Das Rennen um einen Impfstoff gleicht einem neuen „Space Race", dem globalen Wettlauf um die Eroberung des Weltraums. Es tobt eine erbitterte Schlacht um wirtschaftlichen und politischen Einfluss und globale Dominanz.
Typisch Deal-Maker. Präsident Trump versucht, den USA exklusiv den ersten Impfstoff zu sichern. Die Schlagzeilen vor Wochen suggerierten, dass der Geschäftsmann an der Spitze einer angeschlagenen Weltmacht tut, wovon er glaubt, dass er es am besten kann: bilaterale Verträge zugunsten seines Landes abschließen. Möge der Rest sehen, wie er klarkommt.
Konkret wurde es zuletzt mit einer milliardenschweren Vereinbarung mit der Mainzer Biontech und dem amerikanischen Pfitzer Konzern über die Lieferung von zunächst 100 Millionen Impfdosen samt Option auf weitere 500 Millionen (die USA zählt derzeit knapp 330 Millionen Einwohner). Das Zulassungsverfahren für die bestellte Ware, an deren Entwicklung die beiden Konzerne gemeinsam arbeiten, soll ab Oktober laufen.
Trump war allerdings nicht der Erste mit solchen Verträgen. Wenige Tage zuvor war bereits eine Vereinbarung mit Großbritannien zustande gekommen (30 Millionen Dosen).
Die europäische „Impfallianz" aus Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden haben bereits im Juni mit Astra Zeneca Lieferungen von 300 Millionen Dosen vereinbart. Der britisch-schwedische Konzern hatte zudem angekündigt, seinen Impfstoff zum Selbstkostenpreis anzubieten. Ziel sei, den Impfstoff „allen Menschen zugänglich zu machen", so Unternehmenschef Pascal Soriot im französischen Radiosender RTL.
Dem „Deal" der USA mit Biontech geht eine längere Entwicklung voraus: Biontech hatte als erstes sehr früh bereits im März die Zulassung zu Tests erhalten, damit weltweite Begehrlichkeiten auf sich gezogen.
Milliarden für Verträge
Auch die EU verfolgt mit ihrer Impfstrategie das Ziel, sich Zugriff auf einen Impfstoff zu sichern. In diesem Zusammenhang hieß es Mitte Juni, die Firma Biontech solle 100 Millionen Euro Kredit für die Impfstoffentwicklung von der Europäischen Investitionsbank bekommen können. Ende Juni vermeldete „Der Aktionär", das Mainzer Unternehmen habe sich „frisches Geld gesichert", die Rede war von 250 Millionen Euro, investiert habe unter anderem Singapurs Staatsfonds Temasek.
Eingesetzt hat der globale Kampf jeder gegen jeden aber schon viel früher. Bereits im März wurde ruchbar, der Präsident habe mit einem Exklusivvertrag mit der Tübinger Curevac versucht, Amerika ein künftiges Medikament zu sichern und es anderen vor der Nase wegzuschnappen. Es folgte das Dementi mit dem Hinweis, man wolle einen Impfstoff „für die ganze Welt entwickeln und nicht für einzelne Staaten".
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier betonte, die Bundesregierung habe „ein hohes Interesse, Wirkstoffe und Impfstoffe in Deutschland und Europa zu produzieren". Sichtbarer Ausdruck war dann die direkte Beteiligung (über die staatliche Förderbank KfW) in Höhe von 300 Millionen Euro an Curevac. Natürlich erhoffte man sich dadurch, die Entwicklung zu beschleunigen. Aber es war eben auch knallhartes wirtschaftspolitisches Interesse und Abwehrkampf. Gleichzeitig verschärfte die Bundesregierung die Außenwirtschaftsverordnung, um deutsche Hersteller von Arzneimitteln, Impfstoffen und persönlicher Schutzausrüstung vor Übernahme durch ausländische Investoren zu schützen.
EU-Wettbewerbskommissarin Magrethe Vestager ging in die gleiche Richtung. Zuvor hatten Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, auch die Niederlande grundsätzliche Maßnahmen gegen Übernahmen durch staatlich subventionierte Unternehmen aus Nicht-EU-Ländern eingefordert. Gemeint war vor allem China, aber auch die USA.
Die Einkaufstour insbesondere der Chinesen sorgte schon lange für Kopfzerbrechen in der EU. Dass Fußballclubs auf der Liste stehen, schien vielleicht noch kurios. Vor allem ging es um Infrastrukturprojekte (Häfen, Flughäfen, Windparks), namhafte Konzerne (Automobilbereich Daimler), Banken (Deutsche Bank), Robotik (Kuka). Alles für das erklärte große Ziel, China in allen Schlüsseltechnologien bis 2025 die Führung zu übernehmen. Durch die Pandemie angegriffene Unternehmen gerieten damit ins Visier.
Dass China Afrika in den Blick genommen hatte, und das lange weitgehend unter dem Aufmerksamkeitsradar, ist inzwischen bekannt. Ziel dort war und ist vor allem der Zugriff auf das Vorkommen Seltener Erden. Zu Corona-Zeiten ist das Riesenreich der Mitte bemüht, sich durch großzügige medizinische Spenden Wohlwollen und Standbeine zu sichern. Die Rede war bereits von einer „Maskendiplomatie".
Für Schlagzeilen sorgte auch der Spionagevorwurf aus London gegen Russland. Es sei „völlig unakzeptabel, dass russische Geheimdienste auf diejenigen abzielen, die an der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie arbeiten", wettert der britische Außenminister Dominic Raab. Natürlich bestritt Russland solche Unterstellungen.
Bei all den bekannt gewordenen Vorgängen handelt es sich lediglich um die Spitze eines Eisbergs. Die Vermutung ist zulässig, dass unter dem Radar öffentlicher Wahrnehmung mit allen erlaubten, grenzwertigen und unerlaubten Mitteln gekämpft wird. Wer zuerst über Impfstoffkapazitäten verfügt, um die eigene Bevölkerung zu versorgen, hat einen eindeutigen Vorsprung beim Hochfahren der Wirtschaft. Das alleine ist aber nur ein Aspekt angesichts der eng verflochtenen globalen Lieferketten und Absatzmärkte. Denn wenn es andernorts in der global arbeitsteiligen Welt noch nicht läuft, stocken Zulieferungen und Nachfrage. Die Beschaffungsmisere von Schutzausrüstung zu Beginn der Pandemie war ein vergleichsweise harmloser Vorgang, der aber ahnen lässt, was derzeit im Hintergrund abläuft.
Der Impfstoff wird zum strategischen Mittel
Der wirtschaftliche Verteilungskampf hängt untrennbar mit dem machtpolitischen Kampf um Einflusssphären zusammen. Denn wer sich – möglichst exklusiv – Zugang zu den Impfstoffen und Produktionskapazitäten sichert, hat angesichts der globalen Pandemie ein fast schon erpresserisches Potenzial in Händen. Und es dürfte wenig Zweifel daran geben, dass das auch ausgespielt wird.
Besonders zu spüren bekommen könnten das die Weltregionen, die bislang eher abgehängt waren, aber in den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen und globalen Interessen inzwischen im Fokus stehen. Die Rede ist besonders von Afrika, das längst von China sowohl aus geostrategischer Sicht als auch im Blick auf den Zugriff zu den Rohstoffen der digitalen Welt ins Visier genommen ist.
Insofern ist nicht überraschend, dass der schon lange währende Konflikt zwischen den USA und China jetzt brandgefährlich eskaliert. Für Europa – und auch für Russland – geht in diesem Kampf zwischen angeschlagener alter Weltmacht USA und der zunehmend beherrschenderen globalen Wirtschaftsmacht China darum, eigenen Einfluss zu sichern und auszubauen, um nicht zerrieben zu werden.
Welches Gewicht bei diesen Gemengelagen das vor allem aus Europa betonte humanitäre Argument spielt, ist eher zweifelhaft. Zugang aller Menschen zu Impfstoffen war schon vor der Pandemie hinsichtlich anderer Infektionskrankheiten zwar eine politische Forderung. Die Realität war aber eher von ökonomischen Interessen einer überschaubaren Zahl global dominierender Pharmakonzerne bestimmt.
Alle diese globalen politisch-ökonomischen Entwicklungen waren längst vor Corona im Gang. Die Pandemie hat die Eskalationsspirale sichtbarer gemacht, beschleunigt und verschärft.