Für die Zukunft des Automobils einseitig auf Elektro zu setzen, wäre fatal, sagt Thomas Otto, Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer des Saarlandes. Die Chance für den Automobilstandort Saarland liegt aus seiner Sicht in modernsten, effizientesten Verbrennern und in der Perspektive beim Wasserstoff.
Herr Otto, wenn wir über die Zukunft des Automobilstandortes Saarland reden, ist dann Wasserstoff das zentrale Thema?
Ja, ich bin überzeugt davon, Wasserstoff ist das zentrale Thema, wenn es um den Industriestandort Saarland geht. Wir sind aber erst in etwa zehn bis 15 Jahren so weit, sagt die aktuelle Forschung, dass wir Wasserstoff in Serienfertigung herstellen können. Deshalb muss man natürlich Antworten für die Zeit bis dahin geben. Das führt dann zunächst zu der Frage, wie wir uns das Automobil der Zukunft vorstellen. Wir als Arbeitskammer haben uns relativ früh für eine Technologieoffenheit ausgesprochen. Wir erleben derzeit, dass es eine fast schon überproportionale Zustimmung zur Elektromobilität gibt. Im Konjunkturpaket der Bundesregierung ist das Mobilitätskapitel fast ausschließlich elektrisch. Vom Verbrenner redet niemand mehr. Ich stelle meinen Gesprächspartnern immer die Frage: Welches Auto würdest Du heute kaufen? Dann kommt erst einmal Schweigen und dann sagen die meisten: dieses Jahr keins. Beim Verbrenner weiß ich nicht, ob das noch sinnvoll ist, Elektro traue ich noch nicht recht, und von Wasserstoff reden wir kaum. Wenn ich mir heute einen Verbrenner, einen Benziner oder Diesel modernster Technologie kaufe, laufe ich dann Gefahr, in zwei, drei Jahren ein Fahrverbot zu haben, habe ich noch einen Wiederverkaufswert? Beim Elektroauto weiß ich, dass es Technologiesprünge geben wird, warum also jetzt kaufen? Das zeigt, dass Politik keine Orientierung in den Markt gibt. Elektroautos für den Nahbereich kann man sicher empfehlen, aber kaum für den Last- und Fernbereich. Da kann Wasserstoff dann die Lösung sein.
Was macht Sie so skeptisch bei Elektroautos?
Man muss die Konzepte vergleichen. Im Moment reden wir noch vom grauen Wasserstoff, und auch bei Batterien nicht wirklich von sauberer Energie. Beide sind am Fahrzeug emissionsfrei, für eine wirkliche Energiebilanz in der gesamten Kette ist aktuell die Forschung gefordert, dies ebenfalls sicherzustellen. Bei Batterien haben wir Bedingungen bei der Herstellung, die zu hinterfragen sind. Jedenfalls kann man Elektro heute nicht so verklären als sei es die ökologische Antriebstechnik von morgen. Als Argument gegen Wasserstoff werden die riesigen Mengen Energie zur Herstellung angeführt. Da hängt es davon ab, wo der Wasserstoff hergestellt wird. Im Prinzip sind Sonne und Wind unendlich. In der Wasserstoffstrategie von Peter Altmaier (Bundeswirtschaftsminister, Anm. d. Red.) gibt es Hinweise etwa auf potenzielle Standorte in Marokko. Man könnte aber auch mit Standorten zum Beispiel in Spanien eine europäische Erfolgsgeschichte daraus machen. Grundsätzlich brauchen wir grüne Energie. Wenn wir die haben, können wir eine tragfähige Bilanz aufmachen. Derzeit brauchen wir den hocheffizienten Verbrenner, damit wir die beiden anderen Stränge weiterentwickeln können.
Was heißt das für den Automobilstandort Saarland?
Für das Saarland heißt das: Wir sollten alle drei Technologien – hocheffiziente Verbrenner, Elektro und Wasserstoff gleichberechtigt bewerten und uns klar machen, welche Möglichkeiten wir haben, um Brückentechnologien in den nächsten Jahren zu fördern. Wir haben mit Bosch in Homburg einen hochinnovativen Zulieferer, der auch an Wasserstoff arbeitet. Wir haben in Saarlouis mit dem neuen Ford Focus mild Hybrid den effizientesten Verbrenner, den es derzeit gibt. Strategisch müssen wir heute die Weichen stellen, damit übermorgen ein Fahrzeug mit der modernsten Antriebstechnologie vom Band läuft. Verbrennertechnologie und Wasserstoff kommen der Struktur im Saarland entgegen, während ich glaube, dass Elektro weitgehend am Saarland vorbeifährt. Es wäre aus saarländischer Sicht fatal, auf Elektromobilität allein zu setzen. Eine Verteufelung wäre aber auch nicht richtig. Wir müssen uns den Realitäten stellen und die Bereiche definieren, wo Elektromobilität sinnvoll ist. Ein Beispiel, das Umweltminister Reinhold Jost im Kontext der Debatte um die Nachhaltigkeitsstrategie gebracht hat: Bei der hohen Eigenheimdichte könnte man fast schon ein eigenes Programm auflegen, um mit eigenproduziertem Strom aus Fotovoltaik Mobilität für den Nahbereich ermöglichen. Es gäbe also schon nachhaltige Konzepte. Deshalb Technologieoffenheit: bei jeder Technologie sehen, wo wir gewinnen können. Wo es sinnvoll ist, diese weiterzuentwickeln oder wie man Nutzung fördern kann.
Wo könnte das Land bei Wasserstoff gewinnen?
Bei Wasserstoff macht die Geschichte, die wir vor allem entlang der Wettschöpfungskette erzählen können, für das Saarland sehr viel Sinn. Das gilt auch für die Stahlindustrie. Bei der Wasserstoffentwicklung sind wir ja nicht bei null. Im Programm Hy Experts werden aktuell 23 saarländische Unternehmen gebündelt, die alle in Sachen Wasserstoff schon was tun, von der Creos, bis Bosch, Ina Schaeffler und andere. Dort kann industrielle Wertschöpfung entstehen. Mit dem Wasserstoff, der in Fenne hergestellt werden soll, könnte man beispielsweise die ganze Busflotte im Saarland bedienen. Auf dem Weg dorthin braucht es Ruhe im Markt. Die wird der Markt alleine aber nicht herstellen können, da braucht es politische Leitlinien, die auch Kaufanreize bieten. Und diese müssen zunächst einmal immateriell sein, indem mir die Politik zusagt, dass ich die heute am Markt verfügbaren, ausgereiften Autos kaufen kann und dabei keinen Schiffbruch erleiden werde. Diese Botschaft ist jetzt wichtig. Bei finanziellen Anreizen wäre ich eher skeptisch, ich bin davon überzeugt, dass der immaterielle Aspekt derzeit sehr viel wichtiger ist.
Nun fallen Entscheidungen nicht unbedingt im Saarland, sondern in den Konzernzentralen oder politisch in Berlin. Was also tun?
Da müssen wir, glaube ich, noch viel lauter werden als Region. Wir müssen uns vernetzen, wobei da schon viel passiert. Wir haben die Voraussetzungen, um laut zu werden, wir müssen es jetzt nur tun. So, wie es beispielsweise die neuen Bundesländer bei den Verhandlungen zum Kohleausstieg vorgemacht haben. Interessenlagen müssen hart erkämpft werden. Ich weiß, die Landesregierung ist da unterwegs. Wir müssen aber noch lauter werden und wir müssen unsere Vision für das Saarland ganz praktisch erzählen. Beim Thema Wasserstoff sind meiner Meinung nach einige hier im Saarland gedanklich schon sehr weit, aber bei den Bürgerinnen und Bürgern kommt die Vision noch nicht an: Das ist kompliziert und weit weg. Ich bin aber sicher, es ist unsere letzte Chance, das Industrieland Saarland wirklich nach vorne zu bringen. Diese Geschichte müssen wir jetzt auch emotional erzählen, um eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Wir müssen den Leuten sagen, dass wir eine riesige Chance haben mit einer Wasserstoffstrategie. Wir erzählen das aber nur halbherzig und mit wenig Enthusiasmus. Dabei haben wir eine realistische Chance, im Saarland den grünsten und saubersten Stahl der Welt herzustellen. Daran muss man auch glauben. Wenn wir das hinbekommen, gilt das auch für den Automobilbereich. Und wir haben den großen Vorteil, dass wir die Zeit dazwischen überbrücken können, weil wir Hightech haben, das können andere vielleicht nicht. Bosch arbeitet, wie man hört, an Modulen, mit denen man den Verbrenner auf Wasserstoff umstellen kann.
Woran liegt es, dass derzeit denn scheinbar alles auf Elektro fokussiert ist?
An der Art, wie Geschichten erzählt werden. Beispiel Tesla. Die erzählen: Das Ding ist fertig, wir haben den Markt erobert, also sind wir erfolgreich. Punkt. Zu dem, wie das Ding funktioniert, hört man vieles. Es ist eigentlich überteuert, Gewinne sind damit noch nicht gemacht worden. Trotzdem wird die Geschichte der Elektroautos geglaubt. Wir bauen jetzt in Brandenburg eine Riesenfabrik. Ich gönne den Menschen den Arbeitsplatz vor Ort. Die Subventionen dafür sind eine andere Frage. Jedenfalls bauen wir dort eine Fabrik für Elon Musk. Wir bauen in Kaiserslautern eine Riesenbatteriefabrik mit chinesischem Know-how. Ich habe in meinem Studium gelernt, dass es verschiedenen Strategien gibt, um sich am Markt zu behaupten. Deutschland ist bisher nie damit aufgefallen, dass es eine Follower-Strategie verfolgt. Wir haben doch immer den Anspruch gehabt First Mover, Innovator, die Ersten zu sein. Viele große Erfindungen, die die Welt später als Produkte erobert haben, sind in Deutschland erfunden worden. Wir haben jetzt gerade 25 Jahre MP3 gefeiert – eine deutsche Erfindung. Und jetzt sind wir bei einer neuen Technologie zufrieden, dass wir Follower sind? Wir verhalten uns nicht wie ein führendes Industrieland. Das Thema Wasserstoff beherrschen wir eigentlich schon seit zehn Jahren – und seit zwei Jahren eiern wir jetzt hier an der Genehmigung einer Wasserstofftankstelle herum. Mich ärgert, dass wir im Saarland das Ganze so defensiv behandeln, weil es eigentlich kein Dissens-Thema ist. Peter Altmaier hat das Thema drauf, Anke Rehlinger hat es drauf, es ist also nicht so, dass man das jemand erklären muss. Man muss aber den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, welche Perspektiven da drin stecken – und man muss in Berlin laut „Hier" schreien, um Modellregion zu werden. Bei Hy Expert haben wir das hinbekommen. Wir brauchen jetzt Dynamik, wir können hier nicht warten.
Was sagen Sie aber in der aktuellen Situation den Beschäftigten bei den Zulieferern?
Das Dilemma ist, dass wir auf der einen Seite froh sein können, dass wir die Krise in Deutschland bisher so gut bewältigen konnten. Grundsätzlich haben wir ein funktionierendes Sozialsystem, und vieles hat sich wieder in Richtung starker Staat entwickelt. Es gab ja eine Zeit, da wollte jeder, dass sich der Staat aus allem zurückzieht. Wir sind jetzt mächtig froh, dass wir einen starken Staat haben, dass wir schnell genug beim Thema Kurzarbeit nachgesteuert haben, wobei ich mir noch deutlichere Schritte erwartet hätte. Mit all den Maßnahmen in der ersten Phase, die die Politik auf den Weg gebracht hat, sind wir erst mal nicht ins Bodenlose gestürzt. Ich will damit nichts schönreden. Für die Betroffenen ist es eine schlimme Situation. Wir hatten 2008/2009 gedacht, dass uns die Wirtschaftskrise verdammt hart trifft. Nach allen Zahlen, die uns im Moment vorliegen, war es damals aber nur ein laues Lüftchen, heute hat es eine ganz andere Dimension. Der Staat hat seine Verantwortung erst einmal übernommen, es wird nachgesteuert, wir müssen vieles noch besser machen und vor allem verstetigen. Was Politik zügig leisten muss, ist, wieder Vertrauen in die Märkte zurückbringen. Im Automotivbereich heißt das eben, den Menschen Mut machen: Ihr könnt Euch für ein Auto entscheiden. Wir sind ein Autoland und wir werden das Auto nicht kaputtreden. Wir können den modernsten Verbrenner der Welt bauen. Und bis wir das nächste beste Auto, mit Wasserstoffantrieb oder richtig durchdachtem Elektroantrieb auf den Markt bringen, solange versichern wir, dass ihr euer Auto fahren könnt. Wir haben mit dem Euro 6d-Temp die modernste Technik. Diese wird auch noch im Saarland zusammengebaut, etwa im neuen Ford Focus. Jetzt geht es darum, bei der Primärenergie umzusteuern. Damit sind wir wieder bei der Wasserstoffstrategie. Wenn wir das klar haben, entsteht auch wieder in den Unternehmen Zuversicht. Das hat auch etwas mit Psychologie zu tun. Ein Unternehmen geht dann nach vorne, wenn es merkt, dass sich die Märkte wieder beruhigen und sie für sich Chancen sehen. Wir sind in einem Paradigmenwechsel. Es wird Glaskugellesen bleiben, wie viel dann coronagetriggert war. Denn vor Corona standen wir bereits vor den gleichen Problemen. Corona war der Katalysator, der vieles noch beschleunigt hat. Alles, worüber wir jetzt gesprochen haben, hätten wir im Februar genauso diskutiert. Beim Automobilmarkt haben wir es mit einer Vertrauenskrise zu tun, die zunächst nichts mit Corona zu tun hat, die hatten wir schon vorher. Es wird aufgrund der Krise bloß noch stärker deutlich, dass wir handeln müssen und zwar jetzt.