Zahlreiche deutsche Firmen wollen das Homeoffice nach der Corona-Krise beibehalten. Das sei überfällig, hat aber Konsequenzen, sagt Prof. Dr. Thorsten Krings. Der Personalmanagement-Experte hält die zugehörige Gesetzgebung für veraltet und mahnt einen Kulturwechsel in Unternehmen an.
Herr Professor Krings, wo erwische ich Sie gerade, daheim oder im Büro?
Ich bin seit März zu Hause, wir haben Arbeitspakete verteilt, die wir jetzt korrigieren. Außerdem halten wir online Vorlesungen. Das klappt bisher ganz gut. Und bei mir zu Hause war es noch nie so sauber wie jetzt.
Sie haben die Zeit für Studien genutzt, zum Beispiel zum Thema Online-Recruiting in Zeiten von Corona. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Deutschland hinkt, was digitale Auswahlverfahren bei Bewerbern angeht, extrem hinterher. Nun wollten wir wissen, ob sich das geändert hat und ob es dauerhaft ist. Wir haben mit Personalern Interviews geführt. Das war teilweise erschreckend, da die Personalverantwortlichen der Meinung waren, mit einer Online-Bewerbung schon bestens digital aufgestellt zu sein. In Corona-Zeiten aber sind die meisten auf digitale Interviews umgestiegen. Die Ergebnisse waren teils extrem, einige wollen Bewerberinterviews nur noch online durchführen, für die anderen ist dies ein Graus, da sie fürchten, die Persönlichkeit des Bewerbers bei Video-Interviews nicht einschätzen zu können. Die meisten aber waren positiv überrascht und haben zugegeben, dass diese Form mehr leistet, als sie sich hätten vorstellen können. Das Probearbeiten und das persönliche Jobinterview wird dies aber nie ersetzen, hieß es. Die meisten werden dies also als erste Stufe des Auswahlverfahrens beibehalten, weil die Anreisezeit entfällt. Große Scheu vor dieser Art der Bewerbung gibt es aber tendenziell bei technisch-gewerblichen Mitarbeitern ab einem Alter von 45 Jahren. Homeoffice weist Vorteile auf, sagen Experten: man könne weltweit rekrutieren, Bürofläche sparen, Fahrten zur Arbeit entfallen, Menschen arbeiten zu Hause produktiver und weniger gestresst. Klingt alles prima, aber was sind aus Ihrer Sicht Nachteile?
Also meine Studenten sind zum Teil extrem gestresst. Der Aufwand der Selbstorganisation ist sehr hoch, das erhalte ich oft als Rückmeldung. Es gibt aber sicherlich auch sehr viele Angestellte, die die räumliche Trennung von Arbeit und Familienleben als positiv empfinden. Auch vor der Corona-Krise war die Erreichbarkeit von Angestellten im Homeoffice ein Thema. Hier muss man Grenzen setzen, sodass beispielsweise Mails ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr umgehend beantwortet werden. Des Weiteren leben wir in einer Gesellschaft, in der mehr und mehr Arbeit in Teams, in Projekten stattfindet. Hierbei ist es wichtig, dass man sich regelmäßig sieht.
Laut einer Ifo-Studie wollen mehr als die Hälfte von 7.000 befragten deutschen Unternehmen künftig Homeoffice beibehalten. Ist das der Anfang vom Ende des alltäglichen Gangs ins Büro?
Ja und es wird höchste Zeit. Es wäre sehr viel möglich gewesen auch in der Vergangenheit, aber viele Unternehmen hatten lange Angst vor Kontrollverlust. Ich kenne einen Fall von vor 15 Jahren, da war bereits Homeoffice technisch möglich. Einer Mitarbeiterin wurde dies damals zugesichert, sie zog ins Homeoffice, aber ihr direkter Vorgesetzter hat jeden Morgen pünktlich um acht angerufen, um zu kontrollieren, ob sie auch wirklich am Schreibtisch sitzt. Hier gehört ein positives Menschenbild hin: Wenn ich davon ausgehe, dass mein Mitarbeiter kein Interesse an Arbeitsleistung hat oder eine Unternehmenskultur des Misstrauens herrscht, funktioniert Homeoffice nicht.
Wie muss ich denn als Manager reagieren, wenn meine Angestellten plötzlich nicht mehr jeden Tag persönlich anwesend sind?
Dazu braucht es Menschen, die den Kontrollverlust nicht fürchten, die loslassen können, die Vertrauen haben. In Deutschland haben wir eher eine Unsicherheitsvermeidungskultur, das heißt, wir sind per se schon mal sehr schlecht darin, Kontrolle abzugeben. Es kann schon einmal vorkommen, dass der Manager einen Zeitraum X lang nichts von einem Mitarbeiter hört. Und auch dann braucht es Vertrauen und die Sensibilität, nicht sofort einen Kontrollanruf zu tätigen. Andererseits aber gibt es die Gefahr der Vereinsamung im Homeoffice, auch damit muss die Führungskraft umgehen und wissen, wann es das Team wieder zusammenführen muss, damit es sich überhaupt als Team versteht. Das Führen außerhalb von starren Hierarchien wird zunehmend wichtiger. Führungskräfte brauchen hier bereits eine hohe Unsicherheitstoleranz, die ihnen in Zeiten von Homeoffice ebenfalls zugutekommt.
Kontrolle der Arbeit ist das eine, Kontrolle des ergonomischen Arbeitsplatzes, von Pausenzeiten und dem Feierabend das andere – wie können wir dies trotzdem gewährleisten?
Ich muss sagen, wir bewegen uns in diese Zeit mit Arbeitsgesetzen teils aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Das wird also nicht umsetzbar sein. Wie sieht denn die Realität aus? Die alleinerziehende Mutter, die ihr Kind in den Kindergarten bringt, ist um halb zehn an ihrem Heimarbeitsplatz. Es wird gearbeitet, bis die Kita am Nachmittag schließt. Dann holt sie das Kind ab, es wird eingekauft, gekocht, gegessen, gespielt, dann ist Bettzeit. Um 21 Uhr setzt sich die Mutter dann wieder an den Rechner und arbeitet noch zwei Stunden. Am nächsten Morgen will sie kurz vor der Fahrt zur Kita noch mal ihre Mails checken. Das dürfte sie aber nicht, weil sie die zehn Stunden Ruhezeit laut Gesetz nicht eingehalten hat. Das macht also keinen Sinn. Der Vorteil der Digitalisierung, der Entkoppelung von Arbeit und Arbeitsort macht es mir möglich, die Arbeit an meinen Lebensrhythmus anzupassen. Anders wird es oftmals auch gar nicht möglich sein, und so stehen uns diese Gesetze in ihrer ursprünglichen Form im Weg.
Macht es in nächster Konsequenz dann überhaupt Sinn, Menschen nach einem quantitativen Arbeitszeitmodell zu entlohnen?
Nein, sondern nach der Qualität. Die einen arbeiten schneller als die anderen beispielsweise. Dafür bekommen Erstere heute als Dankeschön mehr Arbeit bei gleichem Gehalt aufgebrummt. Was für ein Menschenbild steckt denn dort dahinter? Ein sehr antiquiertes. Und ich muss sagen, mich besorgt, dass weder die Bundesregierung noch die Europäische Union auf dem Schirm haben, dass wir ein neues Verständnis von Arbeit brauchen. Dazu gehört auch das Arbeitsrecht. Wie könnte man stattdessen entlohnen? Nun, wir haben bereits über Projektarbeit gesprochen. In Projekten existieren klare Messgrößen, Meilensteine, Ressourcenplanungen, deren Einhaltung ja klare Maßstäbe bereits mitliefert. Mir als Unternehmen kann es also egal sein, ob die Mitarbeiter 100 Stunden oder 130 Stunden für ihr Projekt brauchen, solange es angemessen bleibt.
Die SPD möchte ein Recht auf Homeoffice einführen – ist dies ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit oder ein angemessener rechtlicher Schritt ins 21. Jahrhundert?
Ich bin in der Politik aktiv und habe in der FDP gegen das Recht auf Homeoffice gestimmt, eben weil es in unternehmerische Freiheiten eingreift. Ich denke, das muss jeder Unternehmer selbst entscheiden, denn es gibt Fälle, da macht es keinen Sinn. Hinzu kommt die Frage der Kontrolle von Ruhezeiten, die, wie gesagt, beim Homeoffice so keinen Sinn macht. Das ist also nicht zu Ende gedacht.
Ohnehin kann nicht jeder einfach so ins Homeoffice wechseln, etwa der Krankenpfleger, der Handwerker, der Facharbeiter an der Maschine. Wie könnten diese im Falle eines Rechtes auf Homeoffice trotzdem wertgeschätzt werden?
Wir sehen, dass Handwerker schon heute sehr viel IT einsetzen. Die Entwicklung wird sich fortsetzen mit zunehmendem Einsatz von Industrie-4.0-Lösungen, von Automatisierung. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir am Ende eine Zweiklassengesellschaft errichten: Diejenigen, die im Homeoffice arbeiten können, und diejenigen, die das nicht können. Das aber muss kein Nachteil sein. Ich kenne viele Menschen in Handwerksberufen, die sagen, dass sie den ständigen Kontakt mit dem Kunden sehr schätzen, dass sie sich auch bewusst für diesen Beruf entschieden haben. Auch bei Krankenpflegerinnen ist es so. Wenn wir aber zunehmend Personalmangel in diesen Berufen bekommen, müssen wir uns aber auch überlegen, wie wir diesen persönlichen Kontakt ersetzen können, zum Beispiel durch digitalisierte Lösungen. Wenn Pfleger im Alter von 50 Jahren unter Rückenproblemen leiden, weil der Job körperlich anstrengend ist, müssen wir uns überlegen, wie wir diesem Problem durch automatisierte Unterstützung begegnen können. Auch dies wäre eine Wertschätzung: das Investieren in Hilfssysteme.
Was glauben Sie? Wird das Homeoffice mehr soziale Distanz im Beruf und mehr soziale Nähe im privaten Bereich ermöglichen?
Meine Partnerin und ich wohnen derzeit nicht in einer gemeinsamen Wohnung. Durch die Zeit in einem gemeinsamen Homeoffice entfällt derzeit die Fahrerei, dadurch haben wir zusätzlich Lebensqualität. Ja, es wird einen Zugewinn an Nähe im persönlichen Umfeld geben, aber auch einen Verlust von Nähe am Arbeitsplatz. In Deutschland pflegen wir den Mythos, dass es jeden Menschen zweimal gibt; einmal am Arbeitsplatz als Funktionsträger und einmal zu Hause. Das funktioniert so aber nicht, Beziehungen sind auch am Arbeitsplatz wichtig. Für Menschen ist es wichtig, sich auf Kollegen am Arbeitsplatz zu freuen, auf die Konversation, die zufällige Begegnungen in der Kaffeeküche, das haben Studien gezeigt. Wenn wir also kein Hybridmodell aus Homeoffice und Büroarbeit etablieren, wird die Produktivität darunter leiden.