus längst vergangenen Zeiten des Kalten Kriegs, im Zentrum der Sicherheitsüberlegungen, sondern die aufstrebende Macht China.
Energiesicherheit war immer auch ein treibendes Motiv für außenpolitische und sicherheitspolitische Entscheidungen. Präsident Trump hält wenig von internationalen Organisationen, viel von bilateralen Vereinbarungen. Mit welchen mittelfristigen Konsequenzen für Europa?
Meine Analyse der Sicherheits- und Wirtschaftsaspekte der gegenwärtigen Energieaußenpolitik der USA legt ein anderes „nationales Interesse" nahe, als es bislang verfolgt wird, nämlich die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen durch Kooperation zu verringern.
US-Präsident Trumps kurzsichtiges geo-ökonomisches Vorgehen gegen die Hauptkonkurrenten auf den internationalen Ölmärkten – sei es gegen Saudi-Arabien, Russland oder den Iran – geht nicht nur auf Kosten wirtschaftlicher Interessen alliierter Länder in Europa, sondern schadet auf lange Sicht den USA selbst und hilft ihrem globalen Rivalen China.
Strategische Außen- und Sicherheitspolitik in der Welt des 21. Jahrhunderts sollte ebenso wie vorausschauende Investitionsstrategien nicht vergehende Industrien zu bewahren versuchen, sondern Wachstumsmärkte in den Blick nehmen und dafür beide Themen – Energie und Klima – ins Zentrum ihrer Analysen und Handlungsempfehlungen stellen.
Investoren haben bereits erkannt, dass das Klimarisiko ein Investitionsrisiko ist. In seinem Investoren-Brief für das Jahr 2020 warnte etwa Larry Fink, Chairman und CEO von Black Rock, dass sich das Umweltbewusstsein „schnell verändert". Deshalb erwartet der Kopf der weltweit größten Fondsgesellschaft eine „grundlegende Umgestaltung des Finanzwesens".
Die USA kommen gerade in die heiße Phase des Wahlkampfs, sind gleichzeitig tief getroffen von der Pandemie und den wirtschaftlich-sozialen Auswirkungen, verstärkt durch die Auseinandersetzung zum Umgang mit Rassismus. Heißt das für Europa in dieser Phase: warten auf November und den Ausgang der Wahl?
Die innere, zum Teil auch rassistisch motivierte Spaltung Amerikas könnte zu Donald Trumps Wiederwahl und einer aggressiveren Außenpolitik der angeschlagenen Weltmacht führen. In einer aktuellen Analyse (Link zum Download: https://dgap.org/de/forschung/publikationen/amerikas-apartheid) habe ich erörtert, warum Amerika nach wie vor im Rassismus verhaftet ist und welche Auswirkungen der durch die Corona-Pandemie verstärkte innere Unfrieden auf die Außenpolitik der Weltmacht hat: Je zerrütteter Amerika, desto aggressiver seine Außenpolitik und umso wichtiger wird ein geeintes, starkes Europa.