Der Plan klang verwegen, die Umsetzung war schwierig – doch jetzt beendet die NBA in einem Freizeitpark ihre Saison. Favoriten sind die Clubs aus Los Angeles.
Seit dem 7. Juli haben sich die Basketballstars von der Außenwelt abgeschottet, doch mit einer häuslichen Quarantäne hat das aktuelle Leben der Profis wenig zu tun. Im Freizeitpark Disneyland Resort im sonnigen Florida ist für reichlich Abwechslung gesorgt – durch Golf, Yogastunden, Computerspiele oder den Friseur direkt neben dem Hotel sollte eigentlich kein Lagerkoller aufkommen.
So war der Plan in der Bubble, wie der hermetisch abgeriegelte Komplex auch genannt wird. Doch die Realität sieht etwas anders aus. „Besonders mental ist das hier eine Herausforderung", gab Nationalspieler Maximilian Kleber von den Dallas Mavericks zu: „Du hängst nur mit deinen Teamkollegen rum, es gibt keine Möglichkeit, Familie oder Freunde zu sehen. Wir müssen uns aneinander gewöhnen."
Und an die Umstände. Zu einem Wellness-Urlaub lud die nordamerikanische Profiliga NBA seine Spieler nicht in das Resort ein, schließlich dient die Zusammenkunft einzig und allein einem Zweck: Hier soll ab dem 30. Juli die seit viereinhalb Monaten ruhende Saison wiederaufgenommen werden. Für einige Profis hätte der Aufenthalt aber durchaus etwas mehr Luxus vertragen können. „Du willst, dass ein Ferrari läuft wie ein Ferrari, weil du dafür bezahlt hast, aber du kannst ihn nicht mit Chrysler-Sprit befüllen", schimpfte zum Beispiel J.R. Smith über das Essen im Hotel.
Der Dreierspezialist, der extra für den Re-Start von den Los Angeles Lakers unter Vertrag genommen wurde, hatte seinen Fans mit einem Instagram-Livevideo Einblicke in das Quarantäne-Leben gewährt – und dabei kein Blatt vor den Mund genommen. Bis sich jemand bei ihm meldete. „Oh Mann, die sind sauer auf mich. Habe gerade die Nachricht bekommen, ich muss abbrechen. Tut mir leid", sagte Smith. Zumindest hielt Smith in dem Video die Hygieneregeln ein, so blieb ihm eine Sanktion wie im ähnlich gelagerten Fall von Fußballprofi Salomon Kalou (Hertha BSC) erspart. Richard Holmes von den Sacramento Kings musste dagegen für acht Tage in seinem Zimmer in Quarantäne gehen, weil er dabei erwischt wurde, wie er die Bubble verließ, um bestelltes Essen vom Lieferservice entgegenzunehmen. Diese Zeit der kleinen Ärgernisse soll nun vorbei sein. „In dem Moment, in dem die Spiele wieder starten, werden wir an die ganzen Kleinigkeiten eh nicht mehr denken", glaubt auch Nikola Vukcevic von Orlando Magic. Denn dann beginnt die Korbhatz.
22 Mannschaften in drei Hallen
22 Mannschaften sollen in zweieinhalb Monaten in drei Hallen auf dem riesengroßen Gelände des Freizeitparks den Corona-Champion küren. Zunächst stehen noch je acht Partien der regulären Saison aus, um die Setzliste für die K.-o.-Runde auszuspielen. Dann kämpfen die besten acht der Eastern und Western Conference in Play-off-Duellen im traditionellen Modus Best-of-seven um den Titel. Anfangs finden einige Spiele sogar nachmittags statt, was für den TV-Markt wenig lukrativ ist. Aber der Spielplan ist auf Kante genäht. Um die Fans gleich zu Beginn in den Bann zu ziehen, startet die NBA mit dem Topspiel der Lakers gegen die Los Angeles Clippers. Spätestens im letzten Finalspiel am 13. Oktober steht der Meister fest.
Die beiden Clubs aus Los Angeles gehen als Topfavoriten an den Start. Außenseiterchancen werden aus dem Osten den Milwaukee Bucks um Giannis Antetokounmpo zugesprochen. Doch selbst Experten rätseln darüber, ob die höchst ungewöhnliche Vorbereitung, die Atmosphäre ohne Fans und der Spiele-Marathon vielleicht ein Überraschungsteam auf den NBA-Thron spülen könnte. Die wirklichen Topspieler lassen sich von den Umständen und Unannehmlichkeiten nicht von ihrem Ziel ablenken. „Ich nehme das alles an", sagte zum Beispiel Superstar LeBron James von den Lakers. Er sei nur aus einem einzigen Grund hier: „Um den Titel zu gewinnen." Und dafür müsse er auch im Sportkomplex des Freizeitparks „jeden Tag besser werden".
Das traf auch auf die Planungen der NBA zu. Die waren selbst für die finanzstarke Liga problematisch, denn Florida entwickelte sich in den Wochen vor dem Re-Start zu einem Corona-Hotspot in den USA. „Man kann dem Virus nicht davonlaufen", sagte Commissioner Adam Silver, „aber ich bin absolut überzeugt, dass es auf unserem Campus sicherer ist als außerhalb."
Das 113 Seiten umfassende Hygienekonzept der NBA sah neben der hermetischen Abriegelung von der Außenwelt auch tägliche Tests bei den Spielern, die Abstandsregel und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vor – aber natürlich nicht während der Spiele. Zuschauer sind keine erlaubt. Selbst Amerikas Chef-Immunologe Anthony Fauci, der Präsident Donald Trump in der Krise berät, lobte das Konzept als „sehr kreativ". Bei den Massentests der Liga während der Vorbereitung waren nicht wenige Proben positiv gewesen (25 von 351/Stand 3. Juli). Die betreffenden Profis hatten sich in Selbstisolation begeben, aber nicht alle durften anschließend nach Disneyland reisen. Dazu zählen unter anderem Spencer Dinwiddie, DeAndre Jordan und Taurean Prince von den Brooklyn Nets.
„Ich bin heiß, wieder zu spielen"
Die oberste Regel im abgeriegelten Komplex lautet: safety first! Man arbeite zwar mit einer Reihe von Wissenschaftlern, Ärzten und Experten zusammen, sagte Commisioner Silver, „aber sicher ist: Wenn wir viele Fälle haben, werden wir stoppen." Es kommt also auf die Disziplin aller Beteiligten an, denn der Branche schlägt durchaus Skepsis entgegen. Im coronageplagten Amerika heißen längst nicht alle Menschen die Bubble der hochbezahlten Basketballstars für notwendig. Vor allem nicht in Florida, wo eine Zeit lang jeden Tag neue Rekordzahlen an Infektionen veröffentlicht wurden. „Wenn jemand wirklich Probleme hat, die Regeln einzuhalten", appellierte Nationalspieler Daniel Theis daher an seine Berufskollegen, „sollte derjenige besser zu Hause bleiben." Regelbrecher würden nicht nur sich selbst, „sondern die ganze NBA und alle Beteiligten" gefährden. Er lobte die Anstrengungen der Liga. Es sei alles dafür getan worden, „dass wir uns einfach auf Basketball konzentrieren können."
Alle deutschen NBA-Profis sind in Florida am Start: Dennis Schröder (Oklahoma City Thunder), Maximilian Kleber (Dallas Mavericks), Daniel Theis (Boston Celtics) sowie Moritz Wagner und Isaac Bonga (Washington Wizards). „Ich bin heiß, wieder Basketball zu spielen", sagte Kleber. Mit Dallas, dem früheren Club von Dirk Nowitzki, ist Kleber zwar kein Titelkandidat, aber „wir haben während der Saison überrascht", sagte der Power Forward, „also wollen wir weiter überraschen." Theis sieht sogar „ziemlich große Titelchancen". Der Center glaubt, dass sich Boston, das als Nummer drei im Osten sein Play-off-Ticket bereits sicher hat, besonders gut auf die Umstände eingestellt hat. Aber sicher sei er sich natürlich nicht. „Jedes Team hat die gleichen Voraussetzungen", sagte der 28-Jährige: „Es geht darum, wer das bessere Team hat und besser zusammenspielt. Das ist ganz interessant."
Das wochenlange Leben hinter verschlossenen Türen soll sich für die Spieler aber auch finanziell lohnen. Der Australier Patty Mills von den San Antonio Spurs erhält zum Beispiel eine Million Dollar für die Spiele des Re-Starts –
doch die behält er nicht für sich. Der 31-Jährige spendet die Summe der Bewegung „Black Lives Matter". Auch die NBA hat sich etwas einfallen lassen, um den großen Kampf gegen Rassismus im Land zu unterstützen. Sie erlaubte politische Botschaften auf der Rückseite der Trikots. Die Spieler werden mit Protestrufen wie „Black Lives Matter", „I Can’t Breathe" und „Enough" oder einfach nur „Peace" auflaufen. Ein cleverer Schachzug der Liga, denn ein Verbot politischer Aktionen wäre in der von schwarzen Spielern dominierten NBA unmöglich durchzusetzen gewesen.
Der größte Star wird auf die Möglichkeit aber verzichten. LeBron James, der zu gesellschaftlichen Themen oft Stellung bezieht, begründete: „Ich brauche nichts hinten auf dem Trikot, damit die Leute meine Mission verstehen." Außerdem sträube er sich dagegen, dass er und seine Kollegen „wegen unserer gottgegebenen Fähigkeiten benutzt werden."