Das weltweite Rennen um einen Impfstoff ist in vollem Gang, einiges deutet sogar darauf hin, dass es bereits im Endspurt sein könnte. Der Verteilungskampf wird längst mit harten Bandagen geführt, gleichzeitig zeigen internationale Allianzen, was gemeinsame Anstrengungen leisten können.
Die meisten Experten waren vor nicht allzu langer Zeit noch der Ansicht, dass mit einem Impfstoff wohl erst im kommenden Jahr zu rechnen wäre. Grundlage für die Annahme war sicher auch, dass ein möglicher Impfstoff samt Medikamentenentwicklung die üblichen Prozeduren durchlaufen müssten, an deren Ende es verlässliche Aussagen über Wirksamkeit und Verträglichkeit (Nebenwirkungen) stehen würden.
Die globale Entwicklung hat den Druck aber enorm erhöht. Noch nie sind derartige Summen für Forschung und Entwicklung bereitgestellt worden. Noch nie haben sich in derart kurzer Zeit derart konzentriert und fast schon generalstabsmäßig Forschungseinrichtungen auf dem gesamten Globus dem Kampf gegen ein Virus gewidmet.
Und wohl noch nie hat gleichzeitig der Wettlauf in Forschung, Entwicklung und Produktion globale Verteilungskämpfe ausgelöst, an denen sich letztlich sogar die Frage um die globale wirtschaftliche und politische Dominanz zumindest mitentscheiden kann.
Die Erwartungen an die Wissenschaft sind enorm, der Druck aus Politik, Wirtschaft, aber auch schlicht aus der Bevölkerung ist immens. Ohne Impfstoff ist nicht an eine Rückkehr zu halbwegs normalen Umständen zu denken, im Gegenteil zeigen aktuelle Entwicklungen wie beispielsweise in Luxemburg und in Risikobereichen in Deutschland die beständige Gefahr neuer Ausbrüche, einschließlich einer befürchteten zweiten Welle. Diskussionen um Urlaubsrückkehrer zeigen, dass den Verantwortlichen diese Gefahr bewusst ist.
Ob und wie der immense wirtschaftliche Einbruch wieder in einen (stabilen) Aufwärtstrend umgekehrt werden kann, hängt bekanntermaßen ebenfalls von der Verfügbarkeit eines Impfstoffs ab.
Dass vor diesem Hintergrund Milliarden aufgebracht werden, ist eine logische Konsequenz. Mit wie viel Geld Forschung, Entwicklung, Produktionsaufbau gefördert werden, ist kaum zu übersehen. Neben den jeweils nationalen Anstrengungen hat eine internationale Geberkonferenz rund 7,5 Milliarden Euro zusammengebracht. Dreistellige Millionensummen wurden über die „Bill und Melinda Gates"-Stiftung aufgebracht, die sich schon lange dem Kampf gegen Virus-Pandemien widmet.
Zwischen gerechter Verteilung und nationalen Egoismen
115 Forscherteams sind nach Angabe des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller auf Hochtouren bei der Arbeit. Klar ist: Es wird wohl einige Gewinner geben, aber viel mehr Verlierer.
Das gilt für die Pharmaindustrie genauso wie für andere Industrie- und Wirtschaftsbranchen, womöglich ganze Volkswirtschaften. Auch deshalb wird rund um den Globus offensichtlich mit allen verfügbaren Mitteln und Methoden gekämpft. Die Neusortierung globaler Machtverhältnisse, die schon lange am Gären ist, ist durch die Pandemie beschleunigt und verschärft worden.
Fragen nach einer gerechten Verteilung möglicher Impfstoffe stehen zwar auf der Agenda, aber, wie es aussieht, nicht an oberster Stelle.
Was sich neben den knallharten Kämpfen zudem schon jetzt andeutet, ist eine Auseinandersetzung, die derzeit wie ein vernachlässigbarer Nebenkriegsschauplatz erscheint. Erwartbar wird eine Diskussion um eine Impfflicht auf uns zukommen. Frühere Auseinandersetzungen mit Impfgegnern lassen ahnen, dass auch diese Diskussion nicht unterschätzt werden sollte.
Die Pandemie hat die Welt und unser Leben verändert. Mit einem Impfstoff werden die Veränderungen weitergehen. Neben dem globalen Machtkampf scheinbar aller gegen alle zeigt der weltweite Wettlauf um einen Impfstoff aber eben auch die andere Seite internationaler Kooperationen, verstärkt vorhandene, führt auch zu neuen Kooperationen und Allianzen. Das gilt für den Bereich Forschung und Produktion, aber eben auch für den politischen Bereich.
Kurzfristig mag das Streben um exklusive Sicherung aus nationaler Sicht vielleicht erfolgversprechend sein. Tragfähiges Vertrauen in anderen Teilen der Welt wird aber wohl eher der aufbauen, der sich jetzt für eine gerechte Partizipation aller an einem Impfstoff einsetzt. Auch daran wird sich zeigen, auf welchen Grundlagen eine neu sortierte Weltordnung stehen wird.