Welche gesellschaftlichen Lehren aus der Corona-Krise zu ziehen sind
Die Corona-Pandemie und der notwendige Lockdown haben vieles ans Tageslicht gebracht, von dem man vorher dachte, es sei unserer Gesellschaft verloren gegangen oder – Gott sei Dank – überwunden. Damit meine ich nicht Schriftstücke wie das vorliegende. Das wäre ohne Covid-19 gar nicht geschrieben worden, weil keiner es gelesen hätte – denn ohne exogene Katastrophe hätte es dazu keinen Anlass gegeben.
Nein, gemeint sind Erfahrungen im alltäglichen Bereich, die in Wirtschaft und Gesellschaft, in Nachbarschaft und im Verein gemacht wurden, wo soziales Leben stattgefunden hat. Als positive Beispiele zählen die Wiederentdeckung von Gemeinsinn, der Zusammenhalt der Gesellschaft, Rücksichtnahme auf den Nächsten in öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Warten an der Supermarktkasse oder Nachbarschaftshilfe bei Alltagsbesorgungen für die Alten und Gebrechlichen.
Aber auch für negative Erfahrungen gibt es Beispiele. Etwa Misstrauen gegenüber „denen hinter der Grenze", mit Kontaktsperren und heruntergelassenen Schlagbäumen. Ebenso für wirtschaftliche Not und Zukunftsängste wegen des Arbeitsplatzes und um das Überleben von Handel und Gastgewerbe. Bei all jenen also, die nicht als Rentner am Monatsende über gesicherte Einkommenszahlungen vom Staat verfügen. Oder die sich vorher als Berufsgruppe für unentbehrlich gehalten haben und plötzlich erfahren müssen, dass das im Leben ja doch niemand ist.
Und spätestens jetzt, da die Infektionsgefahren zwar nicht völlig verschwunden, aber am Abklingen sind, ist die Zeit gekommen – und zwar für alle – über die Lehren aus der Corona-Krise nachzudenken. Oder wäre Vordenken vielleicht sogar nicht doch besser gewesen? Vordenken oder nachdenken? Was ist der optimale Weg, die optimale Strategie, um künftig besser zu reagieren? Oder besser noch zu agieren?
Wenn man es genau nimmt, ist da kein Gegensatz. Beide Denkvorgänge sind nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. Vordenken sollten, ja müssen alle, jeder Einzelne für sich wie auch die Gesellschaft als Ganzes, über das, was sie täglich so anrichten, ob als Verbraucher, Selbstständiger oder Unternehmer – oder aber als Staat. Vordenken darüber, was nachhaltig und zukunftsfähig ist und ob das Tun an der Messlatte einer lebenswerten Zukunft für die kommenden Generationen Bestand hat. Risikovorsorge und die Notwendigkeit dazu sind die Zauberworte. Corona hat dies den Menschen wieder schmerzhaft vor Augen geführt. Schluss mit lustig!
Beispiele für die Notwendigkeit eines höheren Risikobewusstseins als „Vordenker" gibt es viele: Nicht gemeint sind Ratschläge zur Aufstockung der persönlichen Vorräte an Nudeln und Toilettenpapier oder die Anschaffung eines Elektroautos zur Umweltrettung – mit täglichem Ladebedarf. Nein, gemeint ist das, was Helmut Kohl so unnachahmlich als politische Leitlinie ausgab; nämlich was immer man tue, darauf zu achten, „ … was dabei hinten rauskommt!"
Zum Nachdenken hat der Lockdown bei Gott viel Zeit gegeben. Vor allem in Wirtschaft und Politik sollte die Stillstandszeit zu der Erkenntnis führen, dass eben nicht alles planbar und vor allem eben nicht alles machbar ist.
Die schmalen Budgets von Otto Normalverbraucher lassen „maßlose" Zukunftspläne gar nicht erst aufkommen. In der Wirtschaft ist die Gefahr schon größer, dass manche Manager im Glauben an die eigene Unfehlbarkeit und eine immerwährende Wachstumsdynamik die Bodenhaftung zum wirklichen Leben verlieren. Umso schmerzhafter ist das jähe Erwachen durch Corona gekommen. Die Autoindustrie kann ein Lied davon singen.
Aber auch die Politik glaubt, mit milliardenschweren Konjunkturpaketen nicht nur die Wirtschaft kurzfristig zu retten, sondern das Land laut Vorlage der Bundesregierung auch „lebenswert" zu machen. Was mit Geld allein wohl kaum zu schaffen sein wird. In jedem Fall kommt der Corona-Krise das Verdienst zu, das beides – Vordenken wie Nachdenken – wieder einen höheren Stellenwert im täglichen Leben gewonnen hat. Also waren doch nicht alle Mühen und Opfer vergeblich.