Bei Dünen denkt man an Strand und Meer. Doch auch im Binnenland türmen sich beeindruckende Sandhaufen auf – Relikte der letzten Eiszeit, Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen. Viele von ihnen sind touristisch erschlossen. Eine Auswahl.
Der Sommer 2020 ist – drücken wir es positiv aus – etwas Besonderes. Von Corona verunsichert, entdecken viele Urlauber das eigene Land. Ins Ausland zu reisen, haben viele Familien und Entspannungssuchende abgeblasen – noch bevor Reisewarnungen allmählich wieder aufgehoben wurden und Länder ihre Grenzen unter Auflagen wieder geöffnet haben. Bleiben wir auf der sicheren Seite, denken sich manche.
Im eigenen Land könnte es damit voll werden, vor allem an den Küsten. Doch es gibt auch Sand, sozusagen wie am Meer: Binnendünen, die manchmal wie kleine Wüsten wirken – in denen tatsächlich recht exotische Lebensformen existieren. Und manchmal grenzen sie sogar an Badeseen.
Biologisch betrachtet zählen Binnendünen zu den Trockenlebensräumen, in denen die Spezialisten hausen, Arten, die dort überleben, wo es andere nicht schaffen würden, weil die Temperaturen stark schwanken – tagsüber heizt sich der Sand manchmal auf 70 Grad auf, um nachts stark abzukühlen. Es gedeihen wilder Spargel, Sandthymian, Silbergras und seltene Sand-Strohblumen. Es fühlen sich wohl rare Bienenarten, Heuschrecken, Zauneidechsen, Wildkaninchen und merkwürdige Insekten wie der Dünensandlauf-Käfer.
Erdgeschichtlich gehen Deutschlands Binnendünen auf die Eiszeit zurück. Von Winden wurden die Sande zu Hügeln in der einst steppenartigen Landschaft aufgetürmt. Im vegetationsarmen Tundraland konnten Winde ungebremst wirken, und so waren nahezu alle Dünen im Binnenland Wanderdünen. Erst mit der Wiederbewaldung, als die Erde wieder wärmer wurde, hörte dieses Naturschauspiel auf, um mit der Waldrodung vor allem im Mittelalter wieder aufzutreten. Noch heute gibt es solche Wanderdünen in Deutschland – wenn auch nur noch wenige, denn um Weideflächen und Äcker vor Versandung zu schützen, wurde wieder aufgeforstet. Unsere Auswahl der schönsten Dünen des Landes:
Binnendünen bei Klein Schmölen/Mecklenburg-Vorpommern
1888 trat die Elbe über ihre Ufer. Bei dem verheerenden Hochwasser war die Elbmarschniederung der Gegend in weiten Teilen geflutet. In Häusern stand das Wasser. Scheunen wurden weggeschwemmt, Eichen entwurzelt. Es war so etwas wie ein kleiner Tsunami im Inland, 100 Kilometer von der Ostsee entfernt, an diesem 22. März, der auch den Fuß der Wanderdüne bei Klein-Schmölen erreichte. Und dort etwas hinterließ, was heute Besucher anzieht: das Schmölener Brack, ein kleiner See mit Badestelle. Die Dünen liegen im Unesco-Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Mecklenburg-Vorpommern. Das Gebiet der sandigen Hügel ist gut zwei Kilometer lang und bis zu 600 Meter breit, an der höchsten Stelle erhebt es sich 30 Meter über der Löcknitz-Niederung. Blumenikone ist die purpurrot blühende Sand-Silberscharte, die in Mecklenburg zu den verschollenen Pflanzenarten zählte. Einst war das Dünengebiet entlang des Urstromtales der Elbe allerdings viel größer und zog sich auf rund 100 Kilometern von Wittenberge im Süden bis nach Boizenburg im Norden.
Seit 2005 gibt es einen Dünenlehrpfad mit Infotafeln, die die Entstehungsgeschichte der Dünen erzählen. Er führt zu einem Aussichtspunkt auf der höchsten Düne, von dem man einen schönen Blick auf den Altlauf der Löcknitz und die Elbe hat. Es ist ein Stück Elblandschaft der Gegensätze: Auf der einen Seite die trockenen Sande der Düne, auf der anderen Seite die Feuchtwiesen Löcknitz-Niederung. Ranger begleiten Gäste auf kostenlosen geführten Touren auf die Elbtaldünen, ins Löcknitztal bis zum Schmölener Brack, wo man sich im Sommer nach der Wanderung erfrischen kann. Schatten spendet ein Kiefernwald am Fuß der Düne. (www.elbetal-mv.de)
Düne Wedding/Berlin
Eine Düne in der Innenstadt? Selten! Aber der Berliner Stadtteil Wedding hat dieses Eiszeitrelikt zu bieten. Sie ist bis zu 15 Meter hoch, rund 4.000 Quadratmeter groß und vor rund
12.000 Jahren entstanden. Wo in direkter Nachbarschaft das Stadtleben tobt, verbirgt sich auf dem Gelände des Schul-Umwelt-Zentrums in der Scharnweberstraße ein Kleinod, das 1976 als flächenhaftes Naturdenkmal in das Naturdenkmalbuch des Bezirkes Wedding eingetragen und 2002 unter Naturschutz gestellt wurde. Lange Zeit war die Düne nicht mehr als ein gewöhnlicher, wenn auch unbebauter Hügel – zumindest dem Anschein nach. Es erging der Düne nicht anders als anderen. Um Weide- und Nutzflächen vor Versandung zu schützen, wurde auch in Wedding im 18. Jahrhundert aufgeforstet. Sie diente als Sandgrube, als militärisches Übungsgelände. Über die Jahrzehnte wucherten Brombeerbüsche und Robinien, die Humusschicht über dem Sand wuchs auf 40 Zentimeter. Seit 2012 läuft die Renaturierung der Düne. Unter Federführung des Nabu Berlin werden regelmäßig Pflegeeinsätze durchgeführt, denen sich Freiwillige anschließen können. Entfernt werden etwa Giersch-, Brombeer- und Robinienschösslinge, gepflanzt werden dünentypische Gräser. „Bei den Biotop-Einsätzen bekommen Sie Zutritt zur Düne", sagt Nabu-Sprecherin Jutta Sandkühler. Denn das Eiszeitrelikt, einst Ausläufer einer viel größeren Dünenlandschaft, kann ansonsten nur beschränkt und im Rahmen von Führungen des Nabu besucht werden. (https://berlin.nabu.de)
Binnendünen Nordoe/Schleswig-Holstein
Die jüngere Entstehungsgeschichte des 400 Hektar großen Streifen Landes, südlich von Itzehoe gelegen, ist erstaunlich. Offene Sandflächen, wie sie die Menschen oft als besonders reizvoll empfinden, und der spezielle Artenreichtum, den sie hervorbringen, verdanken sie militärischer Nutzung. Einst wuchs großflächig die Heide, doch der Bewuchs wurde durch die militärische Nutzung weitestgehend zerstört. Der Wind blies den nun offenliegenden Sand zu Dünen auf, Strandhafer und Strandroggen wurden zur Befestigung des Grunds gepflanzt. Umherfahrende Panzer hielten die Sandflächen offen, es entstand ein Lebensraum für die typischen Bewohner des nährstoffarmen Lebensraumes. Auch weil auf dem Militärareal aufgrund ausbleibender landschaftlicher Nutzung Düngung ausblieb, konnten stark gefährdete Tier- und Pflanzenarten überleben. Im Jahr 2007 zog das Militär ab, und damit auch die Panzer, seit 2013 ist das Areal Naturschutzgebiet. Um die Verbuschung des Magerrasen-Areals weiterhin zu verhindern, wird es beweidet. Burenziegen, Rinder und Pferde ziehen über die Offenflächen, sie fressen Triebe aufkommender Gehölze. Selten gewordene Arten wie der lila blühende Teufelsabbiss werden wieder angepflanzt. Es gedeiht die leuchtend gelbe Arnika, im Spätsommer blüht die Heide. Seltene Vögel wie die Heidelerche fühlen sich ebenso wohl wie die in flachen Teichen lebenden Kreuzkröten und Knoblauchkröten. Teile des einzigartigen Fauna-Flora-Habitat sind mit Eichen und Birken bewaldet. Wer die Landschaft genießen möchte, kann das im Gebiet um die Binnendünen Nordoe ausgiebig tun: Es gibt ausgeschilderte Rund- und Wanderwege, Gesamtlänge 25 Kilometer. Hungrige Wanderer empfängt das „Heidehaus" am Dünenrand im Nordwesten. (www.kremperheide.de; www.stiftungsland.de)
Fuchsberg/Sachsen-Anhalt
Militärische Betätigung in Form von Kriegsfolgen bekam die Wanderdüne in der Nähe der Stadt Gommern ganz anders zu spüren. Der auch Fuchsberg genannte Sandhaufen gilt immer noch als die größte Wanderdüne Deutschlands. Auf rund 20 Meter erhebt sie sich über den kleinen See Kulk zu ihren Füßen. Doch einst war die ab der Weichseleiszeit entstandene Düne deutlich höher, aber sie ist mit Umschichtungen noch aktiv. Bereits 1936 wurde sie unter Schutz gestellt. Doch die Not war groß im Nachkriegsdeutschland. Um im knapp 20 Kilometer entfernten Magdeburg den Wiederaufbau voranzubringen, wurden große Teile der Düne abgetragen. Baumaterial war Mangelware. Benachbarte Dünen verschwanden auf diese Weise sogar ganz. Nach der politischen Wende im Jahr 1989 stand die touristische Erschließung im Vordergrund, 1992 wurde ein Aussichtsturm gebaut, von dem man bei guter Sicht sogar dahin blicken kann, wohin der Sand einst abtransportiert wurde: nach Magdeburg. Am Kulk, ein vollgelaufener ausgedienter Steinbruch und heute Badesee, wurde ein Hotel gebaut. Dort gibt es auch Deutschlands größten Gesteinsgarten unter freiem Himmel zu bestaunen. In der Gegend wurde einst Quarzit abgebaut, der zum Beispiel für den Bau des Magdeburger Doms verwendet wurde. Ein ehrenamtlicher Wegewart bietet geführte Wanderungen an, organisiert werden sie über den Stadtförderverein „Wir für Gommern" (Telefon 039200-78300 oder info@wirfuergommern.de; www.gommern.de)
Oftersheimer Dünen/Baden-Württemberg
Der Flugsand von Dünen zieht nicht nur seltene Insekten und Wildpflanzen an, sondern der trockene, kalkhaltige Boden eignet sich auch für manche Nutzpflanze: So wurden Böden, wo einst sich vom Wind die Dünen auftürmten, eingeebnet, um dort Spargel, Erdbeeren oder Wein anzupflanzen. Auch die Tabakpflanze fühlt sich in dem nährstoffarmen Boden wohl. Früh erkannte man dies in der Kurpfalz. Dort nahe dem Städtchen Oftersheim pflanzen Hugenotten aus Mannheim im Jahr 1677 erstmals Tabak an. Mit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde das braune Gut nach Mannheim verfrachtet – zur kurfürstlichen Tabakmanufaktur. Noch heute erwirtschaften Landwirte der Gegend mit der Nutzpflanze, aber auch Spargel und Zuckerrüben ihren Lebensunterhalt. Doch auch ein Natur- und Landschaftsschutzgebiet wurde eingerichtet: die „Oftersheimer Dünen", als solches 1952 erstmals ausgewiesen. Auch sie zählen zu den letzten Rückzugsgebieten für seltene und von Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten, die es hell, warm und trocken mögen, denn der Sand kann sich in der Sonne bis zu 70 Grad aufheizen: Karthäuser-Nelke, Ästige Graslilie, Nickendes Leimkraut, Silbergras, Sand-Thymian. 1989 wurde die Furchen-Biene gefunden, in Baden-Württemberg galt sie bis dahin als ausgestorben. Der Stierkäfer dreht Pillen aus Kaninchenkot für seine Brut. Der Dünen-Sandlaufkäfer krabbelt umher. Seltene Bewohner aus der Vogelwelt sind Wiedehopf oder Ziegenmelker. Seit Kurzem wirken der Verbuschung Esel, Ziegen und Schafe entgegen. Die höchste der Dünen ist der 121 Meter hohe Feldherrenhügel, die höchste Düne Baden-Württembergs. Bis auf einige Sandrasenreste ist der Hügel mit alten Kiefernbeständen vollständig bewaldet, doch ursprünglich standen hier Buchen und Eichen. Die Dünenkuppe ist dagegen licht, und früher wurde hier die Echte Mispel angebaut, ein Mittelmeergewächs, das apfelgroße Früchte hervorbringt, die zu Marmelade oder Schnaps weiterverarbeitet wurden. 2004 wurde ein gut drei Kilometer langer Naturerlebnispfad eingerichtet. (https://m.tourismus-bw.de; www.oftersheim.de)