Frankreichs Präsident Macron glänzt in Europa und leidet zu Hause
Der Mann hat den Sinn für die ganz große Geste, die pathetischen Worte, die Symbolik der Macht. Am 8. Mai 2017, er hatte gerade die Wahl zum französischen Präsidenten gewonnen, schritt Emmanuel Macron auf die Bühne neben der Glaspyramide am Pariser Louvre. Durch die Lautsprecher tönte feierlich die Melodie von Ludwig van Beethovens „Ode an die Freude", die Hymne der Europäischen Union. „Macron, Président!", jubelten Tausende. „Eine Atmosphäre, als stünden Justin Bieber, die Stones und Renaud gleichzeitig auf der Bühne", schrieb damals die „Zeit".
„Ich werde die Republik verteidigen", versprach Macron. „Ich werde das Leben jedes einzelnen verbessern." An jenem Abend wurde der 39-jährige Senkrechtstarter für viele zur großen Projektionsfläche. Die einen sahen in ihm das leuchtende Gegenbild zu seinem blassen Vorgänger François Hollande. Andere bewunderten Macrons Energie für eine revitalisierte EU. Wieder andere beflügelte die Aussicht, mit einer positiven Botschaft dem Rechtspopulismus à la Marine Le Pen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Zu Beginn seiner Amtszeit konnte Macron noch etwas bewegen. Mit der Lockerung des Kündigungsschutzes brachte er frischen Wind in das starre französische Beschäftigungssystem, das Neueinstellungen oft verhinderte. Die Arbeitslosenrate sank, der staatliche Schuldenberg wurde kleiner.
Etwas mehr als zwei Jahre sind nun seit dem Wahl-Triumph vergangen. Von der damaligen Strahlkraft des Präsidenten ist jedoch wenig übrig geblieben. Macrons Partei „La République en Marche" wurde bei den Kommunalwahlen 2020 abgestraft. Den Grünen gelang ein Erdrutsch-Sieg. Sie eroberten Städte wie Lyon, Marseille, Bordeaux, Straßburg oder Grenoble.
Macron sprach selbstkritisch von einer „Ohrfeige". Wegen der geplanten Rentenreform hatte es im Winter Streiks und Massenproteste gegeben. Der Plan des Präsidenten machte jedoch durchaus Sinn. Er wollte die 42 verschiedenen Sonderregelungen der Altersvorsorge vereinheitlichen und seine Landsleute dazu bringen, länger zu arbeiten. Derzeit treten zum Beispiel die U-Bahn-Schaffner in Paris im Schnitt mit knapp 56 Jahren in den Ruhestand. Bei Erreichen der vollen Beitragsjahre kommen sie auf rund 3.700 Euro pro Monat. Anders als die Deutschen: Wenn die Abschaffung der eigenen Privilegien droht, gehen die Franzosen lieber auf die Barrikaden.
Auch bei den Ende 2018 erstmals aufflammenden Gelbwesten-Protesten hatte Macron die Lage falsch eingeschätzt. Eine Ökosteuer-Reform, die mit einer saftigen Erhöhung der Spritpreise einherging, sorgte für eine viele Monate lang anhaltende Wutwelle. Vor allem Geringverdiener in der Provinz, die auf dem Weg zur Arbeit das Auto brauchten, wurden voll getroffen.
Nach der Niederlage bei der zweiten Runde der Kommunalwahlen Ende Juni signalisierte Macron die Bereitschaft, in sich zu gehen. Er kündigte ein „neues Team" und einen „neuen Weg" für seine Regierung an. Mehr Klimaschutz, mehr soziale Balance, hieß die Devise. Doch seine Kabinettsumbildung war nicht der große Wurf, eher Reparatur.
Bei zwei Personalentscheidungen ließ der Präsident Fingerspitzengefühl vermissen. Gegen Innenminister Gérald Darmanin ermittelt die Justiz. Eine Frau wirft dem heute 37-Jährigen vor, sie 2009 zum Sex als Gegenleistung für rechtliche Unterstützung gezwungen zu haben. Justizminister Éric Dupond-Moretti verhielt sich so, als habe es die „Me-Too"-Bewegung nie gegeben. Der Staranwalt ließ sich 2019 in einem Interview über Frauen aus, die Rollen nur gegen Sex bekämen: Das sei keine Vergewaltigung, sondern eine „promotion canapé", eben die Besetzungscouch. Seitdem hagelt es für Macron Giftpfeile von Frauenrechtlerinnen.
Auf einem Spielfeld hat der Präsident seine Spur hinterlassen: in der Europapolitik. Die deutsch-französische Initiative zum Wiederaufbau des Kontinents nach der Corona-Pandemie trägt vor allem seine Handschrift. Wenn der EU-Gipfel an diesem Wochenende die Details des 750 Milliarden Euro umfassenden Hilfspakets festzurrt, wäre dies ohne den Elan Macrons nicht möglich gewesen.
Die Frage ist jedoch, ob ihm das mit Blick auf die nächste Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2022 nützt. In der Innenpolitik ist bislang vieles Stückwerk geblieben. An ihr wird sich aber entscheiden, wer in den Elysée-Palast einzieht.