Gedränge in der U-Bahn ist in Corona-Zeiten noch unerfreulicher als sonst ohnehin schon. Die Betreiber des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) werden sich einiges einfallen lassen müssen, wenn sie mehr Kunden zurückgewinnen wollen.
Eine volle U-Bahn hat für viele immer schon etwas Beklemmendes – nicht nur für Menschen mit Platzangst. In Corona-Zeiten hat sich dieses ungute Gefühl noch verstärkt und wurde zudem regierungsamtlich abgesegnet durch die generelle Aufforderung zum Abstand-halten. Das Gebot kommt allerdings in Konflikt mit der Realität an einem Ort wie der Bahn oder dem Bus, wo man zur Stoßzeit oft dicht an dicht gedrängt steht und Körperkontakt kaum zu vermeiden ist. Von 1,5 Metern Abstand ganz zu schweigen.
Nicht überraschend daher, dass die Corona-Krise den öffentlichen Nahverkehr schwer getroffen hat. Überall in der Welt sind die Nutzerzahlen eingebrochen, in Städten wie Madrid und Rom zum Höhepunkt der Krise im April um 90 Prozent, in München immerhin noch um 78 und in Berlin um 74 Prozent, wie Zahlen des Verkehrs-Datenanbieters Moovit zeigen. Der Weg zurück in die Normalität ist steinig. Inzwischen liegen die meisten Städte immer noch etwa ein Drittel unter Vorkrisenniveau. In München ging es zuletzt etwas schneller aufwärts: Es sind dort zuletzt „nur" noch ein Viertel weniger Fahrgäste als im Februar.
Die Corona-Krise ist daher ein herber Schlag für Verkehrsplaner, Kommunalpolitiker und Klimaschützer. Es gibt einen großen Konsens unter ihnen, dass eine Verkehrswende nötig wäre: weg vom Auto hin zum öffentlichem Verkehr – wenn nicht zum Fahrrad und dem Weg zu Fuß. Was also tun, um das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen? Ohnehin ist der ÖPNV immer ein staatliches Zuschussgeschäft – zwar gewünscht und wichtig, aber nicht kostendeckend. Ein Weiter-so wie vorher wird nicht reichen, vermuten Experten.
So ist Jörn Richert vom Beratungs- und Forschungsunternehmen Mobility Institute Berlin (MIB) zwar zuversichtlich, dass das Vorkrisenniveau bei den Fahrgastzahlen irgendwann wieder erreicht werden kann. „Allerdings wird sich qualitativ einiges verändern müssen", sagt er. Es dürfte langfristig bei Verhaltensänderungen bleiben, wie das Beispiel früherer Epidemie-Wellen in Asien gezeigt habe. Darauf werden die Verkehrsanbieter mit Innovationen reagieren müssen. Dauerhaft Hygiene, Sauberkeit und frische Luft sind dabei nur das eine. Darüber hinaus wird vor allem die Digitalisierung in der Beziehung zu den Kunden immer wichtiger werden.
Generell gilt: Die Bedingungen für den öffentlichen Verkehr werden schwerer, der Wettbewerb mit der Konkurrenz Auto und Fahrrad wird härter. Diejenigen ohne Alternative und diejenigen, denen Stau und Parkplatzsuche auf die Nerven gehen, werden auch in Zukunft bei Bahn oder Bus bleiben. Aber da gibt es noch die große Gruppe derjenigen, die auch anders kann, die zwischen Öffentlichen und Auto schwankt. Der Kampf um diese Kunden wird härter werden. „Für sie muss der Einstieg in den ÖPNV noch leichter gemacht werden als bislang", fordert Richert.
Noch immer unter Vorkrisenniveau
Das beginnt beim Ticket. Richert nennt als eine mögliche Option einen gleitenden Übergang von der Einzelfahrt zum Zeitticket: Per App gebuchte Einzeltickets könnten, sobald der Euro-Betrag für das Wochen- oder Monatsticket erreicht ist, sich automatisch in ein solches umwandeln. Ein ähnliches System gibt es beispielsweise in London, dort allerdings ohne App, sondern mit Chipkarte. „Damit könnte man in volatilen Zeiten aktuell Vertrauen schaffen", so der Verkehrsanalytiker. Den Fahrgästen würde die oft schwierige Entscheidung erspart, ob sie Einzelfahrt oder Zeitticket kaufen sollen. Dem Kunden würde das Risiko, dass er sich am Anfang des Monats verkalkuliert, abgenommen, und der Umstieg somit erleichtert werden.
Zum oft berufenen „Neuen Normal" in Zeiten von Corona gehört auch, dass es schwerer wird zu planen. Es kann wieder einmal einen neuen „Lockdown" geben. Oder man arbeitet mehr von zu Hause und weiß nicht, wie oft man fährt. In jedem Fall würde ein solches flexibleres Ticket-System helfen, den Einstieg in den ÖPNV zu erleichtern.
Das löst jedoch das Problem der Enge zu den Stoßzeiten nicht, das auf absehbare Zeit den Bahn- und (wenngleich weniger stark) den Busbetreibern Schwierigkeiten machen wird. Gedränge war immer schon ein Problem, weil es den Fahrbetrieb erschwert hat. In Corona-Zeiten ist es aber besonders ärgerlich, weil viele Fahrgäste sich einfach unsicher oder unwohl fühlen, im Gedränge mitzufahren, und dann gar nicht erst einsteigen. Ob zu Recht oder Unrecht, sei dahingestellt.
Studien zeigen, dass nur zehn Prozent aller Corona-Ansteckungen im ÖPNV erfolgen, aber entscheidend ist in diesem Fall, was die Kunden glauben. Klar ist: Gedränge wird Kunden in Zukunft noch mehr abschrecken als bislang. Wie lässt sich das Fahrgastaufkommen besser verteilen?
Es müsste dazu bessere Informationen in Echtzeit geben. Hier sind Städte wie London und Singapur im Vorteil, die die Anzahl der Fahrgäste an der Eintrittsschranke in den U-Bahnhof erfassen können. Bei offenen Systemen wie in Deutschland ist das schwieriger. Dennoch ließe sich auch hier etwa mithilfe von Lichtschranken etwas machen. „Es könnte dann Belegungsinformationen per App geben, ähnlich wie die Bahn das im Fernverkehr schon jetzt anbietet", so Richert. Dann könnten Fahrgäste entscheiden, vielleicht doch erst eine Stunde später zu fahren, weil es ihnen jetzt zu voll ist. In der Umsetzung gebe es viele Möglichkeiten. Ob so etwas allerdings auch in der Breite und kurzfristig wirklich funktioniert, muss sich noch zeigen.
Corona verändert Arbeitszeiten
Wirklich besser könnten sich die Fahrgäste verteilen, wenn sich auch die Arbeitszeitmodelle ändern. Etwa so, dass der Beginn der Arbeit für die unterschiedlichen Berufsgruppen morgens noch weiter gestreckt werden könnte als bislang. Auch dafür gibt es bereits Anzeichen. „Ich habe den Eindruck, dass durch die Corona-Krise die Bereitschaft der Arbeitgeber zu flexibleren Arbeitsformen stark gestiegen ist", sagt Richert. Zuletzt hatte etwa Siemens angekündigt, dass über die Hälfte seiner Mitarbeiter in Zukunft teilweise im Homeoffice arbeiten kann. Der Mitarbeiter kommt also an manchen Tagen gar nicht ins Büro, an anderen Tagen vielleicht später oder früher. Das bedeutet erstens weniger Fahrten und zweitens flexiblere Fahrtzeiten. Beides könnte gegen die Überfüllung zur Stoßzeit helfen.
Diese Möglichkeiten der digitalen Techniken können helfen, Vertrauen zurückzugewinnen. Dennoch bleiben die Hoffnungen gedämpft. Während vor der Krise so manche von einem deutlichen Anstieg des ÖPNV im Verteilungsschlüssel, dem sogenannten Modal Split setzten, muss es nun heißen, Hauptsache, man kann die Fahrgäste halten. Da sehen die Prognosen nicht so schlecht aus. Laut einer vom ADAC in Auftrag gegebenen Umfrage aus dem April wollen 19 Prozent der Menschen weniger ÖPNV nutzen, aber 17 Prozent mehr. Wenn das richtig ist, dürfte sich also gar nicht so viel verändern.
Für große Euphorie scheint die Zeit aber auch vorbei zu sein, was ganz neue Lösungen angeht. So manches Projekt, das in den vergangenen Jahren oft als „New Mobility" gehypt wurde, verschwindet derzeit sang- und klanglos. Große Hoffnungen wurden etwa auf Transportdienste auf Verlangen gesetzt. Dabei sammelt eine App die Routen und bringt Fahrgäste mit ähnlichen Zielen zusammen.
In Berlin gibt es den Dienst Berlkönig, in anderen Städten das private Clever Shuttle. Beide Systeme sind bislang aber nicht besonders erfolgreich gewesen, völlig unabhängig von Corona. Clever Shuttle hat sein Angebot reduziert, und der Berlkönig wird dem Senat zu teuer. Pro Jahr müsste der Berlkönig mit 43 Millionen Euro subventioniert werden. Für gut 200 Fahrzeuge mit ihren vier und sechs Sitzen ein stolzer Betrag.