Wegen der Corona-Pandemie mussten in diesem Jahr zahlreiche Kulturevents abgesagt werden – da nehmen die Salzburger Festspiele eine Sonderstellung ein. Denn mit einer angepassten Variante will man hier ein Signal für die gesamte Branche setzen.
Wenn aufgekratzte Stimmung förmlich in der Luft hängt, in den Auslagen der Modegeschäfte ein wenig mehr elegante Trachtenkleidung als sonst zu sehen ist und vom Domplatz lautes Hämmern herüberdröhnt – dann lässt die Eröffnung der Salzburger Festspiele nicht mehr lang auf sich warten. So auch in diesen Julitagen. Wobei 2020, im Corona-Jahr, alles ganz anders ist. Lange Zeit war unklar, ob die Festspiele in ihrer Jubiläumsausgabe überhaupt stattfinden könnten – andere traditionsreiche Großveranstaltungen wie beispielsweise die Passionsspiele in Oberammergau oder die Bayreuther Festspiele waren bereits den Corona-Einschränkungen zum Opfer gefallen. Doch Ende Mai wurde nach Absprache mit dem österreichischen Gesundheitsministerium eine abgespeckte Festspielvariante angekündigt, die nun 110 Vorstellungen statt der ursprünglich geplanten 200 umfasst.
1920 seien die Salzburger Festspiele von Max Reinhardt in einer „Zeit größter Not als mutiges Projekt gegen die Krise" gegründet worden, erklärt Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stader. Damals sei man davon ausgegangen, dass man die Menschen in Europa nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs durch Kunst wieder miteinander versöhnen könne. Und auch in der jetzigen Krise scheine der Gründungsgedanke „Kunst als Lebensmittel und Lebenssinn" aktueller denn je.
Als kleinere, dennoch hochkarätig besetzte „Krisen-Variante" präsentieren sich also die diesjährigen Festspiele – statt 16 Spielstätten gibt es nun acht. Alle Aufführungen und Konzerte finden unter strengsten Corona-Vorkehrungen statt, insgesamt hat Festspiel-Präsidentin Rabl-Stader 300.000 Euro unter anderem für Corona-Tests in ihrem Budget eingeplant. Und alle Produktionen, die dieses Jahr nicht aufgeführt werden können, sind auf das kommende Jahr verschoben worden.
Ein gewaltiger Aufwand für das Team der Festspiele, ebenso wie die Stornierung der ursprünglich verkauften rund 240.000 Tickets. Die wiederum mit einem komplizierten Neuvergabe-System gekoppelt wurde. Denn bei der modifizierten Festspiel-Ausgabe stehen allein schon wegen Hygiene- und Abstandsregeln nur rund 80.000 Plätze für die Vorstellungen von Opern und Schauspiel, Konzerte und Lesungen zur Verfügung. Nach einem Algorithmus seien die Tickets neu vergeben worden, erzählt Stadtführerin Jutta Heugl. Das habe nicht in jedem Fall funktioniert, manch einem Gast sei der neue Termin oder die angebotene Aufführung nicht recht gewesen. Und so kommt es zu einem positiven Nebeneffekt dieser so besonderen Festspiele: Wenige Tage vor dem Start gibt es noch Tickets in verschiedenen Preiskategorien, sogar für einige Aufführungen des „Jedermann", des legendären Eröffnungsstücks der Festspiele. Das habe sie noch nie erlebt, sagt Jutta Heugl.
Da kann ihr Chef-Concierge Florian Muigg aus dem traditionsreichen „Hotel Bristol" nur zustimmen. Die Festspielzeit und auch bereits die Tage davor sind für ihn quasi die fünfte Jahreszeit und mit Sicherheit die arbeitsreichsten Wochen des Jahres. Ob es dieses Jahr für ihn genauso betriebsam wird wie 2019, als er im August quasi „rund um die Uhr im Einsatz" war? Das vermag der festspielbegeisterte Muigg noch nicht abzuschätzen, einige der Stammgäste wären jedenfalls dieses Mal nicht dabei. Doch die Vorfreude sei „riesengroß" – wenn alles gut gehe, könne ja dann im kommenden Jahr das Jubiläum „mit einem Paukenschlag" nachgefeiert werden.
Festspiele als Friedensprojekt
Dass die Salzburger Festspiele sich zu einem der renommiertesten Kulturevents weltweit, quasi zu einer international anerkannten Marke entwickeln würden, das hätten sich die Gründer vor 100 Jahren wohl kaum träumen lassen. 1873 war Max Reinhardt als Maximilian Goldmann im österreichischen Baden geboren worden, nahm Schauspielunterricht und debütierte 1890 an einem Wiener Privattheater. Als Schauspieler kam er nach Berlin, begann sich als Regisseur einen Namen zu machen, aber nach wenigen Jahren auch als Gründer und Betreiber verschiedener Theater, die als Gruppe zusammengefasst auch als Reinhardt-Bühnen bezeichnet wurden. Und zu denen neben dem Kabarett „Schall und Rauch" unter anderem auch das Deutsche Theater und die Volksbühne in Berlin gehörten. Zeitweise umfasste Reinhardts Theaterimperium elf Bühnen mit insgesamt über 10.000 Plätzen.
Reinhardt zählte also zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der europäischen Theaterlandschaft, als er 1918 das Schloss Leopoldskron bei Salzburg kaufte. Die Anlage aus dem 18. Jahrhundert mit kleinem Park und direkt am Leopoldskroner Weiher befand sich in baufälligem Zustand. Reinhardt ließ sie aufwendig umbauen, mit Antiquitäten einrichten – beispielsweise in einem sogenannten Marmor- oder einem venezianischen Saal. So erzählt es Karin Peifenberger bei einer Führung durch das Schloss. Mittlerweile ist das ein internationales Seminarzentrum, doch vieles aus Reinhardts Jahren ist erhalten. Die Malereien im venezianischen Saal mit den Harlekinen aus der Commedia dell’arte, die Bibliothek mit ihren verzierten über zwei Etagen reichenden Bücherregalen, einem Geheimgang und umwerfender Aussicht auf Weiher und Untersbergmassiv. Leopoldskron entwickelte sich unter Reinhardt schnell zum Treffpunkt für Politiker, Künstler, Wissenschaftler und Unternehmer. Er veranstaltete Soireen mit Theateraufführungen, bei denen die Gäste die einzelnen Akte in verschiedenen Räumen erlebten. Auf Schloss Leopoldskron hob Max Reinhardt gemeinsam mit dem befreundeten Dramatiker Hugo von Hofmannsthal und Komponist Richard Strauss die Salzburger Festspiele aus der Taufe. Nach der traumatischen Erfahrung des Ersten Weltkriegs sollte das Kulturereignis auch ein Friedensprojekt sein, die Europäer wieder näher zusammenrücken lassen, trotz Ressentiments und Vorbehalten.
Mit der Aufführung des „Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal, der bereits 1911 im Berliner Zirkus Schumann uraufgeführt worden war, mit diesem „Großen Welttheater", wie Reinhardt das Stück nannte, wurden die Festspiele am 22. August 1920 auf dem Domplatz eröffnet. Dort schien das auf einem englischen Mysterienspiel basierende „Spiel vom Sterben des reichen Mannes" seinen „selbstverständlichen Platz" gefunden zu haben, befand von Hofmannsthal. Zwischen Mittelalter und Barock, zwischen Kirche und Friedhof.
„Wie ein Selbstverständliches wirkten die marmornen fünf Meter hohen Heiligen, zwischen denen die Schauspieler hervortraten und wieder verschwanden, wie ein Selbstverständliches die Rufe ‚Jedermann‘ von den Türmen der nahen Kirche, von der Festung Hohensalzburg herab, vom Petersfriedhof herüber, wie ein Selbstverständliches das Dröhnen der großen Glocken zum Ende des Spiels, das Hineinschreiten der sechs Engel ins dämmernde Portal, die Franziskanermönche, die von ihrem Turm herunter zusahen, die Kleriker in den hundert Fenstern des Petersstiftes, wie ein Selbstverständliches das Sinnbildliche, das Tragische, das Lustige, die Musik."
„Großes Welttheater" im Salzburg-Museum
So schilderte Max Reinhardt die Aufführung des „Jedermann". In diese Atmosphäre lässt die Landesausstellung „Großes Welttheater" im Salzburg-Museum eintauchen, als Entree einer beeindruckend umfassenden Schau zu 100 Jahren Salzburger Festspielen. Eine historische Fotografie, auf der man Publikum, Teile des Bühnenbilds und den Domplatz sieht, wurde szenografisch umgesetzt. Der Besucher kann in dieser Szene Platz nehmen, auf einem Bildschirm läuft eine Dokumentation des ORF, die in den historischen Kontext der Festspielgründung einführt, einen chronologischen Überblick bietet.
Was wäre Salzburg ohne die Salzburger Festspiele? Nur eine der Fragen, die den Besucher der Landesausstellung bei seinem Rundgang begleiten, die das schier unerschöpfliche Material, die Filmaufnahmen und Tondokumente, die Aufzeichnungen und persönlichen Erinnerungen rund um die einhundertjährige Festspielgeschichte strukturieren. Drei Jahre hat die Vorbereitung der Ausstellung gedauert, erzählt der Direktor des Salzburg-Museums, Martin Hochleitner. Zahlreiche Partner wurden dabei mit ins Boot geholt – beispielsweise das Theatermuseum sowie das Jüdische Museum in Wien. Letzteres hat das Schicksal Max Reinhardts – stellvertretend für die Biografien vieler jüdischer Künstlerinnen und Künstler der Salzburger Festspiele – anhand ausgewählter Objekte behutsam in Szene gesetzt. Da wird beispielsweise eine Kulisse mit Blick von Schloss Leopoldskron auf den Untersberg gezeigt, daneben Gegenstände aus dem Besitz des Theaterregisseurs und -impresarios, dazu Plakate und historische Fotografien.
1937 floh Max Reinhardt vor den Nationalsozialisten in die USA, starb 1943 in New York an den Folgen mehrerer Schlaganfälle. In dem ihm und vielen anderen jüdischen Künstlern gewidmeten Ausstellungskapitel sind daher folgerichtig auch Fotos seiner Grabstätte in einem kleinen Mausoleum in Hastings-on-Hudson bei New York zu sehen. Sowie eine Nachbildung des Glasfensters seiner Grabstätte.
Doch in der Ausstellung „Großes Welttheater" geht es nicht nur um die Geschichte der Festspiele und um die zahlreichen Ausnahmekünstler, die ihnen im Laufe der vergangenen einhundert Jahre Glanz verliehen haben. Die Kuratoren haben zudem zeitgenössische bildende Künstler eingeladen, sich mit ausgewählten Aspekten zu beschäftigen. Zum Thema „Requisite" etwa hat der deutsche Künstler John Bock eine theatrale Installation geschaffen, die sich mit Klang, Textfragmenten, Objekten am „Jedermann" orientiert und aus Versatzstücken ein neues surreales Set entstehen lässt. Im Untergeschoss des Museums wird das Erinnerungsprojekt „Death and Birth in My Life" von Mats Staub mit Gesprächen über Leben und Tod in Bezug auf den „Jedermann" gezeigt. Staub hat Menschen zusammengebracht, die jeweils auf beziehungsweise hinter der Bühne mit der „Jedermann"-Inszenierung verknüpft waren. Peter Lohmeyer beispielsweise, der seit 2013 den Tod darstellt und den langjährigen Requisiteur Walter Lager. Hören, schauen, staunen – zu entdecken gibt es im „Großen Welttheater" im Salzburg-Museum reichlich. Das Haus wird zudem selbst zur Bühne – mit Aufführungen auf der dem Original nachempfundenen „Jedermann"-Bühne im Hof – zudem können Besucher unter dem Motto „Vorhang auf!" in Workshops selbst aktiv werden.