Rein statistisch scheint klar: Homeoffice ist einer der großen Lockdown-Gewinner. Die Erfahrungen haben die Bereitschaft dazu deutlich steigen lassen. Dahinter stehen grundsätzliche Fragen nach der Zukunft der Abläufe.
Was vorher eher mit skeptischer Zurückhaltung angegangen wurde, scheint durch vielfachen, im Lockdown erzwungenen Selbstversuch richtiggehend Begeisterung ausgelöst zu haben. Man schätzt das ungestörte Arbeiten zu Hause, ist besser konzentriert und damit folglich effektiver, sagen etliche Studien. Das hat auf der einen Seite sicher seine Richtigkeit. Aber genauso richtig sind die Erfahrungen und ebenfalls durch Studien belegten Nebenwirkungen und Risiken.
Schon vor der Krise nahm die Zahl der Mitarbeiter im Homeoffice stetig zu, wenn auch in überschaubar vorsichtigem Rahmen. Erlaubten noch 2014 nur rund 20 Prozent der Unternehmen ganz oder teilweise Arbeit im Homeoffice, stieg der Anteil binnen vier Jahren auf 30 Prozent, um dann etwas schneller zuzulegen (Bitkom-Studie). Trotzdem zeigten internationale Studien, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen das Potenzial bei Weitem nicht ausschöpfte, eher im Hintertreffen lag.
Das Homeoffice-Entwicklungsland hat sich durch die Pandemie verändert. Jetzt hat Arbeitsminister Hubertus Heil einen Gesetzentwurf in Arbeit, in dem ein Recht auf Homeoffice formuliert werden soll. Die politische Forderung dazu gibt es schon länger, aber erst jetzt scheint die Zeit reif dafür. Homeoffice könne nur funktionieren, wenn es dafür klare Regelungen gibt, betont die Arbeitskammer (AK) des Saarlandes (neben Bremen die einzige in Deutschland) und stützt damit Forderungen aus Gewerkschaftskreisen. Es gebe „noch erheblichen Regelungsbedarf“.
Die Interessenlagen liegen allerdings noch immer auseinander. Eine AK-Umfrage im Juni ergab: Knapp 70 Prozent der Beschäftigten wünschten sich auch nach der Krise mehr Homeoffice, Arbeitgeber waren da mit gut 50 Prozent positiver Rückmeldungen zurückhaltender. Die Erfahrungen aus den letzten Monaten mit Homeoffice haben jedenfalls einige zusätzliche Beschäftigungswirkungen ausgelöst, nicht nur für die Politik. Arbeitsrechtlich haben sich etliche offene Fragen aufgetan, Psychologen entwickeln zusätzliches Interesse, Soziologen stehen vor weiteren Fragestellungen…
Letztlich haben sich übergreifende Fragen verschärft, die vom Grundsatz schon vor der Pandemie auf der Agenda waren. Es geht um die Zukunft der Arbeitswelt unter den neuen und weiter wachsenden Möglichkeiten der digitalen Welt, es geht darum, wie die Veränderungen der Arbeitswelt auf gesellschaftliches Leben insgesamt rückwirken. Homeoffice ist dabei ein Teilaspekt, aber ein wesentlicher, weil die Auswirkungen unmittelbar erfahrbar sind. Mit positiven wie negativen Aspekten und womöglich mit zusätzlichen, nicht erwarteten Aspekten, die sich erst im Laufe der Entwicklungen auftun. Die aktuellen Herausforderungen sind Aufarbeitung der neuen Erfahrungen, sowohl mit dem Einstieg ins Homeoffice als auch mit denen bei der Rückkehr, die Anpassung der rechtlichen und unternehmerischen Rahmenbedingungen und bei allem ein stückweit Bereitschaft zu entwickeln, daraus kreative Formen für die Zukunft zu entwickeln.
Derzeit sind Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch stark darauf fokussiert, die schlimmsten Folgen des Lockdowns in den Griff zu bekommen und Maßnahmen gegen eine zweite Pandemiewelle zu organisieren. Ein kluger Umgang mit den Homeoffice-Erfahrungen kann dazu beitragen.