Trotz der bundesweiten Maskenpflicht im ÖPNV wird es für die Verkehrsunternehmen zunehmend schwieriger, diese durchzusetzen. Vor allem in den Abendstunden.
Warten Sie!". Rolf Kisters springt von seinem Sitz auf und hämmert gegen das Kunststofffenster. „Warten Sie, ich habe noch eine Maske dabei." Doch die ältere Dame kann den hilfsbereiten Fahrgast nicht mehr verstehen. Zeitgleich mit seinem lautstarken Angebot schließen sich die Türen. Der Busfahrer nimmt seine Fahrt langsam wieder auf und rollt an der von ihm am Rathaus stehen gelassenen Seniorin vorbei. „Ärgerlich, dass ich erst so spät reagiert habe", kommentiert Kisters die Situation und versinkt sichtlich enttäuscht in seinem Sitz. „Jetzt muss die arme Frau draußen bleiben." Dabei geht es ihm gar nicht um die Entscheidung des Busfahrers. „Er muss die Hygienemaßnahmen einhalten und macht nur seinen Job", weiß der ehrenamtliche Tafel-Mitarbeiter. Auch das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes im öffentlichen Personenverkehr sieht Kisters in der vorherrschenden Situation als eine Selbstverständlichkeit an, um sich selbst und die anderen zu schützen. Dennoch hinterlässt die kleine Episode am Saarbrücker Rathaus einen negativen Beigeschmack. Um sie für sich irgendwie abschließen zu können, nimmt Kisters die Schuld einfach auf sich. „Ich habe wirklich nicht daran gedacht, dass ich noch zwei verpackte Masken im Rucksack habe", kehrt er während des spontanen Gesprächs auf das Thema zurück. „Wäre ich schneller gewesen, wäre die Dame jetzt im Bus."
Seit Ende April gilt im öffentlichen Nahverkehr bundesweite Maskenpflicht. Wer Bus und Bahn nutzen möchte, muss schon an der Haltestelle den Mund-Nasen-Schutz anziehen. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht es dagegen ganz anders aus. „Wir können unsere Fahrgäste lediglich darauf hinweisen, eine Maske zu tragen", erzählt Saarbahn-Pressesprecherin Ulrike Reimann. Dieser Appell findet sich in ganz Saarbrücken. Seien es nun an die Busse angebrachten Aufkleber, entlang der Saarbahnstrecke aufgestellte Anzeigetafeln oder im Innenraum der Busse aufgehängte Plakate – die Erinnerung an die Maskenpflicht ist allgegenwärtig. „Zusätzlich können unsere Busfahrer mit einem Knopfdruck im Bordcomputer auf eine automatische Durchsage zugreifen." Seitdem das Verkehrsunternehmen Anfang Mai zum Regelfahrplan zurückgekehrt ist – von Mitte März bis zum Anfang Mai galt noch der Samstagsfahrplan – wird auch wieder verstärkt kontrolliert und parallel auch an die Maskenpflicht erinnert. „Dennoch wird es zunehmend schwieriger, die Maskenpflicht einzuhalten", weiß die Pressesprecherin. Das liegt auch daran, dass das Verkehrsunternehmen – so wie auch alle anderen Verkehrsunternehmen in ganz Deutschland – die Maskenpflicht rechtlich nicht durchsetzen kann. „Wir können beispielsweise kein Bußgeld verlangen und damit die Maskenpflicht einfordern." Diese Kompetenz obliegt dem Ordnungsamt und der Polizei. Im Endeffekt hängt die Entscheidung von den einzelnen Busfahrern ab. Manche drücken schon mal ein Auge zu und lassen einen auch ohne Maske in den Bus. Andere sind dagegen durchsetzungsstärker und fordern den Fahrgast dazu auf, das Fahrzeug zu verlassen.
Wie fatal eine solche Auseinandersetzung enden kann, zeigt Reimann zufolge ein Vorfall unlängst im Süden Frankreichs in der Nähe von Bayonne. Weil der Busfahrer Philippe Monguillot einen Fahrgast auf die Maskenpflicht hingewiesen hat, wurde er von diesem brutal attackiert. Wenige Tage später verstarb Monguillot im Krankenhaus an den schweren Folgen des Angriffs. „Wir haben eine Zunahme der Aggressivität in der Gesellschaft", sagt die Pressesprecherin. Das Saarland bleibt dabei keine Ausnahme. Vor allem in den Abendstunden würden sich die Vorfälle häufen. „Um mögliche Eskalationen zu vermeiden halten wir als Verkehrsunternehmen unsere Busfahrer dazu an, nicht den Helden zu spielen, sondern Hilfe zu holen." Die Polizei sei schon oft zu Einsätzen gerufen worden, erzählt Reimann, auch schon vor der bundesweiten Maskenpflicht.
Agressivität nimmt in der Gesellschaft zu
Solche Situationen sind Marius Henschel nicht widerfahren, zumindest bis jetzt. „Natürlich hat es schon Fahrgäste gegeben, die in der Eile vergessen haben, ihren Mund-Nasen-Schutz überzuziehen", erzählt der jüngste Saarbrücker Berufskraftfahrer auf dem Weg vom Hauptbahnhof zum Hansahaus. Nach einem Hinweis seinerseits hätte sich die Situation jedoch bisher immer lösen können. Bei dieser Fahrt ist Hentschel als Fahrgast unterwegs, er hat gerade frei. „Deswegen darf ich auch sprechen", spielt der 20-Jährige scherzhaft auf die Regelung an, die ein Gespräch mit dem Fahrer während der Fahrt verbietet. „Wobei das jetzt vermutlich noch schwieriger geworden ist, mit den neuen Schutzwänden". Im Gegensatz zu den Fahrgästen müssen die Busfahrer keinen Mund-Nasen-Schutz während der Fahrt tragen. Diese Funktion übernimmt eine durchsichtige Trennwand. Dabei ist sie so positioniert, dass die Fahrer wieder die Möglichkeit haben, Fahrkarten zu verkaufen. Als die Busse noch nach dem Samstagfahrplan gefahren sind und es nicht möglich war, Fahrscheine zu verkaufen oder sie regelmäßig zu kontrollieren, gab es viele Schwarzfahrer. „Jetzt ist diese Phase vorbei", weiß Henschel. Zur Maske greifen die Busfahrer übrigens erst, wenn sie Fahrerwechsel machen. Oder eben in der Rolle eines Fahrgastes. Angst sich anzustecken, hat Henschel nicht. „Dafür sind wir alle, und damit schließe ich auch die Fahrgäste mit Masken ein, ausreichend geschützt."
Rolf Kisters ist da weniger optimistisch. „Es scheitert nicht an mangelnder Information, sondern an der Idiotie mancher Mitmenschen", bringt er es auf den Punkt. „Manche stehen an der Bushaltestelle im Freien und fordern noch mehr Abstand zu ihrem Gegenüber. Andere wiederum ziehen ihre Maske im Bus nur ganz halbherzig über den Mund an und lassen die Nasenpartie frei." Dabei gebe es vor allem zu Stoßzeiten überhaupt keine Möglichkeit, im Bus den Abstand zu anderen Fahrgästen zu wahren. „Da scheiden sich die Geister." Trotzdem, und obwohl er einen Führerschein hat, nutzt Kisters auch in diesen Zeiten lieber den ÖPNV. „Die Verbindungen sind hervorragend. Mit Bus und Saarbahn bin ich schneller unterwegs als mit dem Auto." Auch während der heißen Pandemie-Phase, als auch der grenzüberschreitende Verkehr eingestellt wurde, blieb Kisters bei seiner Gewohnheit und fuhr weiterhin mit dem Bus. „Natürlich finde ich die Maskenpflicht auch nervig. Vor allem mit den steigenden Temperaturen, wenn es gegen Mittag so richtig hitzig wird und einem immer schwerer fällt, unter der Maske richtig durchatmen zu können. Dennoch ist es kein Freifahrtschein für rücksichtloses Verhalten."
Maskenpflicht ist sehr kontrovers
Solche Sätze prallen an einem anderen Fahrgast, der sich als Micha vorstellt, einfach ab, auch wenn er kein Corona-Leugner ist, was er mehrfach betont. „Ich stelle die Pandemie wirklich nicht infrage", sagt der bärtige Mittdreißiger. „Nur diese unnötigen Schutzmaßnahmen, weil sie faktisch gar nichts bringen." In der Saarbahn ist Micha ohne Mund-Nasen-Schutz unterwegs. Seinen Angaben zufolge hat er noch keinen benötigt. „Ich habe einen gültigen Fahrausweis. Somit habe ich meine rechtliche Grundlage erfüllt", gibt er selbstbewusst von sich. Im Bus wird es für den Maskenverweigerer schon etwas schwieriger seinen Kurs zu halten. „Wegen dem Busfahrer", stellt er klar. „Manche sind da richtig verbissen." In solchen Fällen zaubert er dann einfach ein Taschentuch aus dem Ärmel und hält sich den Papierfetzen vor das Gesicht. Er behauptet, eine solche Lösung habe bisher immer gut funktioniert. „Ich musste noch nie den Bus verlassen." Eine Auseinandersetzung mit anderen Fahrgästen hat es bei Micha auch noch nie gegeben. „Wenn ich morgens mit dem Bus zu meinem Ausbildungsbetrieb unterwegs bin und mich zunächst zwischen die anderen Fahrgäste quetschen muss, um einen Sitzplatz zu finden, sagt mir auch keiner etwas", behauptet der Mann. Für ein Foto steht er trotzdem nicht bereit. „Ich möchte weder eine Galionsfigur noch der Arsch der Nation werden", begründet er seinen Wunsch. Vielmehr sieht sich Micha als einen absoluten Durchschnittsbürger, der es satthat „so einen Zirkus mitzumachen." Damit steht er mit seiner Meinung nach nicht alleine da. „Ich höre immer wieder, dass man sich über die jungen Menschen beschwert. Dass sie rücksichtslos sind und so weiter. Dabei tragen super viele Kids eine Maske. Wer dagegen gar nicht mit der Regel konform gehen möchte, sind die Senioren. Sie haben halt einfach die Lebenserfahrung."
Für die Saarbahn-Pressesprecherin Ulrike Reimann sind solche Aussagen nichts Neues. „Die Maskenpflicht wird sehr kontrovers aufgenommen. Manche fühlen sich von den Maßnahmen erdrückt, anderen gehen sie nicht weit genug. Somit spiegelt der ÖPNV den Querschnitt unserer Gesellschaft."