Immer noch reichen Horrormeldungen von Massentierhaltung und Tierquälerei nicht aus, um Verbrauchern über-mäßigen Fleischkonsum zu vermiesen. Zwei Frauen aus dem Ortenaukreis setzen da völlig andere Maßstäbe.
Nicht erst seit Corona sind die Zustände in der Fleischindustrie bekannt. Immer häufiger überschlagen sich Meldungen von gravierenden Missständen, von in Massen zusammengepferchten, häufig kranken Schweinepopulationen, deren einziger Lebenssinn die schnelle Schlachtung, respektive Gewinnmaximierung, ist. Noch immer werden 60 Millionen Schweine in Massenställen gehalten und in riesigen Schlachthöfen getötet und zerlegt. Oftmals kommt das Schlachtvieh nur unter Qualen zu Tode – was das Tierschutzgesetz eigentlich strikt verbietet.
Ursel und Judith Wohlfahrt aus dem Örtchen Hesselbach bei Oberkirch im baden-württembergischen Ortenaukreis stemmen sich gegen diesen Trend. Sie züchten auf ihrem Hofgut Silva Schweine, denen es Zeit ihres Lebens sauwohl ergeht. „Unser Anliegen ist es, den Tieren bis zu ihrem Gang zum Metzger ein artgerechtes Dasein im Sinne des Tierwohls zu ermöglichen", sagt Ursel Wohlfahrt. „2008 kaufte ich einen etwas heruntergekommenen Bauernhof unterhalb des 437 Meter hohen Geigerskopfs am Ende des Hesselbachtals und renovierte das Anwesen. Eigentlich sollte dies mein Alterssitz werden."
Heute gehören zum Anliegen 15 Hektar Kastanienwälder und Streuobstwiesen. Gemeinsam mit ihrer Tochter Judith, vor dem Leben als Bäuerin bei einer Bank angestellt, beschloss Ursel Wohlfahrt, sich neu zu orientieren. Weg vom Beruf der Volkswirtin, die ihr Geld mit Passivhäusern verdiente, hin zur extensiven Schweinezucht. Die beiden sind landwirtschaftliche Quereinsteigerinnen. „Wir leben die Leidenschaft zum Schwein", sagt Jungbäuerin Judith Wohlfahrt. „Die war schon lange zuvor gewachsen. Auch ich musste mich entscheiden, weiter zur Bank oder ganz in die Landwirtschaft zu gehen. Wir überlegten: Wo fühlen sich die Tiere wohl? Und wir wussten diese Frage zu beantworten. Dort, woher sie ursprünglich gekommen waren, aus dem Wald."
In ihrem Wald sollten die von ihnen ausgesuchten Tiere einen neuen Lebensraum erhalten. Ihre Wahl fiel auf das britische, ausschließlich für die Freilandhaltung geeignete Tamworth-Schwein und das langbeinige Birkshire-Schwein, das vom englischen Wildschwein abstammt. Die beiden Rassen eignen sich bestens für die Freilandhaltung, kommen in den Steillagen des nördlichen Schwarzwaldes sehr gut zurecht und genießen wegen ihrer hervorragenden Fleischqualität einen fabelhaften Ruf als Schinken- und Specklieferant.
Aus elf Zuchtsauen wurden bis heute 120
Ende Mai 2013 kamen von der Insel elf Zuchtschweine und zwei Eber in den nördlichen Schwarzwald. Die Tiere sollten ihre Zucht begründen. Heute leben 120 Sauen mit ihren Ferkeln auf dem Gelände um den Hof und verbringen das ganze Jahr draußen auf den Wiesen. Im Winter werden sie in den Wald getrieben. Dorthin, wo sie auch noch unter dem Schnee Nahrung finden. Lediglich verschiedene Getreidevarianten, die Ursel und Judith Wohlfahrt selbst schroten, werden zugefüttert. „Wir wollen die Kontrolle über die Nahrung für unsere Schweine haben", sagt Ursel Wohlfahrt. „Deshalb kaufen wir keine Fertigmischungen. Wir sind es unseren Tieren, den Konsumenten und schließlich uns selbst schuldig." Die Neubäuerinnen hatten allerdings auch Glück. Die Behörden, allen voran das Landwirtschaftsamt sowie die Ämter für Umweltschutz und Waldwirtschaft, standen ihrem Vorhaben wohlwollend gegenüber und ermöglichten diese naturnahe extensive Schweinzucht. Die beiden Frauen durften das gesamte Gelände – einschließlich der Areale im Wald – für ihre Schweine einzäunen. Die Argumentation der beiden Frauen für eine naturnahe Schweinezucht jenseits jeglicher Massentierhaltung leuchtete den Verantwortlichen ein.
Die Schweinebäuerinnen hatten ihre Gründe, dass ihre Wahl ausgerechnet auf die beiden britischen Rassen fiel. Das schwarze Berkshire-Schwein ist wegen seines dunklen und schmackhaften Fleisches und des würzigen Specks begehrt. Sein Schinken ist aromatisch und schmeckt nussartig. Es wurde erstmals um 1790 erwähnt. Im 19. Jahrhundert besaß Queen Victoria eine Herde dieser Rasse und machte sie bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor das Schwein an Bedeutung, da man schnell wachsende Hochleistungsschweine mit hellem Fleisch bevorzugte. Vor allem Japaner lieben das fein marmorierte Fleisch des Berkshire und vergleichen dieses mit dem des Kobe-Rindes.
Auch das rotbraune Tamworth-Waldschwein, eine der ältesten Zuchtrassen, stammt vom englischen Wildschwein ab. Diese robusten Tiere sind scheuer und misstrauisch gegenüber Fremden, vor allem wenn sie Ferkel säugen. Trotzdem ist das Borstenvieh in der Gruppe gesellig, neugierig und ziemlich sozial. Die Tamworth-Schweine sind gute, geduldige Mütter, und oftmals werden die Ferkel von mehreren Sauen gemeinsam aufgezogen. Der Schinken vom Tamworth ist etwas heller als jener vom Berkshire-Schwein, aber ebenso fein marmoriert, saftig und schmackhaft.
Extensive Haltung garantiert Qualität
„Nur die extensive Haltung unserer Schweine garantiert die hohe Fleischqualität", sagt Judith Wohlfahrt, Biolandbäuerin mit Master im Ökologischen Landbau. Doch alle Kriterien sprechen genau für sie und ihre Philosophie. „Wir möchten die Tiere in ihrem natürlichen Habitat belassen. Schweine sind weder dumm noch faul und fett. Durch ständigen Auslauf in allen Jahreszeiten sind die Tiere muskulös. Bei uns trinken sie kühles Quellwasser, suhlen sich im Schlamm, was alle Waldbewohner gerne tun, fressen frisches Gras, im Sommer Obst, und im Herbst lieben sie die Kastanien in unseren Wäldern. Unsere Silva-Sauen werden nur einmal im Jahr befruchtet, ansonsten sind die Geschlechter in Gruppen getrennt."
Auch bekommen die Tiere keine medikamentösen Prophylaxen, versichert sie. Nur im Einzelfall kann ein Tier behandelt werden und fällt dann aber vorerst für die Schlachtung aus. „Durch die Art der Haltung sind unsere Tiere stets gesund", sagt Ursel Wohlfahrt. „Auf Hofgut Silva haben sie Zeit zur Reife, wir mästen nicht, sondern wir ziehen die Tiere groß. Vor Beginn der Geschlechtsreife mit etwa neun Monaten gehen die Eber unkastriert zum Schlachter. Vom sogenannten Eber-Gschmäckle ist da nichts zu spüren. Die Tiere werden einzeln geschlachtet, haben keinen Stress und schütten kein Adrenalin aus, das man schmecken könnte. Die Sauen kommen mit etwa zwölf Monaten zum Metzger und leben somit doppelt so lange wie konventionell gehaltene Tiere."
Beurkundet vom Landesinnungsverband des Fleischerhandwerks darf Judith Wohlfahrt selbst schlachten. Bis zur Fertigstellung des eigenen Schlachthauses lässt sie allerdings weiter beim Metzger ihres Vertrauens nur vier Kilometer vom Hof entfernt schlachten, verarbeitet aber alle Teile der Tiere auf Hofgut Silva selbst. Landestypisch werden Innereien zu Blut- und Leberwürsten verarbeitet. Bratwürste und Leberkäs von freilebenden Schweinen sind ein echter Genuss, und die Schnitzel oder Koteletts von englischen Waldschweinen kommen in Größe und Gewicht so aus der Pfanne, wie sie hineinkamen.
Wann sieht man heute sonst noch Gruppen von Schweinen, die voller Stolz ihre Schwänze kringeln, die freundlich und neugierig ungestresst auf jedermann zurennen und jedem einmal mehr zeigen, dass Schweinezucht auch anders geht?