Mit dem 19-jährigen Marius Köhl steht wieder ein Eigengewächs im Kader des 1. FC Saarbrücken. Er stürzt sich mit Begeisterung in das Abenteuer Profi-Fußball, das eigentlich überhaupt nicht geplant war.
Rückblick: Es ist der 5. August 2011. Im Drittliga-Spiel zwischen dem 1. FC Saarbrücken und Carl Zeiss Jena läuft die 63. Minute. Nach einem langen Einwurf von Stephan Sieger trifft der damals 19-jährige Johannes Wurtz zum 2:1-Sieg für den FCS. Es war sein erstes Drittliga-Tor, acht weitere sollten folgen. Wurtz zog es weiter Richtung Werder Bremen, mittlerweile steht er beim Zweitligisten Darmstadt 98 unter Vertrag. Zwei Mal kam er in der Bundesliga zum Einsatz, 148 Mal lief er im Unterhaus auf. Es war das letzte FCS-Talent, das den Sprung direkt aus der eigenen U19 in den Profibereich geschafft hat.
Zu leicht für Elversberger
Gegenwart: Marius Köhl sitzt entspannt vor einer Pizzeria in der Saarbrücker Altstadt. Den Namen Wurtz hat er „ehrlicherweise noch nie gehört“, wie er grinsend verrät. Vor zwei Monaten ist er 19 Jahre alt geworden, seit einem Dreivierteljahr trainiert er bei den Profis mit. Seit Anfang Juli ist er offiziell Profi. Es ist der Beginn einer Karriere, die so nicht geplant war.
Der Ensdorfer kickte zunächst in Bous und Schwalbach, war dann drei Jahre bei der SV Elversberg. Dort wurde er schließlich aussortiert. „Zu klein, zu schmächtig“, lautete das Urteil. Mittlerweile misst er stattliche 1,85 Meter, wiegt 76 Kilo.
Zusätzlich zur Vorbereitung mit der Mannschaft schuftet er vier Mal die Woche bei Athletiktrainer Christoph Fuhr in dessen Studio. „Vier Kilo muss ich draufpacken“, lautet dessen Vorgabe und Köhl sagt lachend: „Ich bin eigentlich den ganzen Tag am Essen“.
Der 19-Jährige ordnet dem neuen Profidasein alles unter. „Kein Alkohol, keine Shisha, vernünftige Ernährung und viel Schlafen“, beschreibt er seinen neuen Alltag, in den er eher zufällig geraten ist. Nach dem „Abenteuer“ Elversberg, wechselte er zur JFG Saarlouis, schoss dort viele Tore. Irgendwann griff Papa Markus zum Telefonhörer und rief beim FCS an. U19-Trainer Oliver Schäfer lud ihn zum Probetraining ein. „Er hat mir danach gesagt, dass ich es gerne versuchen kann, aber wenn es nicht klappt, im Winter wieder zurückdarf“, sagt Köhl, der nach eigener Aussage „ganz ohne Erwartungen zum FCS gekommen ist.“
Doch Fußball ist schnelllebig. Mit einem Wachstumsschub startet der Offensiv-Mann richtig durch. In seiner ersten Saison erzielt er als Außenbahnspieler elf Treffer, im zweiten A-Jugendjahr spielt er zentral und trifft bis zur Corona-Pause 18 Mal in 14 Einsätzen. Bereits im vergangenen Herbst stand er in einer Saarlandpokal-Partie der ersten Mannschaft auf dem Platz, im Winter flog er mit ins Trainingslager. „Es war der erste Flug meines Lebens. Ich war übel aufgeregt, habe aber nichts gesagt“, erzählt er lachend. Im damaligen Sportchef Marcus Mann fand Köhl einen Fürsprecher. Er empfahl das Talent zunächst Dirk Lottner und dann dessen Nachfolger Lukas Kwasniok und legte ihm schließlich einen Profivertrag vor. „Als Oli Schäfer nach einem A-Jugend-Training auf einmal gesagt hat, dass ich mit ins Trainingslager soll und ein Kandidat für die Profis wäre, dachte ich erst, es sei ein Scherz. Das war es aber nicht, denn er hat mich direkt gefragt, ob ich mich von der Schule beurlauben kann.“
Chance kommt irgendwann
Die Fachoberschule hat er im Frühjahr erfolgreich abgeschlossen, jetzt liegt der Fokus zunächst für zwei Jahre auf dem Fußball. „Hätte ich keinen Profivertrag bekommen, hätte ich mich bei der Polizei beworben“, sagt Köhl, der sich selbst als „ruhig und bescheiden“ beschreibt: „Wenn ein älterer Spieler sagt, ich soll Kisten schleppen, dann mache ich das. Ich höre in der Kabine zu, kann jeden Tag viel lernen. Ich spiele plötzlich mit gestandenen Profis wie Fanol Perdedaj, da habe ich schon Respekt.“ Auf dem Platz legt er die Zurückhaltung aber ab. „Wenn es in die Zweikämpfe geht, spielt es keine Rolle, wie alt man ist. Dann geht es zur Sache“, sagt Köhl und fügt hinzu: „Es ist aber schon ein Unterschied zur Jugend. Da habe ich den Ball angenommen und mich eigentlich um jeden Abwehrspieler drehen können. Jetzt renne ich gegen einen Kleiderschrank wie Boné Uaferro. Es ist ein Lernprozess.“ Der 19-Jährige ist geduldig und reflektiert. Die Gefahr, dass er nach wenigen Monaten die Brocken hinwirft wie es einige Talente in der Vergangenheit gemacht haben, scheint nicht zu bestehen. Druck verspürt er keinen. „Ich bekomme schon mit, dass sich der Verein danach sehnt, dass es endlich wieder einer aus der Jugend packt. Es liegt an mir, was ich daraus mache. Irgendwann werde ich meine Chance bekommen, und dann muss ich liefern.“
Der Optimismus begründet sich aus vielen Gesprächen mit Coach Kwasniok, der sich Zeit für seinen Youngster nimmt. „Er ist ein richtiger Fußballlehrer. Dirk Lottner hat die jungen Spieler fast gar nicht beachtet. Lukas gibt mir das Gefühl, dass ich ein vollwertiger Bestandteil der Mannschaft bin.“ Bewusst setzt Kwasniok den Angreifer während der Trainingseinheiten an der Seite von Sebastian Jacob ein. Der Saarlouiser ist ein sportliches Vorbild für den 19-Jährigen. „Er erklärt mir viel und ist ein total angenehmer Mensch. Was er vor dem Tor macht, ist fast schon unnormal. Der vergibt so gut wie keine Chance. Da kann ich manchmal nur staunen“, sagt Köhl, der neben dem Fußball auch Laufen und Schwimmen geht. Früher hat er gerne geturnt, die große Schwester machte es ihm vor. „Ich bin heute noch ganz gut, aber mein Papa hat es mir irgendwann verboten, weil die Verletzungsgefahr zu groß ist. In Saarlouis habe ich nach einem Tor mal einen Flic Flac gemacht und bin auf dem Kopf gelandet. Der ganze Sportplatz hat gelacht. Das war echt peinlich.“ Die erste Aktiven-Saison hat der 19-Jährige als „klassisches Lehrjahr“ eingeplant. Er wolle Gas geben und sich zeigen. Irgendwann, so glaubt er, werde der Fleiß belohnt. Einen Traum hat er, der eigentlich nie vom großen Fußball geträumt hat, dennoch: „Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, beim Auswärtsspiel in Kaiserslautern vor vollem Haus eingewechselt zu werden und das Siegtor zu schießen. Dann würde ich einen Rückwärts-Salto vor den Fans machen.“