Die Füchse Berlin haben nach einer langen Pause die Vorbereitung aufgenommen. Trainer Jaron Siewert brennt vor Ehrgeiz und formuliert anspruchsvolle Ziele.
Jaron Siewert legt bei den Füchsen Berlin los – und setzt dabei gleich neue Maßstäbe. Zwischen dem Trainingsauftakt am 17. Juli und dem anvisierten Saisonstart am 1. Oktober liegen ganze elf Wochen, eine so lange Vorbereitung gab es beim Handball-Bundesligisten noch nie. Der mit 26 Jahren jüngste Trainer der Bundesliga HBL will in der Corona-Krise nichts dem Zufall überlassen. „Für mich als Trainer ist es ideal. Ich kann in Ruhe meine Vorstellungen und Inhalte vermitteln, kann auf jeden Körper meiner Spieler in Ruhe eingehen", sagte Siewert der „B.Z.". Zudem wollte er den Neuanfang auch aus psychologischen Gründen nicht weiter nach hinten hinauszögern: „Sonst sitzen die Spieler wie auf heißen Kohlen."
Das trifft wohl vor allem auf ihn selbst zu, denn der neue Chef an der Seitenlinie brennt darauf, sein Team näher kennenzulernen und nach seinen Ideen zu formen. Die Vorfreude sei „riesig", er spüre genau wie seine Spieler auch ein „Kribbeln" nach der langen Pause. Die Füchse Berlin seien wie „ein Teil Heimat für mich". Hier mal als Cheftrainer das sportliche Sagen zu haben: „Darauf habe ich die letzten Jahre hingearbeitet und auch sehr viel investiert."
„Ein Teil Heimat" für den neuen Coach
Nachdem sich das große Trainertalent im Jugendbereich der Füchse und beim Deutschen Handball-Bund (DHB) in der Szene einen Namen gemacht hatte, zog es in drei Jahren bei Zweitligist Tusem Essen das Interesse einiger Topclubs auf sich. Doch als Bob Hanning, der Manager der Füchse und schon früher Siewerts großer Förderer, anrief und ihm den Job anbot, war die Sache klar. „Das ist jetzt ein Traum, der wahr wird", sagte Siewert, dessen Glück nach dem Aufstieg mit Traditionsverein Essen in die Bundesliga endgültig perfekt war. Den Start in seine erste Station in der Bundesliga hat er sich aber natürlich anders vorgestellt. Die Unwägbarkeiten in der Corona-Krise erfordern vom neuen Trainer ein Höchstmaß an Flexibilität und Einfallsreichtum. Durch die abgebrochene Vorsaison war Siewert bereits vor seinem offiziellen Dienstantritt noch stärker in wichtige Themen eingebunden als ohnehin schon seit Bekanntgabe seines Wechsels im Oktober 2019.
In den ersten Tagen geht es für Siewert vor allem darum, den Zusammenhalt zu stärken. Denn Siewert, der wegen seines Alters und Talents oft als „Julian Nagelsmann des Handballs" bezeichnet wird, ist nicht nur auf Taktik fixiert. Das „richtige Gefühl für die Mannschaft" sei vielleicht der größte „Erfolgsfaktor", so der Trainer. Fakt ist aber auch: Unter Siewert soll die Mannschaft, die in der vergangenen Saison so wenig Konstanz und viel zu selten spielerische Raffinesse gezeigt hatte, ganz anders auftreten. Variabler, schneller, leidenschaftlicher. Aber auch erfolgreicher?
Die turbulente Vorsaison mit der Verpflichtung von Handball-Ikone Stefan Kretzschmar als Sportvorstand, der öffentlichen Schlammschlacht von Ex-Torhüter Silvio Heinevetter und seiner Freundin Simone Thomalla mit Geschäftsführer Bob Hanning und nicht zuletzt der Trainerentlassung von Velimir Petkovic endete mit einer sportlichen Enttäuschung: Platz sechs, die direkte Qualifikation für den EHF-Pokal verpasst. Nur dank einer Wildcard darf der ambitionierte Hauptstadtclub auch in der neuen Saison international spielen. So eine Zitterpartie soll und darf es unter Siewert nicht geben. „Wir wollen sportlich erfolgreicher abschneiden", sagte Hanning betont unkonkret. Bloß nicht in der Öffentlichkeit zu viel Druck auf den neuen Trainer aufbauen! Doch allein durch die prominenten und nicht gerade billigen Neuzugänge Lasse Andersson (FC Barcelona), Miloš Vujović (Tatabanya KC), Marian Michalczik (GWD Minden), die alle vor der Corona-Krise unter Dach und Fach gebracht wurden, ist Berlin fast schon zu einem Champions-League-Platz verpflichtet.
„Im Ziel die Ersten sein"
Siewert selbst hat keine Probleme damit, diesen Anspruch auch genau so zu formulieren. „Wir wollen ganz klar oben angreifen", sagte er und überraschte mit einer mutigen Ankündigung: „Wir sind ehrgeizig, Platz zwei und drei kann nicht unser Ziel sein." Will er die Füchse also sofort zum Titel führen? Ja – auch wenn er es etwas weniger forsch formuliert. „Fakt ist", sagte der junge Coach, „wir wollen nicht am Start, sondern im Ziel die Ersten sein." Aufgrund der sehr speziellen Situation fange aber „jedes Team bei null an". Für die Füchse gilt das besonders, denn die Spieler müssen sich auch noch auf einen neuen Trainer und dessen Ideen einstellen. Allerdings hat Siewert den Vorteil, dass er die Führungsspieler Paul Drux und Fabian Wiede schon als Jugendliche trainiert hat und beide eine hohe Meinung von ihm haben. „Er besitzt einen hohen Handball-IQ", sagte Nationalspieler Wiede. Dass der Trainer genauso alt ist wie er selbst, spiele angeblich „keine große Rolle". Sollte jedoch der Erfolg ausbleiben, dürften sich vor allem die Berliner Boulevardblätter schnell auf diesen Fakt stürzen. Aber die Verantwortlichen sind gewillt, Geduld aufzubringen – weil sie fest an Siewerts Qualitäten glauben. „Er besitzt trotz seines jungen Alters Persönlichkeit und eine beeindruckende Reife", schwärmte Kretzschmar.
Und einen unbändigen Tatendrang. „Ich freue mich darauf, mit jedem einzelnen Spieler zu arbeiten", sagte Siewert beim Dienstantritt. Er werde jetzt aber „nicht zehn Wochen durchpowern", sondern den Spielern nach dem ersten Trainingsblock auch mal „fünf Tage Pause gönnen". Um dann voll anzugreifen. Auf den Spielbeginn brennt auch Hanning, der in der handballlosen Zeit leidet. „Wir müssen unbedingt wieder ins Spielen kommen", forderte er: „Zur Not auch ohne Zuschauer." Geisterspiele wollen weder die Berliner noch andere Clubs, aber wegen der Unsicherheit den für den 1. Oktober anvisierten Saisonstart wie die Deutsche Eishockey Liga (DEL) zu verschieben, kommt nicht infrage. „Wir dürfen nicht die Probleme sehen", sagte Hanning, „wir müssen die Lösungen finden." Das gilt auf sportlicher Ebene auch für Siewert. Einen Titel für die längste Vorbereitung gibt es nicht.