Immer mehr invasive Arten verdrängen in Brandenburg heimische Pflanzen und Tiere. Darunter leidet die Biovielfalt.
Ein Kauz „singt" sein Abendlied und auch das typische Trompeten von Kranichen ist kilometerweit zu hören. Ab und an schaut ein Elch aus Polen rüber. Der Mensch macht sich dagegen rar: In Brandenburg scheint die Tier- und Pflanzenwelt auf den ersten Blick intakt zu sein. Doch sieht man genauer hin, trügt die Idylle.
Schon seit Jahrzehnten drängen fremde, sogenannte invasive Arten einheimische Tiere und Pflanzen zurück. Dieser Verlust von Biovielfalt hat östlich der Elbe erhebliche Auswirkungen: Von Ertragseinbußen in Land- und Forstwirtschaft bis hin zu Gesundheitsgefahren etwa durch Ambrosia oder Riesenbärenklau. „Beide Pflanzen können allergische Reaktionen wie Hautausschlag auslösen. Dort, wo sie vorkommen, müssen sie beseitigt werden – und zwar Richtung Mülldeponie", mahnt Axel Heinzel-Berndt, Mitarbeiter beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Brandenburg. Je mehr Schäden Ökosysteme aufwiesen, desto eher komme es zum Ausfall von Gratisleistungen der Natur.
Funktionierende Ökosysteme bezeichnet Heinzel-Berndt als Dienstleister für Mensch und Natur, die unter anderem Trinkwasser, Sauerstoff, medizinische Wirkstoffe, Energieträger sowie Nahrungsmittel liefern. Kommt dieses Gleichgewicht ins Wanken, hat das Konsequenzen, so Axel Heinzel-Berndt. Beispiel Waschbären: So putzig die Vierbeiner auch aussehen, so hoch ist der verursachte Schaden. „Waschbären machen wirklich viel Mist. Sie gehen einerseits in Reihernester und Kormorankolonien, wo sie Eier und Jungtiere rauben. Andererseits richten sie in Wohngebäuden und deren Dachböden teils immense Schäden an", berichtet der BUND-Naturschutzreferent. Etliche Brandenburger hätten schon Schäden an Dächern erlitten, meint der Märker. Genaue Zahlen gebe es für entsprechende Vorkommnisse zwischen Prignitz und Lausitz allerdings nicht. Eigentlich müssten vielerorts Jäger eingreifen, was sie aber meist nicht tun, da sich der Aufwand für sie nicht lohnt. Andererseits seien Abschüsse innerhalb von Städten und Gemeinden verboten. In einigen Landkreisen versuchen Umweltschützer, Vogelnester mit Baum-Manschetten vor Waschbären zu schützen.
Kritisch sieht man die Situation auch beim Naturschutzbund (Nabu) Brandenburg. Er verweist auf das Bundesnaturschutzgesetz, das für Deutschland 24 gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten aufliste. Darunter befinden sich Nutria sowie Wechselblatt-Wasserpest und Großer Wassernabel. Doch die aufgeführten Arten seien nur ein Bruchteil der tatsächlich vorkommenden invasiven Pflanzen und Tiere. In der Darstellung fehlten unter anderem Riesenbärenklau, Indisches Springkraut und Mink.
„Waschbären machen viel Mist"
Nach den Worten von Nabu-Landesgeschäftsführerin Christiane Schröder verdrängen invasive Arten märkische Pflanzen massiv. Ein Beispiel sei die Amerikanische Traubenkirsche, die in Brandenburg sehr gut gedeiht und heimische Kiefern, Buchen und Eichen zurückdrängt. Ausgerechnet Forstpionier August Bier (1861–1949) sei dafür mitverantwortlich, wie Axel Heinzel-Berndt informiert. Bier, der im märkischen Sauen bei Beeskow ein Gut betrieb und als ein Vorreiter in Sachen Waldumbau gilt, habe es seinerzeit nicht besser gewusst. Einst sei es darum gegangen, den Bestand der damals vorherrschenden Kiefer zu reduzieren: Offenbar auch mit Hilfe der Amerikanischen Traubenkirsche, der man heute nicht mehr Herr werde.
Auch die Robinie sorgt in Ostdeutschland für Probleme. Dabei ist sie nach BUND-Angaben in Parks wie Sanssouci in Potsdam seit Jahrhunderten beliebt. Durch Bienenfleiß liefere uns das Gewächs außerdem leckeren Honig, so das Argument mancher Imker. Doch auch die Robinie, die im Boden Stickstoff anreichert, verdrängt heimische Pflanzen. Ein Beispiel dafür seien die Oderhänge bei Lebus und Podelzig nördlich von Frankfurt (Oder). „Wenn der Mensch nicht eingreift, haben wir dort auf bestimmten Flächen bald nur noch Wald", so Axel Heinzel-Berndt.
Doch getan werde häufig nur dort etwas, wo sich Naturschutzgruppen ehrenamtlich engagieren: Beispielsweise in Gosen-Neu Zittau, wo Anja Grabs in ihrem Heimatort Bürgereinsätze organisiert. „Auch bei uns ist die Ambrosia-Pflanze ein Thema. Durch Arbeitseinsätze konnten wir sie jetzt auf einer Fläche von rund 4.000 Quadratmetern am Mühlenberg beseitigen", so die Gemeindevertreterin und Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen im brandenburgischen Landkreistag Oder-Spree. Ursache des Ambrosia-Problems seien Gartenabfälle von Anwohnern. In den Abfällen befinden sich laut Anja Grabs Vogelfuttersamen, die auch Ambrosia-Samen enthalten.
Gebäudeschäden durch Bisamratten
Aktiven Naturschutz betreiben auch Helfer in Neuenhagen bei Berlin. „Bei uns spielen unter anderem das Indische Springkraut und Sachalin-Knöterich eine Rolle", so Frank Ott von der Neuenhagener Nabu-Ortsgruppe. Ortsfremde Pflanzen gerieten auch deshalb in die freie Wildbahn, weil Einwohner Komposthaufen nicht auf, sondern vor ihren Grundstücken anlegen. Dort landen unter anderem Reste nicht heimischer Pflanzen und verbreiten sich in freier Wildbahn. Bei Arbeitseinsätzen versucht Otts Truppe invasive Arten „mit Stumpf und Stiel auszurotten", wie er sagt. Praktisch machtlos stehe man jedoch dem Waschbär gegenüber – auch durch den Leichtsinn von Neuenhagenern. Einige würden die ursprünglich aus Nordamerika stammenden Säugetiere füttern, andere ihre Müllbeutel vor dem Grundstück ablegen und die possierlichen Kleinbären so zum „Festmahl" einladen. Auch in Neuenhagen gilt, dass Jäger in der Gemeinde keine Abschüsse vornehmen dürfen. „Uns bleibt nur, an die Bürger zu appellieren, Waschbären nicht zu füttern", so Frank Ott.
Naturschützer in anderen märkischen Kommunen erwähnen Bisamratten, die Schäden an Gebäuden anrichten. Ein Thema sei im grünen Landstrich rund um Berlin auch die Kanadische Wasserpest. Diese Wasserpflanze trübe Gewässer ein, erschwere die Binnenschifffahrt und behindere Fischereibetriebe. In diesem Zusammenhang erwähnt Axel Heinzel-Berndt auch Probleme mit Fischzuchtanlagen. Hier würden seinen Worten nach immer wieder Regenbogenforellen „ausbüchsen" und in freien Gewässern Nischen heimischer Fische, wie Bachforelle und Westgroppe, besetzen.
Doch es gibt laut BUND auch gute Nachrichten. So habe der zwischen Nonnenfließ und Finowkanal bei Eberswalde vorkommende Edelkrebs einem invasiven Pilz namens Krebspest standgehalten. Auch bei diversen Bauprojekten erzielte die Umweltorganisation eigenen Angaben nach Erfolge. Bei vom Gesetzgeber geforderten Ersatzmaßnahmen als Ausgleich für Häuserbebauung setzte man mehrfach durch, dass Investoren im Umfeld vorkommenden Japanischen Staudenknöterich beseitigen müssen. Dessen massive Wurzeln seien kaum zu bändigen und sorgten für starke Bodenerosion.
Für einige heimische Tiere können Pflanzenneulinge laut Nabu allerdings auch zur Nahrungsreserve werden. So biete etwa die Kupfer-Felsenbirne Vögeln eine gute Futterbasis und spätblühende Riesenstauden Insekten zeitweise eine üppige Nahrungsquelle. Einige Bienenarten lieben den Riesenbärenklau, weshalb er – zum Unmut von Naturschützern – von ostdeutschen Imkern als Spättrachtpflanze verbreitet wurde.