Die Maskenpflicht gilt auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin. Nichtbeachtung wird mit einem Bußgeld bestraft – wenn denn mal konsequent durchgegriffen würde. In der Praxis herrschen aber Verunsicherung und Resignation.
Manuel ist seit 14 Jahren bei der BVG Busfahrer. Es ist sein Traumberuf, aber seit spätestens Ende April verderben ihm die Fahrgäste im Doppeldecker die Freude an seinem Tagwerk. „Ich spreche mittlerweile überhaupt keinen Fahrgast mehr auf die Maske an, wenn er ohne in den Bus steigt. Das bringt nichts, außer Ärger", so der 39-Jährige. Beim Streit um die Maskenpflicht kann es auch schon mal zu Handgreiflichkeiten kommen. „Mitte Juli hatte ich meinen ersten Masken-Prozesstag vor dem Landgericht Berlin. Ich habe einen Fahrgast auf die Maske angesprochen, der hat dann sofort nach mir getreten. Nach dem dritten Mal habe ich ihm dann eine geschallert, daraufhin hat der mich wegen Körperverletzung angezeigt."
Corona-Busfahreralltag 2020 in Berlin, den viele am Steuer des „Großen Gelben" bestätigen können. Die Unvernunft der BVG-Fahrgäste kennt viele Varianten, berichtet Fahrerin Daniela. „An einer Haltestelle in Steglitz steigt Ende Juni eine Hortgruppe mit zirka 20 Kindern ein. Weder die Kinder noch die drei Erzieherinnen hatten eine Maske auf. Als ich sie darauf ansprach, musste ich mir anhören: Die Maskenpflicht gilt nicht für Kinder." Die 46-jährige Busfahrerin verhandelt in der Folge mit der Betriebszentrale; diese rät ihr, sie solle einfach weiterfahren, ohne Maske. „Aber entweder gilt die Maskenpflicht für alle und wird auch eingehalten, oder wir lassen es gleich ganz bleiben. Ich habe die Fahrt eingestellt. Die Fahrgäste mussten alle aussteigen, und ich bin zurück zum Betriebshof, um das mal mit meinem Vorgesetzten direkt zu klären," so Daniela. Dort erfährt sie dann, dass der nächste Bus, der regulär nach ihr kam, die Hortgruppe dann ohne Masken mitgenommen habe. Die Empfehlung ihres Vorgesetzten: Sie solle sich nicht so haben. Müsse doch jeder selber wissen, was er tut.
„Seitdem kümmere ich mich um die Einhaltung der Maskenpflicht überhaupt nicht mehr. Das muss übrigens ganz im Sinne der BVG-Leitung sein, denn ich habe noch nicht einen einzigen BVG-eigenen Maskenkontrolleur gesehen, weder bei mir im Bus, noch in der U-Bahn." Von der BVG selbst ist zu diesen Kontrollen nicht viel zu erfahren. Aber Stichproben-Anfragen bei verschiedenen Abschnitten der Polizei scheinen zu bestätigen: Wirkliche Kontrollen durch die BVG scheint es nicht zu geben. „Also, wir machen jetzt hier in der U9 seit vier Wochen Stichprobenkontrollen auf dem U-Bahnhof, aber BVG-Kontrolleure sind uns noch nicht über die Füße gefallen", erzählt ein Hauptkommissar auf dem U-Bahnhof Leopoldplatz im Berliner Wedding. Er macht im Auftrag des Polizeiabschnitts 17 Stichprobenkontrollen und weist die Fahrgäste ohne Maske darauf hin, dass sie eine Ordnungswidrigkeit begehen, die mit mindestens 50 Euro Bußgeld geahndet werden kann. Doch für Maskenkontrollen ist der Umsteigebahnhof Leopoldplatz ein heißes Pflaster, wie die Recherchen vor Ort schnell zeigen.
Der Hauptkommissar stellt fünf junge Männer, die gerade ohne Maske aus der U-Bahn steigen. Der FORUM-Fotograf nimmt die Szene von hinten auf, die Gesichter der Männer und des Polizisten sind nicht zu erkennen. Doch innerhalb weniger Sekunden ist unser Fotograf umringt von den jugendlichen Maskenmuffeln. „Ey Mann, gib‘ Fotos", schallt es ihm entgegen, und er muss alle Fotos wieder von seiner Kamera löschen.
Mit jeder Lockerung sinkt die Vorsicht
„Mit der Akzeptanz der Masken in Bussen, U- und Straßenbahnen wird es immer schwieriger. Vor allem, nachdem eine ganze Reihe von Corona-Maßnahmen aufgehoben wurden", beobachtet auch der Hauptkommissar. Auch die Berliner Verkehrsbetriebe bestätigen, dass in den Berliner U-Bahnen, Trams und Bussen immer mehr Fahrgäste ohne Mund-Nasenschutz unterwegs sind. Die Bereitschaft zum Tragen solcher Masken sei in den vergangenen Wochen „leicht gesunken", so die Sprecherin der BVG, Petra Nelken. Allerdings sei der Rückgang nicht dramatisch, „aber nachdem der Senat einige Corona-Maßnahmen gelockert hat, beobachten wir einen leichten Anstieg der Tendenz zum Maskenmuffel."
Nach einer regelmäßigen Erhebung der Berliner Verkehrsbetriebe von Anfang Juni liegt der Anteil der Maskenträger an Haltestellen und in den Fahrzeugen des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin im Tagesdurchschnitt bei 78 Prozent. Demnach tragen in der U-Bahn und in den Bussen sogar rund 85 Prozent der Fahrgäste ordnungsgemäß ihre Masken (Stand: Juni). Merkwürdigerweise sind es in der Tram gut zehn Prozent weniger. Eine Erklärung, warum in der Straßenbahn nur drei Viertel der Fahrgäste ihre Corona-Vermummung anlegen, gibt es nicht. BVG-Sprecherin Petra Nelken hat aber bei der Durchsicht der erhobenen Zahlen festgestellt, dass spätestens am Abend die Bereitschaft zur Maske stark abnimmt. „Das Maskentragen hängt stark davon ab, wann die Menschen unterwegs sind. Wir beobachten im Berufsverkehr, also in den vollen U-Bahnen und Bussen, weiterhin noch deutlich mehr als 90 Prozent Fahrgäste mit Masken." Doch am Abend, wenn sich die Züge und Busse leeren, verzichten die Fahrgäste dann auch eher auf den Mund-Nasen-Schutz. Rechtlich schwierig wird es mit der Maskenpflicht an den Haltstellen von Bussen und Straßenbahnen, die sich ja auf dem öffentlichen Straßenland befinden und damit nicht zum Betriebsbereich der BVG gehören. Hier, so die Zahlen der Verkehrsbetriebe, tragen gerade mal etwas mehr als die Hälfte der Fahrgäste ihre Maske. Auf den U-Bahnhöfen sind es dagegen 80 Prozent. Die gehören zum Betriebsgelände der BVG und somit darf dort auch das Bußgeld von 50 Euro bei Nichtbeachtung der Maskenpflicht erhoben werden. Doch was hilft die ganze Pflicht, wenn diese nicht richtig überprüft wird, wie BVG-Mitarbeiter und die Polizei übereinstimmend bestätigen.
Seit dem 27. April gilt die Maskenpflicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin, zu denen neben Bus, Tram und U-Bahn auch noch die S-Bahn gehört, die allerdings nicht zur BVG gehört, sondern ein Teil der Bahn AG ist. Die Überwachung der Maskenpflicht in der S-Bahn obliegt damit der Bundespolizei beziehungsweise dem Sicherheitsdienst der S-Bahn Berlin GmbH. Doch die Bundespolizei fühlt sich an die Regelung zur Maskenpflicht mit Bußgeldverordnung nicht gebunden, so ein Sprecher. „Die Umsetzung von Landesverordnungen ist Sache der Landesbehörden und nicht der Bundespolizei." Man ermahne bei Kontrollen zwar Fahrgäste ohne Mundschutz, erteile bei Wiederholung auch schon mal einen Platzverweis, aber die Bundespolizisten werden keine Bußgeldbescheide schreiben." Damit ist die Berliner ÖPNV-Maskenpflicht mit Bußgeldern zwischen 50 und 500 Euro auch ein wenig am Föderalismus gescheitert. Obendrein gibt es im benachbarten Brandenburg die Maskenstrafen nicht. Dass die Bußgelder auch in Berlin nicht wirklich gewollt waren, zeigt schon die Entscheidungsfindung. Nach zahlreichen Debatten im rot-rot-grünen Senat und vor allem vielen Widerständen auf Seiten der mitregierenden Linkspartei, hat man sich Anfang Juli dazu durchgerungen, dann doch ein Bußgeld von mindestens 50 bis zu 500 Euro für die Verletzung der Maskenpflicht zu erheben. Dazu hat die BVG „das verpflichtende Tragen einer Mund- und Nasen-Bedeckung in die Nutzungsbedingungen für alle Fahrzeuge und Bahnhöfe aufgenommen," wie es amtlich heißt. Damit dürfen dies auch die hauseigenen Kontrolleure überprüfen und die Bußgelder erheben.
Maske an: „Weil wir dich lieben"! (BVG)
Wie viele Bußgelder seit dem 7. Juli nun tatsächlich erhoben wurden, darüber schweigt man sich sowohl bei den Verkehrsbetrieben, bei der S-Bahn, aber auch beim Berliner Innensenator aus. Irgendetwas zwischen 15 und 100 Bußgeldverfahren könnten es sein, vielleicht auch mehr. Bei zwei Millionen Fahrgästen pro Tag ist das allerdings etwas dürftig. Geht man davon aus, dass sich tatsächlich zirka 80 Prozent der Fahrgäste tagtäglich an die Maskenpflicht halten, würden immer noch gut 400.000 Passagiere jeden Tag ohne Maske den Berliner ÖPNV benutzen.
Aus der Innenbehörde wird kolportiert, dass politisch an vielen Bußgeldverfahren kein Interesse besteht, weil das vor allem von den sozial Schwachen als reine Repression aufgefasst werden könnte.
Daran hat weder die regierende Linkspartei noch der grüne Koalitionspartner ein Interesse. Auch Berliner Polizeikreise bestätigen gegenüber FORUM, dass die Beamten bei den Maskenkontrollen in erster Linie auf die bestehende Pflicht aufmerksam machen sollen und nur bei massiver Zuwiderhandlung, sozusagen als letztes Mittel, ein Bußgeld erheben sollen. BVG-Busfahrer Manuel kann sich das sehr gut vorstellen. Anders lasse sich das Larifari seines Arbeitsgebers bei der Umsetzung der Maskenpflicht nicht erklären.
Der CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger, zeigt zwar ein gewisses Verständnis für das Vorgehen. Dregger schränkt allerdings ein: „Wer konsequent die Maske verweigert, muss dann auch mit einem Bußgeld belegt werden, sonst wird die ganze Maskenpflicht unglaubwürdig." Wobei der CDU-Oppositionsführer im Abgeordnetenhaus einräumt, dass schon rein personell die Maskenpflicht nicht flächendeckend überprüft werden kann. Es gilt die alte Verwaltungsweisheit: Ein Gesetz (oder eine Verordnung) ist immer nur so gut, wie es auch durchgesetzt werden kann.
Bei der Maskenpflicht ist die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin offenbar gar nicht so erpicht darauf, sie umzusetzen. Die Leidtragenden sind die Bus-, U-Bahn- oder Tramlenker, die den Ärger der Fahrgäste mit Maske aushalten müssen, wenn sich einzelne nicht daran halten. Gehen die BVG-Fahrer die Maskenmuffel an, gibt es mit denen Ärger; tun sie aber nichts, beschweren sich zu Recht die anderen. Ein Teufelskreis. Dass die BVG-Mitarbeiter längst resigniert haben, kann niemanden verwundern.